992 kg Müll – und noch viel mehr. So hat meine Kollegin Birgit Lutz einen Blog-Eintrag auf ihrer Webseite überschrieben.
Und noch viel mehr! Da ist viel dran. Fast jeder, der mal mit der Antigua in Spitzbergen unterwegs war, weiß, dass wir auf fast jeder Fahrt ziemlich viel Müll sammeln. Da kommen schnell einige hundert Kilogramm pro Fahrt zusammen, das sind einige Kubikmeter.
Warum auf »fast jeder Fahrt« und nicht auf jeder Fahrt? Nun, einmal hängt es natürlich auch etwa vom Wetter ab, wenn der Boden gefroren oder schneebedeckt ist, dann ist es so eine Sache mit dem Müllsammeln. Aber vor allem ist der Müll ungleichmäßig verteilt. Aus der langjährigen Erfahrung (ich mache das schon seit mehr als 15 Jahren mit verschiedenen Schiffen) ist gut bekannt, dass manche Strände reine Müllkippen sind. Solche Strände finden sich erstaunlicherweise vor allem im Norden, oft an ziemlich abgelegenen Ufern, wo selten Menschen hinkommen. Es liegt auf der Hand, das mit den lokalen Strömungen zu erklären.
An anderen Stränden hingegen liegt ziemlich wenig. Im Kongsfjord und Krossfjord findet man eher wenig Müll, im Magdalenefjord auch nicht. Aber dort fast direkt um die Ecke, in Smeerenburg, wie viele Säcke haben wir dort schon mit Plastik gefüllt? Keine Ahnung, man hätte sie zählen müssen über all die Jahre. Es waren eine Menge.
Genau dieser Effekt kommt ja mittlerweile auch erfreulich dazu: die Touristen sammeln Müll. Nicht alle Schiffe machen mit, aber Antigua und die Oceanwide-Flotte sind nicht die einzigen. Und zwar seit vielen Jahren. Nicht erst, seit die Verwaltung offiziell ihr »Clean up Svalbard« Projekt ins Leben gerufen hat. So etwas muss uns keiner sagen, auf solche Ideen kommen wir schon selbst. Wobei das Projekt natürlich gut und hilfreich ist, aber blind sind wir, die wir schon seit Jahren regelmäßig in Spitzbergen unterwegs sind, ja auch nicht. Und natürlich trägt das Sammeln Früchte. Ihr hättet mal die Strände bei Smeerenburg vor 15 Jahren sehen sollen. Eine reine Müllkippe! Heute ist es einigermaßen ordentlich, da dort regelmäßig gesammelt wird. Natürlich trägt jeder heranrollende Welle neuen Plastikmüll mit sich.
Und darin liegt auch die nächste Lehre. Man kann und muss das Plastikmüll-Problem vor Ort bekämpfen und kann die Verhältnisse lokal auch verbessern, aber lösen lässt sich das Problem so nicht. Genauso wie der Klimawandel und die Ozonschicht, ist das Plastikmüll-Problem ein globales Problem, das sich nur mit internationaler Anstrengung wirklich lösen lassen wird. Ich habe das Beispiel von der Ozonschicht hier ganz bewusst genannt, es zeigt nämlich, dass die internationale Gesellschaft zu einer gemeinsamen und letztlich erfolgreichen Lösung eines globalen Problems durchaus in der Lage sein kann. Wenn sie nur will.
Warum ist das überhaupt ein Problem, über den ästhetischen Aspekt hinaus? Ganz einfach: Weil es die komplette Nahrungskette im Meer versaut und ganz direkt unendliche Mengen an Tieren bedroht. Es gibt kaum noch einen Eissturmvogel, der kein Plastik im Magen hat. Albatrosse verenden in großer Zahl daran. Und das sind nur die wenigen, mittlerweile weithin bekannten Beispiele. Tatsächlich haben die meisten Tiere im Meer Plastik im Magen. Weil das Plastik nämlich in kleine Teile zerfällt, die genau die Größe haben wie die typische Beute dieser Tiere, und aufgrund von Algenwuchs irgendwann auch so riecht. Und so haben mehr und mehr Tiere den Magen voll mit unverdaulichem Plastik und verhungern. So einfach. Es geht hierbei nicht »nur« um das Leiden einzelner Tiere, sondern darum, dass Populationen kollabieren und Nahrungsketten zusammenbrechen werden. Man kann gar nicht überschätzen, wie gefährlich das für das ganze marine Ökosystem ist! An dem übrigens auch die Menschheit hängt. Es wäre also eigentlich unser ureigenes Interesse, das schleunigst in den Griff zu bekommen, aber so schnell lernfähig ist die Menschheit leider nicht. Ach ja, die vielen Tiere, die sich in größeren Plastikteilen verheddern und dann ertrinken oder durch ihr eigenes Wachstum qualvoll zu Tode geschnürt werden oder an Land verhungern, auch die sind Teil dieses Problem. »Problem«, das Wort wirkt hier geradezu beschönigend! Es ist eine Katastrophe, nichts weniger.
Was diesen Sommer neu war, war ein »Citizen Science« Forschungsprojekt vom Alfred Wegener Institut, das Birgit Lutz auf die Antigua und andere Schiffe gebracht hat. Viele Reisende haben mitgeholfen, genau zu beobachten und zu notieren, was für Müll unterwegs ist und wo man ihn findet. An Land und im Wasser. Während der Überfahrt von Norwegen nach Spitzbergen und dort oben sind insgesamt 18 sogenannte Transekte entstanden, also Strecken auf See, wo jedes sichtbare Stück Plastikmüll genau erfasst und notiert wurde, mit Position und allem drum und dran. Das Forschungsschiff Polarstern hat entsprechende Daten im Nordatlantik auf hoher See gesammelt.
