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Die Tour nach Sør Jan – 17.-19. Juni 2016

Die Son­ne lacht, der Wind macht einen Bogen um Jan May­en. Unter die­sen Umstän­den ver­lie­ren wir kei­ne Zeit, son­dern machen uns direkt start­klar für die grö­ße­ren Tou­ren. Die meis­ten zieht es natür­lich nach Nor­den, zum Bee­ren­berg und in des­sen Umge­bung, zur Nord­la­gu­ne, zur Maria Musch­buk­ta, zur Eggøya und so wei­ter.

Ich mache es anders und schla­ge die Gegen­rich­tung ein. Nord Jan ist mir ins­ge­samt schon gut bekannt, im Süden hin­ge­gen wei­sen die Land­kar­te in mei­nem Kopf sowie mein Foto­ar­chiv noch bedenk­li­che Lücken auf. Dage­gen muss etwas getan wer­den! Die Gele­gen­heit ist güns­tig.

Wäh­rend also die Mehr­heit nach Nor­den zieht – drei von ihnen wer­den, das sei bereits ver­ra­ten, in einem ziem­lich schnel­len, effi­zi­en­ten Gip­fel­sturm den Bee­ren­berg-Gip­fel errei­chen – geht es für mich nach Süden. Der Blick über den buck­li­gen Hügel­rü­cken von Mid Jan zum Bee­ren­berg, der sich nach und nach in vol­ler, son­ni­ger Pracht zeigt, könn­te kaum über­wäl­ti­gen­der sein. Im Süden erstreckt sich das ver­wir­ren­de Laby­rinth aus Hügeln und Kra­tern von Sør Jan.

Gale­rie 1 – Die Tour nach Sør Jan – 17.-19. Juni 2016

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Das tie­fe, wei­che Moos, das hier auf wei­ten Flä­chen wächst, die unge­naue Kar­te, die Unvor­her­seh­bar­kei­ten im Gelän­de, all das trägt dazu bei, aus einer län­ge­ren Tour auf Jan May­en schnell einen Marsch mit Expe­di­ti­ons­cha­rak­ter zu machen. Dafür sorgt zudem auch der stän­di­ge, laten­te Was­ser­man­gel: bald nach der Schnee­schmel­ze trock­nen die weni­gen Bäche aus, und Seen gibt es ohne­hin kaum. Somit ist man auf die Schnee­fel­der ange­wie­sen, um sich Was­ser zu ver­schaf­fen. Ohne Kocher also kein Was­ser. Unter­wegs ein schnel­ler Schluck ist nicht bezie­hungs­wei­se nur in dem Maße, in dem man auch schleppt. Ich ler­ne den Durst auf die­ser Tour, wie schon frü­her auf Jan May­en, als gro­ßen, gemei­nen Bru­der des Hun­gers ken­nen. Wäh­rend der vie­len Kilo­me­ter über stau­bi­ge, tro­cke­ne Lava­fel­der aus scharf­kan­ti­gen Fels­bro­cken habe ich mir Roma­ne über­legt, die ich über den Durst schrei­ben könn­te. Er beherrscht bald nicht nur das Gefühl im Mund, son­dern bald auch die Gedan­ken im Kopf. Die Vor­stel­lung von einem spru­deln­den Wäs­ser­lein wird zum Para­dies, ein küh­les Bier­chen sein Gewicht in Gold wert.

Natür­lich alles fern jeg­li­cher ech­ter Gefahr, nur ein schon eini­ger­ma­ßen aus­ge­präg­tes, mit­un­ter sehr unbe­hag­li­ches Gefühl ist mein stän­di­ger Beglei­ter auf wei­ten Tei­len die­ser Tour. Immer habe ich das nächs­te Schnee­feld im Blick, die Pla­nung rich­tet sich nach Kilo­me­tern im Gelän­de und Litern Trink­was­ser im Ruck­sack.

