Die Bohemanflya ist ein weitläufiges Flachland auf der Isfjord-Nordseite.
Die weitläufigen Küstenebenen (norwegisch: flya, sprich: „flüa“) sind ein typisches Phänomen der Küstengebiete Spitzbergens. Die Bohemanflya ist eine der größten dieser Küstenebenen. Sie liegt sehr zentral im Isfjord zwischen den Buchten Borebukta und Nordfjord, keine 30 Kilometer nordwestlich von Longyearbyen. Da sie so flach ist, fällt sie aus der Ferne allerdings kaum ins Auge, jedenfalls bei Betrachtung aus Meereshöhe.
Die Bohemanflya vom Nordenskiöldfjellet bei Longyearbyen, aus 28 km Entfernung.
Vorne rechts ist die Landspitze Bohemanneset.
Aus der Nähe betrachtet gibt es aber sehr vielfältige und interessante Eindrücke der Tundra, Tierwelt und Geschichte Spitzbergens, und auch die Landschaft vom Ufer bis hin zu den vielen Details der Tundra hat eine Menge zu bieten.
Ufer- und Tundralandschaft im Süden der Bohemanflya.
Dieser Landschaft wirklich nahe zu kommen, ist trotz der relativen Nähe zu Longyearbyen aber gar nicht unbedingt einfach: Die Küstengewässer sind überwiegend weitläufig flach und schlecht geschützt, so dass Anlandungen bei weitem nicht überall und auch nur bei gutem Wetter möglich sind, jedenfalls im südöstlichen Teil der Bohemanflya, der sehr exponiert im großen Isfjord liegt. Die äußerste Landspitze in diesem Bereich, das Bohemanneset, ist eine sehr schöne, interessante Ecke.
Das Bohemanneset ist eine schmale Landzunge im Südosten der Bohemanflya.
Die Bohemanflya gehört zum Nord Isfjord Nationalpark. Auf der Südseite liegt mit dem Boheman Fuglereservat ein besonders streng geschützter Bereich, wo man vom 15. Mai bis 15. August von den fraglichen Inselchen mindestens 300 Meter Abstand halten muss. Wobei es dort so flach ist, dass man das ohnehin tun wird. Mit nicht-motorisierten Booten (v.a. Kajaks) darf man aber nördlich der Inselchen im geschützten Bereich passieren, wobei man den fraglichen Bereich so weit wie möglich von den Inseln entfernt zügig durchfahren muss.
Geologie
Die Geologie ist vor allem an der Landspitze Bohemanneset und bei der alten Grubensiedlung Rijpsburg sehenswert. In diesem Bereich findet man Sandstein aus der unteren Kreidezeit, also mit einem Alter von über 100 Millionen Jahren. Dieser helle, grobschichte Sandstein wurde damals in Form sich schnell ins flache Schelfmeer vorbauender Flussdeltas abgelagert, nach einer kleinen Insel westlich des Grønfjord ist er Geologen lokal als „Festningen-Sandstein“ bekannt. Das ist insofern erwähnenswert, weil der Festningen-Sandstein vielerorts in Spitzbergen zu finden ist und auch landschaftlich-geologisch oft ins Auge fällt, etwa bei Kvalvågen an der Ostküste, wo man in genau diesem Sandstein Fußspuren von Iguanodons (Dinosaurier, 7-8 Meter groß) gefunden hat, wie auch bei Festningen im Isfjord. Abdrücke der dortigen Fußspuren sind im Museum in Longyearbyen und im Naturkundlichen Museum in Oslo zu sehen.
Festningen-Sandstein und Kohleflöz aus der unteren Kreidezeit am Bohemanneset.
Dino-Fußspuren sind von der Bohemanflya nicht bekannt, aber das, wovon die vegetarischen Iguanodons gelebt habe, ist in anderer Form überliefert: Aus der Vegetation der Küstensümpfe ist Kohle geworden, die sowohl am Bohemanneset als auch bei Rijpsburg gut sichtbar zutage tritt.
Weiter westlich und nördlich besteht die Bohemanflya aus älteren Sedimentgesteinen des Mesozoikums (Erdmittelalter, die Dino-Zeit), aus dem Jura und der Trias.
Sedimentschichten aus dem Jura in der Øienbukta.
