Natur und Geschichte eines Fjords im Norden Spitzbergens
Der Woodfjord ist ein großer Fjord an der Nordküste Spitzbergens.
Auf seiner Westseite liegen der Liefdefjord und der Bockfjord.
Allgemeines
Der Woodfjord ist ein großer Fjord an der Nordküste Spitzbergens. Genau genommen, handelt es sich um ein ganzes Fjordsystem mit mehreren Verzweigungen: Der Liefdefjord und der kleinere Bockfjord gehören ebenfalls zum Woodfjord-Gebiet.
Die Westseite des Woodfjords gehört zum Nordwest-Spitzbergen-Nationalpark, die Inselgruppen im Eingang des Liefdefjord sind Vogelschutzgebiet (siehe Liefdefjord). Die Ostseite des Woodfjords ist kein Schutzgebiet, unterliegt aber natürlich dem überall geltenden Spitzbergen-Umweltgesetz.
Blick von Nord nach Süd über den äußersten Teil des Woodfjord (Gråhuken).
Der Woodfjord schneidet leicht geschwungen gut 60 Kilometer von Nord nach Süd in die Insel Spitzbergen hinein. Von den genannten Fjorden abgesehen, hat er keine größeren Verzweigungen und nur wenige, eher kleine Buchten; nur kleine Landvorsprünge gliedern die Küste, und Inseln gibt es nicht (die Stasjonsøyane und Måkeøyane gehören zum Liefdefjord, auch wenn das ein wenig geographische Haarspalterei sein mag). Im Vergleich mit vielen anderen Fjorden Spitzbergens, die viel stärker durch Buchten, Halbinseln und Inseln gegliedert sind, ist der Woodfjord also eher ein langer Schlauch.
Blick von Süd nach Nord über den innersten Teil des Woodfjord.
Eine geomorphologisch-hydrographische Besonderheit sind die Tiefenverhältnisse: Der Woodfjord ist fast überall auch in Ufernähe ziemlich tief, im inneren Teil 60-100 Meter, nördlich von Bockfjord und Verdalspynten sind die Tiefen sogar größer als 100 Meter. Das Besondere ist, dass die recht große Wassertiefe sich bis in unmittelbare Ufernähe erstreckt, wo der Fjordboden dann recht steil zum Ufer ansteigt. Das bringt mit sich, dass zumindest kleinere Schiffe kaum geeignete Ankerplätze finden, da es fast überall entweder zu flach oder zu tief ist zum Ankern, dazwischen ist kaum Platz!
Und wenn die übergeordnete Windrichtung Nord-Süd verläuft, ist der Woodfjord ein Windkanal, in dem es heftig bläst. Aber an einem guten Tag ist die Landschaft mit ihren roten Hängen und grüner Tundra unvergleichlich schön und beinahe lieblich, jedenfalls im Vergleich zum westlich benachbarten Liefdefjord mit seinen großen Gletschern und schroffen Bergen. Beides gibt es so im Woodfjord nicht, dort erreicht kein Gletscher das Ufer, tatsächlich sind vom Wasser aus nur wenige kleinere Gletscher überhaupt sichtbar. Das Andrée-Land zwischen Woodfjord und dem Wijdefjord weiter östlich gehört zu den am wenigsten vergletscherten Inlandregionen Spitzbergens.
Woodfjord-Panorama
Über mehrere Stellen im Woodfjord gibt es spezielle Seiten mit 360-Grad-Panoramen, Fotogalerien und Hintergrundinformationen:
Velkomstpynten ganz im Nordosten der Reinsdyrflya. Dort steht noch ein ruinöser Rest einer Trapperhütte des berühmten Stockholm-Sven.
Gråhuken ganz im Norden, wo Christiane Ritter überwinterte („Eine Frau erlebt die Polarnacht“, siehe Abschnitt Geschichte unten).
Wigdehlpynten, eine kleine Halbinsel mit typischer Landschaft für die Gegend im inneren Woodfjord.
Geologie
Die Geologie der Region ist so prägnant und augenfällig, dass es sich lohnt, sich etwas damit zu beschäftigen. Das erfordert keine großen Vorkenntnisse, sondern vor allem etwas entsprechendes Interesse. Also nur zu 🙂
Man kann auch den entsprechenden Abschnitt auf der Seite Liefdefjord lesen. Der Woodfjord ist einfacher aufgebaut als der Liefdefjord, hier gibt es an der Oberfläche das Grundgebirge nicht, das den Liefdefjord teilweise prägt.
