Man könnte beinahe müde lachen, wenn es nicht so ernst wäre und wenn es sich vor einem so brandgefährlichen weltpolitischen Hintergrund abspielen würde: Da schickt ein kleines Land ab und zu ein einzelnes Marineschiff in abgelegene Teile seiner Hoheitsgewässer, um dort Präsenz zu zeigen und Kontrolle auszuüben.
Und dann gibt es da ein großes Land in der Nähe, das die gesamte Nachbarschaft schon seit langer Zeit quasi permanent militärisch provoziert und auf tausend verschiedenen Wegen zu destabilisieren sucht, von Troll-Armeen und Cyberangriffen im Internet bis hin zu Sabotageakten auf wichtige Infrastruktur.
Letzteres findet das große Land anscheinend völlig in Ordnung, beziehungsweise weist jegliche Verantwortung von sich.
Ersteres hingegen ist in den Augen des großen Landes hingegen eine völlig inakzeptable Provokation, ein Bruch grundlegender Verträge.
Natürlich ist das eine etwas polemische, stark vereinfachte Darstellung mehrerer jeweils sehr komplexer Sachverhalte. Aber schon der zu erwartende Umstand, dass sicher allen Lesenden längst klar ist, wer jeweils gemeint ist, spricht Bände.
Schiff der norwegischen Küstenwache in Spitzbergen.
Kürzlich hat Russland wieder einmal Norwegen vorgeworfen, durch militärische Präsenz den Spitzbergenvertrag zu brechen. Hintergrund ist die regelmäßige Präsenz der norwegischen Marine vor allem durch Schiffe der Küstenwache und gelegentlich auch durch Fregatten. Es ist mittlerweile nahezu müßig, vor dem Hintergrund politischer Konflikte mit Russland auf das hinzuweisen, was tatsächlich in irgendwelchen Verträgen steht, denn das scheint in Moskau wohl kaum irgendwen zu interessieren. Aber vielleicht interessiert es ja außerhalb von Moskau irgendwen? Falls ja: In Artikel 9 des im Kern recht kurz gefassten Spitzbergenvertrages steht, dass Norwegen keinen Marinehafen („naval base“) bauen darf und keine Befestigungsanlagen, die für kriegerische („warlike“) Zwecke genutzt werden könnten.
Das tut Norwegen auch nicht. Punkt. Ende dieser Geschichte. Der Rest ist reine Provokation.
Eine höchstens auf den ersten Blick davon unabhängige Geschichte sind die Schäden an den Tiefseekabeln, die Spitzbergen kommunikativ mit dem Festland verbinden. Anfang des Jahres gab es Beschädigungen dieser wichtigen Kabel auf dem Meeresboden westlich von Spitzbergen (mehr Info dazu hier). Schnell stellte sich heraus, dass die Schäden auf menschliche Tätigkeit zurückzuführen waren und nicht etwa auf natürliche Vorgänge.
Mittlerweile stellte sich heraus, dass der russischer Fischtrawler Melkart-5 in den Tagen vor der Beschädigung mehr als 100 Mal über die Kabel hinweg fuhr, wie u.a. NRK berichtete. Es gibt eine lange Liste weiterer erstaunlicher Bewegungen dieses Schiffes an strategisch wichtigen Stellen in norwegischen Gewässern, etwa in der Nähe von Pipelines und Öl- und Gasfeldern, sowie eine explizit verbotene Beibootfahrt zu einer Brücke in der Nähe von Kirkenes, die von Norwegen bei militärischen Übungen genutzt wird. Dazu gibt es immer wieder Zeiträume, in denen das Schiff keine Position gesendet hat.
Russische Fischerei- und Kühlschiffe bei der Ladungsübergabe in Spitzbergen.
Alles weitere von hier an ist mit derzeit öffentlich zugänglichem Wissen spekulativ.
Norwegische Behörden, darunter der Sysselmester, haben schon geklagt, dass mit den vorhandenen Gesetzen, die den Frühzeiten der Seekabelverlegung stammen, heute nichts mehr anzufangen ist, so dass der Schutz der Tiefsee-Infrastruktur erst mal eine brauchbare juristische Grundlage braucht, bevor er umgesetzt werden kann.