Spitzbergen war bis ins frühe 20. Jahrhundert Niemandsland. Verschiedene Nationen vor allem in Nordeuropa hatten sich verschiedentlich für die Inseln interessiert, aber es war nicht wichtig genug, um ernsthafte Verhandlungen zu starten. Man begnügte sich damit, dass Svalbard neutral blieb; solange niemand anders Ansprüche erhob, gab es keinen Grund, hier zu verhandeln und womöglich auf anderen, wichtigen Feldern die Position zu schwächen. Die meisten Ressourcen wie Wale und Fische waren ohnehin nicht an das Land gebunden.
Die Lage änderte sich im späten 19. Jahrhundert, als Bergbau immer wichtiger wurde. Die Frage nach den Besitzverhältnissen wurde nun auf einmal wichtig, und es bestand Bedarf an verlässlichen Rahmenbedingungen wie einem gültigen Regelwerk und einer funktionierenden Verwaltung. Verschiedene Möglichkeiten wurden diskutiert, wie z.B. eine gemeinsame Verwaltung durch die nächsten Nachbarn Norwegen, Schweden und Russland.
Der erste Weltkrieg lenkte die allgemeine Aufmerksamkeit weitab von Spitzbergen. Während der anschließenden Friedenskonferenzen konnten die Norweger durch geschickte Diplomatie die anderen Staaten überzeugen, Svalbard unter ihre Oberhoheit zu stellen. Dies wurde formell im Spitzbergenvertrag geregelt, der 1920 in Versailles unterschrieben wurde und 1925 in Kraft trat.
Fredrik Wedel Jarlsberg, der norwegische Gesandte in Paris,
unterschreibt am 09. Februar 1920 in Versailles den Spitzbergenvertrag.
Spitzbergen wurde jedoch nicht Teil Norwegens wie die Gebiete auf dem Festland. Der Vertrag legt einige Sonderregelungen fest, so z.B.:
Spitzbergen ist unter norwegischer Verwaltung und Gesetzgebung.
Bürger aller Signatarstaaten haben freien Zugang und die gleichen Rechte auf wirtschaftliche Nutzung (Gleichbehandlungsprinzip).
Spitzbergen ist demilitarisierte Zone. Kein Land einschließlich Norwegen darf Militär dauerhaft stationieren.
In der Praxis ist das nicht immer eindeutig; vor allem die Frage, was militärisch ist und was nicht, war zu verschiedenen Gelegenheiten schwierig. Als 1975 der Flughafen bei Longyearbyen eröffnet wurde, protestierte die Sowjetunion, da der Flughafen ihrer Meinung nach militärisch genutzt werden könnte. Der Umfang der Helikopterflotte bei Barentsburg in besten Zeiten des kalten Krieges konnte hingegen schwerlich mit dem tatsächlichen Bedarf einer Bergbausiedlung erklärt werden. Schließlich müssen Startvorrichtungen für Raketen zur Erforschung höherer Atmosphärenschichten nach jedem Start umständlich wieder demontiert und aufs Festland gebracht werden.
Ein wichtiges Schlüsselwort ist dabei „dauerhaft“. Die vorübergehende Präsenz militärischen Personals und Ausrüstung ist nicht vertragswidrig. Die Küstenwache, die in Norwegen zum Militär gehört, übt regelmäßig norwegische Hoheitsrechte in den Gewässern Spitzbergens aus. Man könnte aus dem Vertrag herauslesen, dass auch militärische Kräfte anderer Nationen sich vorübergehend in Spitzbergen aufhalten dürfen. Im April 2016 erregte die kurzzeitige Präsenz russischer und tschetschenischer Soldaten am Flughafen von Longyearbyen Aufmerksamkeit. Diese waren auf dem Weg zu einer Übung beim russischen Eiscamp Barneo in der Nähe des Nordpols. Natürlich stieß die Anwesenheit russischer und tschetschenischer Spezialkräfte im Flughafen Longyearbyen in Norwegen auf wenig Sympathie, ein Vertragsbruch war dies nach Aussage norwegischer Behörden aber wohl nicht. In ihrem White Paper Svalbard 2008-2009 (Kapitel 3.1.5 Abschnitt c, auf Seite 23 der pdf-Version) zur Spitzbergenpolitik macht die norwegische Regierung aber deutlich, dass sie jegliche militärische Präsenz im Geltungsbereich des Spitzbergenvertrages, also an Land und innerhalb der Zwölfmeilenzone, als illegale Einschränkung ihrer Souveränität betrachten würde: „Enhver fremmed militær aktivitet på Svalbard er forbudt og ville innebære en grov suverenitetskrenkelse.“ („Jegliche fremde militärische Aktivität in Svalbard ist verboten und würde eine grobe Verletzung der Souveränität bedeuten“, eigene Übersetzung). Klare Worte. Vielleicht hat man sich 2016 in Oslo nicht getraut, diese im Bedarfsfall gegenüber dem mächtigen Nachbarn Russland auch in dieser Deutlichkeit auszusprechen.