Natür­lich tra­gen auch die seit 2010 neu­en gesetz­li­chen Bestim­mun­gen dazu bei, Wan­de­rern hier das Leben schwer zu machen. Genau das und wohl nichts ande­res ist auch der Sinn der Sache. Ein Camp im Gelän­de ist genau­so ver­bo­ten wie ein Land­gang außer­halb der Kval­ross­buk­ta (oder bei der Sta­ti­on). Trotz sel­ten ruhi­ger Ver­hält­nis­se am Ufer ist ein schnel­les Brin­gen oder Abho­len mit dem Boot kei­ne Opti­on, dage­gen ste­hen unge­zähl­te Kilo­me­ter auf der schnell sehr lang­wei­li­gen Stra­ße nach Nor­den oder Süden, dort­hin, wo land­schaft­lich das Feu­er brennt. Nun, über den Sinn oder viel­mehr den Unsinn die­ser Geset­ze habe ich mich schon aus­ge­las­sen und wer­de das bei pas­sen­der Gele­gen­heit sicher wie­der tun. Hier nun genug davon.

Das sind also die Rah­men­be­din­gun­gen, unter denen wir nun über Jan May­en zie­hen. Fast gleich wie die Tour auf den Bee­ren­berg, umfasst mei­ne Wan­de­rung gut 60 Kilo­me­ter und eine gan­ze Men­ge Höhen­me­ter, wenn auch nicht hin­auf auf einen pro­mi­nen­ten Berg, son­dern hügel­auf und han­gab in mun­te­rem Wech­sel, dut­zen­de von Malen.

Die kur­ze Que­rung der Insel vom obe­ren Troll­d­a­len zurück auf die Nord­sei­te bringt mich in die Sju­hol­lend­ar­buk­ta. Dort und nicht in der Kval­ross­buk­ta haben nach Mei­nung der öster­rei­chi­schen Expe­di­ti­on von 1882-83 (Ers­tes Inter­na­tio­na­les Polar­jahr) die tra­gi­schen Hel­den der berühm­ten Über­win­te­rung von 1633-34 die Dun­kel­zeit ver­bracht, nur um im Früh­jahr alle­samt an Skor­but zu ster­ben. Wo genau sie tat­säch­lich ihre letz­ten Mona­te ver­brach­ten, weiß heu­te kei­ner mehr. Heu­te ist die Sju­hol­lend­ar­buk­ta eine fried­li­che, schö­ne Bucht mit wei­tem, schwar­zem Strand aus zer­rie­be­nem Vul­kan­ge­stein, inmit­ten wei­ter, schrof­fer, moos­be­wach­se­ner Lava­fel­der.

Ähn­li­ches gilt für die Titeltbuk­ta. Auch hier waren vor 400 Jah­ren die nie­der­län­di­schen Wal­fän­ger vor Ort, von ihren „10 Häu­sern“ (zehn Zel­te = ti telt) ist natür­lich eben­falls nichts mehr zu sehen. Dafür trotzt dort schon seit über 100 Jah­ren eine klei­ne Trap­per­hüt­te dem Wind. Auf dem schwar­zen Sand wächst über­all die in Spitz­ber­gen so sel­te­ne Mer­ten­sie, in den Lava­fel­dern erstre­cken sich unglaub­lich bun­te Fli­cken­tep­pi­che aus Moo­sen und Flech­ten.

Über­haupt, die Lava­fel­der. Wenn Jan May­en kei­ne eige­nen Sagen und Mythen über Elfen und Trol­le hat, dann liegt das nur dar­an, dass es nicht schon seit mehr als 1000 Jah­ren besie­delt ist wie das benach­bar­te Island. Natür­lich gibt es hier Gno­me, Kobol­de und alle mög­li­chen Gestal­ten aus der Unter­welt wie eben die bekann­ten Rie­sen mit der kräf­ti­gen Son­nen­all­er­gie, die auf die direk­ten Strah­len unse­res Mut­ter­ge­stirns mit unmit­tel­ba­rem Ver­stei­nern reagie­ren. Einer woll­te mir gera­de den Weg wei­sen, als es ihn traf.

Ansons­ten hier unter­wegs: Schild­krö­ten, Kämp­fer, Bur­gen und Tür­me, Rie­sen­wür­mer und Rei­ter … alles mög­li­che und noch eini­ges mehr. Unglaub­lich, was hier frü­her los gewe­sen sein muss! Heu­te ste­hen sie alle zu scharf­kan­ti­gem Lava­ge­stein erstarrt in der Moo­stun­dra her­um und schau­en stumm der Welt­ge­schich­te hin­ter­her, die hier und heu­te nur aus einem ein­sa­men Wan­de­rer mit einem gro­ßen Ruck­sack besteht.