Birgit hat diesen Sommer auf mehreren Fahrten mit insgesamt drei Schiffen (Antigua, Noorderlicht, Plancius) 992,4 kg Plastikmüll an Land erfasst. Der Löwenanteil (927 kg) davon stammt aus der Fischerei: alte Netze, Seile, Fender, Fischkisten, Netzbälle. Der Rest war überwiegend Verpackung (55,69 kg), dazu kommen leere Flaschen und Müll aus Küche und Bad. Ein Ergebnis ist, dass die Müllmenge an den Stränden in Spitzbergen mit 8-43 kg pro 100 m vergleichbar ist mit den Quantitäten an den Ufern der Nordsee (10-345 kg pro 100 m).
Diese und weitere Details kann man bei Birgit Lutz nachlesen. Vielen Dank, Birgit, für dein Engagement in Sachen Plastikmüll! Damit kommt die Arbeit, die wir – und mit diesem »wir« sind eine ganze Menge Leute gemeint – schon lange machen, auf ein wissenschaftliches Niveau. Hoffentlich trägt es dazu bei, dass das Problem an der Wurzel angefasst wird!
Neben der Müllvermeidung und dem Recycling wird das Einsammeln in der Natur uns noch lange beschäftigen müssen. Das werden wir in Spitzbergen weiter tun. Wir würden es übrigens auch auf Jan Mayen gerne machen, was die norwegischen Gesetze aber leider verhindern. Nun, das ist eine andere Geschichte. Aber andere tun das auf hoher See. Ein sehr interessanter, vielversprechender Ansatz dazu wird vom Project The Ocean Cleanup entwickelt. Das Projekt kann man unterstützen. Gute Sache!
Ach ja – nun bin ich ins Erzählen gekommen, aber das Thema ist ja auch wichtig. Darüber habe ich aber ganz vergessen, vom Seeungeheuer zu erzählen. Das ist ja das, was ich eigentlich vorhatte 🙂 also, das Seeungeheuer, oder das sea monster, das war ein Fischernetz, das wir Anfang Juni im Woodfjord am Ufer gefunden hatten, auf der Reinsdyrflya. Es war so riesig, dass für mich von vornherein klar war, dass wir das Ding nie an Bord bekommen würden, so dass wir es am besten dort lassen, wo es war, nämlich halb im Uferkies begraben. An der Stelle hatte ich aber nicht mit Birgits Hartnäckigkeit gerechnet. Nachdem wir zunächst unsere Touren gemacht und dann die übliche Sammelei erledigt hatten, begann sie, mit ein paar Freiwilligen an dem Netz zu zerren und zu buddeln. Zugegeben, ich dachte noch eine ganze Weile lang, dass wird wohl nix. Aber wie schön kann es sein, sich zu täuschen! Es waren so einige Stunden fällig, bis das Netz mit vereinten Kräften, bestehend aus Mannschaft und Passagieren, aus dem Strand gebuddelt und gezerrt war. Neben vielen Händen waren auch 80 oder 100 Pferdchen beteiligt, die in den Außenbordmotoren der Zodiacs um die Wette trabten und von See her kräftig mit am Netz zogen, das sich jetzt schon den Namen »sea monster« verdient hatte.
Es war ein schöner Augenblick, als das Netz schließlich von den Zodiacs vom Ufer ins Wasser gezogen werden konnte. Wir hatten daran vorher luftgefüllte Fender befestigt, sonst hätten wir es natürlich sofort in der Tiefe verloren. Allerdings sollte der Spaß jetzt erst – nun, nicht losgehen, aber sich noch eine ganze Weile lang fortsetzen. Das Monster vom Wasser an Bord zu bekommen, war nämlich auch noch mal ein »Spaß«. So ein Segelschiff hat ja diverse Winden, aber ein Seeungeheuer an Bord zu hieven, ist schon noch mal was anderes, als ein Segel zu setzen. Fragt Kapitän Maarten nach den technischen Details! Irgendwann, und nicht beim ersten Versuch, wurde das Monster dann unter allgemeinem Jubel über die Reling gezogen und lag kurz darauf dann tatsächlich und endlich an Deck.
Zugegeben, ich war ganz schön am Ende. Das Abendessen war irgendwie ausgefallen, jedenfalls was uns kleinen Kern betraf. Vielleicht dachten wir zu der Zeit, wir machen das jetzt noch schnell fertig, so genau weiß ich das nicht mehr. Ich hatte dann auch noch den Fehler gemacht, ohne Jacke mal eben schnell ins Zodiac zu gehen, um dem Netz von Wasser aus auf die Sprünge zu helfen, während an Deck an den Winden und Tauen gearbeitet wurde. Großer Fehler! Natürlich passiert da nichts »mal so eben«. Es war schweinekalt.
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Was für ein Gefühl war es dann, das Netz an Deck liegen zu sehen und zu wissen, unser Superkoch Sascha baut die Reste der niederländischen Brotzeit zusammen zum schönsten Mitternachtsmahl, das ich je gefuttert habe! Natürlich war ich nicht der einzige, der kalt und müde war, aber ich erzähle ja nun aus meiner Perspektive.