Russland ist neben Norwegen das einzige Land, das von seinem Recht, Bergbau zu betreiben und in Spitzbergen Präsenz zu zeigen, in größerem Umfang Gebrauch macht. Während des Kalten Krieges haben die Bewohner der Siedlungen sich jeweils misstrauisch beäugt, jedoch friedlich nebeneinander gelebt. Heute gibt es regelmäßig offizielle und private Kontakte zwischen Barentsburg und Longyearbyen.
Insgesamt funktioniert der Spitzbergenvertrag gut. Er ist als – soviel ich weiß – einziger der 1920 in Versailles geschlossenen Verträge noch in Kraft und wird im Grundsatz auch von niemandem in Frage gestellt, auch wenn Russland schon gemunkelt hat, dass man den Vertrag neu verhandeln müsste und Spitzbergen sogar als potenziellen Konfliktfall bis hin zu einem möglichen Krieg sehe, so der Barentsobserver in einem Beitrag von 2017. Drastische Rhetorik!
Der einzige Aspekt, wo Norwegen mit seiner Position gegenüber vielen anderen Staaten – darunter Russland und die EU – etwas alleine da steht, ist die Frage nach den Nutzungsrechten auf See. Hier ist der Vertrag nicht eindeutig, da das Seerecht in seiner heutigen Form erst in den 1980er Jahren geschaffen wurde. Norwegen geht davon aus, dass das Nutzungsrecht, das der Vertrag den Bürgern anderer Vertragsstaaten einräumt, nur innerhalb der Zwölfmeilenzone gilt (bis 2004: Viermeilenzone, dann wurden die Territorialgewässer neu definiert). Der außerhalb der Zwölfmeilenzone liegende Schelfbereich, die 200-Meilenzone, seien hingegen ausschließlich norwegische Wirtschaftszone. Mit Blick auf Fischerei sowie Öl und Gas überrascht es nicht, dass andere Staaten das anders sehen. Insbesondere Russland sowie Lettland haben in jüngerer Vergangenheit ihre Standpunkte gegenüber Oslo deutlich gemacht. Lettland trat dem Spitzbergenvertrag am 13. Juni 2016 als aktuell (9.2.2020) letztes Land bei, ein paar Monate nach Nordkorea (!). In Norwegen besteht man aber bislang weiterhin auf dem eigenen Standpunkt. Ein ergänzender, internationaler Vertrag, wozu Norwegen aber keinen Bedarf sieht, oder eventuell ein Urteil des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag könnten hier für Klarheit sorgen. Der Spitzbergenvertrag selbst lässt sich kaum ändern, das könnte wohl nur durch eine neue Vertragsstaatenkonferenz oder aber durch Gewalt geschehen. Beide Szenarien wirken derzeit sehr unwahrscheinlich. Möge es so bleiben.
Mitgliedsländer im Spitzbergenvertrag.
Erst nach Inkrafttreten des Spitzbergen-Vertrages führte Norwegen übrigens das alte Wort »Svalbard« als Bezeichnung für die ganze Inselgruppe wieder ein. Davor war es kaum in Gebrauch.
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