Landschaft
Das auffälligste Landschaftsmerkmal der Bohemanflya ist die sehr weitläufige, flache Ebene: plattes Land! Nördlich des Bohemanneset erreicht ein flach ansteigener Hügel immerhin 67 Meter, und zu den nördlich anschließenden Bergen steigt das Flachland langsam an. Dazwischen erstreckt sich auf weiter Fläche flache Tundra mit Feuchtgebieten, kleinen Bächen und ein paar kleineren Seen.
Tundra. So schön kann ein Septembertag in Spitzbergen sein!
Die Ufer zu den benachbarten Buchten Borebukta und Yoldiabukta sind von weiten Moränenrücken bedeckt.
Die Gewässer vor den Ufern sind vor allem im Süden und im Osten weitläufig sehr flach, so dass man selbst mit kleinen Booten vorsichtig sein muss und auch gar nicht überall ans Ufer kommt. Hier setzt sich das Flachland einfach unter Wasser in den Isfjord fort.
Flora und Fauna
Auf weiter Fläche ist die Bohemanflya von flächiger Tundra bewachsen, und immer wieder findet man schöne, interessante Vegetationstypen von Feuchtgebieten bis hin zu salzbeeinflussten Artengemeinschaften in Ufernähe.
Ein Prachtexemplar eines Stängellosen Leimkrauts am Bohemanneset.
An manchen Stellen finden sich im Sommer viele schöne Blüten, manchmal auch die eine oder andere eher seltene Art wie das Polarschaumkraut oder die Mertensie, eine salztolerante Art, die in Strandnähe wächst.
Polarschaumkraut.
Es liegt auf der Hand, dass Rentiere in einer solche Landschaft keine Seltenheit sind, und auch Eisfüchse streifen umher und versuchen, einen der vielen Vögel zu erwischen: Von Gänsen, die auf der Tundra nach Nahrung suchen, über Prachteiderenten und Sterntauchern bei den kleinen Seen bis hin zu Meerstrandläufern am Ufer und Eiderenten, die auf den vorgelagerten Inselchen brüten, um nur ein paar charakteristische Beispiele zu nennen.
Eisfuchs, hier in der dunklen Variante („Blaufuchs“).
Geschichte
Westlich des Bohemanneset gibt es mit Rijpsburg ein sehr interessantes Stück Spitzbergengeschichte zu besichtigen: Hier baute der norwegische Eismeerkapitän, Robbenfänger und Abenteurer Søren Zachariassen 1898 einige hundert Kilo Kohle ab. Das hatten andere schon vor ihm an verschiedenen Stellen im Isfjord getan, aber Zachariassen tat das nicht für den Eigenbedarf, sondern mit der Idee, diese Kohle nach Tromsø zu bringen und dort zu verkaufen. Er gilt daher als der erste, der auf Spitzbergen kommerziellen Bergbau betrieb, auch wenn sowohl „kommerziell“ als auch „Bergbau“ mit Blick auf das, was Zachariassen dort tat, große Worte sind. Aber dennoch, Søren Zachariassen gebührt die Ehre, die sehr prägende Zeit des Bergbaus auf Spitzbergen eingeläutet zu haben. Sehr bald folgten weitere und in den folgenden Jahren wurden im Zuge des Bergbaus alle Siedlungen Spitzbergens gegründet.
Die Hütte bei Rijpsburg, in der Johansen und Lerner überwinterten. Der Name „Rijpsburg“ kam erst einige Jahre später in der holländischen Zeit, davor war der Ort als „Bohemanneset“ bzw. „Kap Boheman“ bekannt.
In der Hütte am Bohemanneset (genau genommen gut 2 Kilometer westlich der Landspitze) überwinterten 1907-08 Hjalmar Johansen und Theodor Lerner. Beide sind bekannte Gestalten der Polargeschichte: Johansen begleitete Fridtjof Nansen 1893-96 auf der Fram und auch auf dem berühmten Versuch, den Nordpol mit Skiern zu erreichen, einschließlich der darauf folgenden Überwinterung auf Franz Josef Land. Der Frankfurter Journalist, Abenteurer und Spitzbergenfahrer Theodor Lerner machte zahlreiche Expeditionen nach Spitzbergen und gelangte vor allem durch seinen Versuch, die Bäreninsel für sich, aber auch für den Kaiser in Besitz zu nehmen, als „Nebelfürst“ in der kleinen Welt Spitzbergens zu Ruhm.
