Für Aufsehen sorgen derzeit Medienberichte über das Auftreten von bakteriellen Resistenzgenen in arktischen Bodenproben, die für die Ausprägung einer Multiresistenz bei Bakterien verantwortlich sind. Viele Medien und Menschen fragen sich, wie diese Resistenzgene in die unberührte Natur Spitzbergens gelangen. Einige Medien sehen sich mit diesem Fakt bestätigt, multiresistente Bakterien als noch größere Bedrohung verglichen mit Klimawandel und Krieg darzustellen.
Fraglos sind der unkontrollierte, globale Einsatz von Antibiotika und das zunehmende Auftreten multiresistenter Bakterien sehr ernsthafte Probleme.
In Bodenproben, die bei Ny-Ålesund genommen wurden, wurden bakterielle Resistenzgene nachgewiesen, die derzeit für mediale Aufregung sorgen.
Zunächst überraschend, aber für Fachleute gar nicht so unerwartet ist das Auftreten solcher multiresistenten Bakterien auch auf Spitzbergen zumindest der Umgebung der Siedlungen, also etwa in dem Bereich im Kongsfjord nahe der Siedlung Ny-Ålesund, wo deren Genmaterial in den Proben für die aktuelle Studie gefunden wurde.
So unberührt, wie oft beschrieben, ist die Natur Spitzbergens im Kongsfjord nämlich nicht. Die Siedlung Ny-Ålesund existiert seit 1916 und war wie alle Siedlungen auf Spitzbergen zunächst ein Bergbauort, in dem Kohle abgebaut wurde. Weltweit berühmt wurde Ny-Ålesund in den 1920er Jahren durch eine Reihe von Versuchen, auf dem Luftweg zum Nordpol zu gelangen. Nachdem 1963 der Bergbau eingestellt wurde, entwickelte sich Ny-Ålesund zu einer Forschungssiedlung, in der sich bis heute Wissenschaftler aus der ganzen Welt aufhalten und Polarforschung in verschiedensten Fachrichtungen betreiben. Regelmäßig legen Schiffe in Ny-Ålesund an, darunter Forschungs- und Versorgungsschiffe und in den Sommermonaten Passagierschiffe. Der Ort liegt außerdem im unmittelbaren Einflussgebiet des Golfstroms.
Der Originalpublikation Understanding drivers of antibiotic resistance genes in High Arctic soil ecosystems (McCann, C.M., Environment International) ist zu entnehmen, dass alle 8 Bodenproben aus der unmittelbaren Nähe der Siedlung stammen. Das dabei gefundene Resistenzgen NDM-1 (Neu Dehli-Metallo-Betalaktamase) wurde erstmals 2008 in Schweden aus medizinischen Proben eines Patienten isoliert, der sich zuvor in einem indischen Krankenhaus hatte behandeln lassen. Bakterien, die dieses Enzym besitzen, sind gegen mehrere Antibiotikagruppen wie auch gegen eine Gruppe sogenannter Reserveantibiotika resistent.
Klebsiella-pneumoniae (Darmbakterium).
In dieser Art wurde 2008 erstmals eine NDM-1 nachgewiesen.
Weitere Untersuchungen in der Folgezeit ergaben, dass Bakterien, die dieses Resistenzgen tragen, insbesondere auf dem indischen Subkontinent weit verbreitet sind, aber sich auch in anderen Ländern z.B. Japan, China, Australien, Kanada oder auch europäische Länder darunter Großbritannien, Frankreich, Österreich, Deutschland, Norwegen, Schweden und Belgien nachweisen lassen. Menschen können stille Träger solcher Bakterien sein, die sich vor allem im Darm aufhalten. Dies führt nicht unbedingt zu einer Erkrankung.
Es ist somit leicht vorstellbar, dass sich diese Bakterien schnell und unbemerkt auch bis in die Arktis verbreiten. Die Wege sind vielfältig. Die Menschen selbst können, wie beschrieben Träger sein. Die Bakterien gelangen ins Abwasser und damit in die Umwelt. Nicht zuletzt sind Wildtiere ebenfalls Träger von multiresistenten Bakterien. Bei Zugvögeln wurde dies gut untersucht. Diese nehmen die Bakterien etwa in den Regionen auf, in denen sie überwintern, und tragen sie bis in die Arktis. Gerade der Kongsfjord an der milderen Westküste Spitzbergens ist ein beliebtes Brutgebiet für eine Reihe von Zugvogelarten.
Insofern schlussfolgern die Autoren der Originalpublikation richtig, dass der Nachweis des Resistenzgens NDM-1 keine gesundheitliche Bedrohung in der Region oder für Ny-Ålesund darstellt, sondern dass dies einmal mehr zeigt, dass die durch den unkontrollierten Einsatz von Antibiotika entstehenden resistenten Bakterien sich schnell global verbreiten. Dies ist an sich wenig überraschend. So traurig die Verbreitung von Resistenzen in entlegene Winkel der Erde wie Spitzbergen ist und so katastrophal multiresistente Erreger für Menschen sein können – der Nachweis von Resistenzgenen in Bodenproben aus der Nähe arktischer Siedlungen bedeutet für diese globale Problematik keine Steigerung, sondern zeigt, dass der Mensch seine hausgemachten Probleme auch ungewollt global verteilt. Die reißerischen Schlagzeilen vieler aktueller Medienberichte, die Vergleiche mit Weltuntergangszenarien wie Krieg und drastischen Folgen des Klimawandels bemühen, werden der Komplexität des Problems nicht gerecht.
Interessant wäre in diesem Zusammenhang eine vergleichbare Analyse von einer tatsächlich nahezu unberührten Region Spitzbergens, die den oben beschriebenen Einflüssen zumindest weniger ausgesetzt ist.
Text: Dr. Kristina Hochauf-Stange (med. Mikrobiologin)