Gale­rie 2 – Die Tour nach Sør Jan – 17.-19. Juni 2016

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Allei­ne bin ich aber nicht. In den Lava­fel­dern brü­ten über­all Krab­ben­tau­cher unter den Fel­sen, über Kilo­me­ter hin­weg in Zah­len, die kei­nen Ver­gleich mit den dich­tes­ten und größ­ten Kolo­nien Spitz­ber­gens zu scheu­en brau­chen. Stän­di­ges Geschrei und irres Geläch­ter, in der Luft rauscht und surrt es bestän­dig, wenn die gro­ßen Schwär­me im Tief­flug über mich hin­weg­ra­sen. In fla­che­rem Gelän­de ver­tei­di­gen Sku­as und Schma­rot­zer­raub­mö­wen mit aggres­si­ver Hin­ga­be ihre Ter­ri­to­ri­en, und auf einer Ufer­la­gu­ne in der Gui­neabuk­ta gur­ren Eide­r­en­ten, die ver­steckt in den Lava­strö­men ihre Gele­ge haben.

Am Süd­west­ende von Jan May­en erstreckt sich ein halb­wegs fla­ches Land, die Kra­ter­flya. Hier ist der Name Pro­gramm: meh­re­re schö­ne, klei­ne Kra­ter und Schla­cken­ke­gel erhe­ben sich ver­streut über ihre Umge­bung, dar­un­ter der Rich­ter­kra­ter, der aus wel­chen Grün­den auch immer bekann­ter ist als sei­ne vie­len Kol­le­gen. Nicht, dass er anders aus­sä­he als die­se. Auch an den Eis­kei­len, die sei­ne stei­len, moos­über­wach­se­nen Hän­ge mit geo­me­tri­schen Mus­tern deko­rie­ren, kann es nicht lie­gen, die gibt es noch andern­orts auch auf Jan May­en. Viel­leicht ein­fach, weil er ganz am Ende der Insel so schön nah am Ufer steht, dass man, wenn man mit dem Schiff vor­bei fährt, ein­fach den­ken muss: was für ein schö­ner Kra­ter, dich will ich mal besu­chen! Genau das habe ich schon so eini­ge Male gedacht, und nun hat­te sich eine Tür geöff­net, Zeit und Wet­ter spie­len auf mei­ner Sei­te. Also bin ich hier.

Das Flach­land zwi­schen Gui­neabuk­ta und Rich­ter­kra­ter hat man ein­mal Hel­hei­men genannt, das Heim der Höl­le. Ganz so schlimm ist es nicht, aber ganz ohne Grund eben­falls nicht, denn dort erstreckt sich noch ein­mal ein beson­ders gemei­ner, zacki­ger, schrof­fer Lava­strom, der Wan­der­stie­feln und Geh­mus­keln kräf­tig zusetzt. Bloß vor­sich­tig, hier darf man sich kei­nen Fehl­tritt erlau­ben, ein Bein­bruch wäre hier nicht nur ein Bein­bruch.

Dann ste­he ich bald auf dem Rand des Rich­ter­kra­ters und erfreue mich an den bizar­ren Ein­drü­cken der Lava­strö­me und Vul­kan­kra­ter in mei­ner Umge­bung und dar­an, dass ich wie­der ein­mal ein schon lan­ge geheg­tes Ziel erreicht habe. Mei­ne Füße wei­sen mich dar­auf hin, dass das nicht ganz ohne Preis zu haben ist, aber bevor ich wie­der den Weg nach Nor­den ein­schla­ge, gehe ich noch hoch auf die Klip­pen Rich­tung Süd­kap von Jan May­en. Senk­rech­te, schrof­fe Fel­sen, auf denen Eis­mö­wen und Eis­sturm­vö­gel krei­schen und mich miss­trau­isch beäu­gen. Wie hin­durch­ge­sto­ße­ne Klin­gen ragen Klip­pen aus vul­ka­ni­schen Gang­ge­stei­nen über das Ufer. Um die Ecke im Osten rollt nun der Nebel her­an, wie um mir zu sagen: bis hier­hin woll­test du, bis hier­hin habe ich dich gelas­sen, aber wei­ter nicht. Ich kann nur zustim­men und mache mich auf den Rück­weg. Der ist auch noch weit genug.

Gale­rie 3 – Die Tour nach Sør Jan – 17.-19. Juni 2016

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Letzte Änderung: 12. August 2016 · Copyright: Rolf Stange
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