Später übernahm eine niederländische Gesellschaft, die Nederlandse Spitsbergen Compagnie (kurz NeSpiCo) die Rechte an den Kohlefeldern auf der Bohemanflya und in „Green Harbour“ (Grønfjord). An beiden Orten begann sie mit Bergbau und benannte die Orte nach den Helden der niederländischen Expedition, die 1596 Spitzbergen entdeckte. Rijpsburg (nach Kapitän Jan Cornelis Rijp) wurde aber bald wieder aufgegeben, die Flöze waren nicht ausreichend wirtschaftlich und vor allem war es wegen der flachen Gewässer völlig unmöglich, Kohle in größeren Mengen zu verschiffen.
Eingang zu einem kurzen Erkundungsstollen westlich von Rijpsburg,
genaues Alter unbekannt.
Der zweite Ort war Barentsburg, und den gibt es bekanntermaßen immer noch. Barentsburg und Rijpsburg gingen Anfang der 1930er Jahre in russische Hände über.
Russisches Schild zur Sicherung von Rechten von 1970. Mittlerweile ist die gesamte Gegend Nationalpark. Damit ist Bergbau ausgeschlossen.
1925-26 überwinterte noch einmal ein Trapper in Rijpsburg, der Norweger Arne Olsen, der aber nach einer einsamen Überwinterung im April 1926 an Skorbut starb – als letzter auf Spitzbergen. Sein Grab ist auf dem Friedhof in Longyearbyen.
Etwas nördlich von Rijpsburg gibt es unter ein paar Felsbrocken Reste eines alten Grabes. Wahrscheinlich handelt es sich bei dem dort begrabenen Mann um einen Pomoren aus dem 18. oder frühen 19. Jahrhundert, früher gab es dort Reste eines Grabkreuzes russisch-orthodoxer Form.
Grab eines Pomoren in der Nähe von Rijpsburg.
Fotogalerie Bohemanflya
Einige Eindrücke von der schönen Landschaft und Natur.
Lofoten, Jan Mayen und Spitzbergen aus der Luft – Dieses Buch ist eine Luftbildreise durch die Landschaften des arktischen Norwegens: die Lofoten, Jan Mayen und Spitzbergen.
Das Buch zum Poster Svalbardhytter. Das Poster visualisiert die Vielfalt der Hütten Spitzbergens in einer Vielfalt arktischer Landschaften. Dieses Buch erzählt die Geschichten der Hütten auf drei Sprachen.
Spitzbergen – Svalbard. Arktische Naturkunde und Geschichte in Wort und Bild. Hintergründe, Routen & Regionen, Praktisches. Umfassender Reiseführer zur arktischen Inselgruppe Spitzbergen mit 592 Seiten.
Scoresbysund Hot Dogs – Mit Hundeschlitten in Grönland
Hundeschlittenfahrten auf der Rückseite von Grönland - Grönland ist nicht gerade der Nabel der Welt. Die meisten Grönländer leben an der Westküste ihrer Insel, so dass die fast unbewohnte Ostküste selbst in Grönland einen Ruf von Abgelegenheit genießt – es ist die »Rückseite« von Grönland.
Nach einer Reihe von Besuchen auf der wilden, faszinierenden Insel Jan Mayen musste ich einfach aufschreiben, was es dazu zu wissen gibt, da gute Literatur, soweit überhaupt vorhanden, bislang nur auf englisch und norwegisch vorhanden ist.
Eine Skiwanderung im Liverpool Land – Im Lichtwinter haben wir – fünf Menschen und ein Hund – eine vierwöchige Skiwanderung im Osten von Grönland gemacht und dabei eine Menge erlebt. Mein ausführliches Tagebuch von dieser Tour habe ich in überarbeiteter Form als Buch herausgebracht.
Die Lebensgeschichte von Cymba, dem Albatros aus Südgeorgien - Die Nebel der Zeit von James McQuilken, übersetzt und herausgegeben von Rolf Stange, Deutsche Erstausgabe im November 2012.