Das erdgeschichtliche Baumaterial des Woodfjords lässt sich mit einem einzigen Begriff treffend beschreiben: Old Red. In kurzen Worten: Das Old Red ist ein gewaltiges Paket aus abgelagerten Gesteinsschichten, die rund 400 Millionen Jahre alt sind. Kurz zuvor (also, aus der Perspektive geologischer Zeitskalen) hatte sich aufgrund einer Kollision tektonischer Platten eine Gebirgskette gebildet: das kaledonische Gebirge. Wie jede über ihre Umgebung herausragende Landmasse wurde das kaledonische Gebirge unmittelbar nach Beginn der Hebung von der Abtragung angegriffen, und der Erosionsschutt sammelte sich im Flachland in der Nachbarschaft des Gebirges. Da diese Flachländer sich gleichzeitig absenkten, konnten sich gewaltige Sedimentstapel ansammeln, die mehr als zehn Kilometer Mächtigkeit („Dicke“) erreichten.
In der frühen Phase dieses Vorgangs, als das Gebirge gerade frisch gehoben war und die Höhenunterschiede auf kurzer Distanz entsprechend groß waren, war der abgelagerte Schutt ziemlich grob, so dass sich Brekkzien und Konglomerate bildeten, abgelagert von schnellfließenden Wildbächen, als Hangschutt und Schuttfächer: typische Sedimentationsräume am Rande eines jeden Hochgebirges.
Später wurden die Höhenunterschiede geringer und die Sedimentation entsprechend ruhiger und feinkörniger: Siltstein, der aus in weiten Seen und Lagunen abgelagertem Schlick entstand, oder wohlsortierter Dünensand, um zwei Beispiele zu nennen. Mitunter verschwand das Tiefland sogar unter einem flachen Meer.
Fossilienfunde sind im Woodfjord selten. Abdruck einer Muschel bei Gråhuken.
Aufgrund der damaligen klimatischen Bedingungen entstand in großen Mengen das Eisenoxid Hämatit, das dem so entstandenen Sediment eine kräftige rotbraune Färbung verleiht. Das Hämatit gibt es allerdings nicht im gesamten Sedimentstapel. Der rote Teil der Ablagerung ist namensgebend, aber der gesamte Ablagerungsschutt des kaledonischen Gebirges wird als Old Red bezeichnet. Die Zeit, in der das Old Red abgelagert wurde, war das Devon.
Der Woodfjord: eine Old Red Landschaft.
Es ist nicht selbstverständlich, dass ein Schichtpaket einen so langen Zeitraum wie fast 400 Millionen Jahre überlebt. Dabei half, dass das Ablagerungsgebiet sich absenkte, so dass die Gesteinsschichten in einer Senke vor Abtragung geschützt waren (im Gegensatz zum Hebungsgebiet=Gebirge, wo es geologisch schnell zu intensiver Abtragung kommt). Die Absenkung erfolgte entlang großer geologischer Brüche. Die entstehende Struktur nennt man Graben. Das ganze Gebiet des Woodfjord und östlich davon bis zum Wijdefjord ist ein riesiger geologischer Graben; nach der Landschaft zwischen Woodfjord und Liefdefjord nennt man diese Struktur den Andrée Land Graben.
Die roten Anteile des Old Red findet man vor allem im inneren Woodfjord. Im nördlichen Teil ist das Gestein eher dunkelgrau (Ortsname: „Gråhuken“ = graue Landspitze). Im südlichen Bereich sind die Berge kräftig rot. Bei gutem Licht und Wetter ein fantastischer Landschaftseindruck!
Grauer Anteil des Old Red („Grey Hook formation“), Mushamna.
Auf der Westseite des Fjords, auf der Reinsdyrflya, hat man auch im Norden den roten Anteil des Old Red.
Damit haben wir 99 % der Geologie um den Woodfjord abgedeckt. Für die speziell Interessierten sei noch erwähnt, dass es im Miozän (Jungtertiär, vor ca 15 Millionen Jahren) zu vulkanischer Aktivität kam. Lavaströme füllten die flachen Täler der damals flachhügeligen Landschaft. Später wurde diese Landschaft durch Erosion kräftig zerschnitten und abgetragen. Dabei erwiesen die Lavaströme sich als widerstandsfähiger als die aus Sandstein bestehende Umgebung. Das hatte zur Folge, dass aus den lavagefüllten ehemaligen Tälern später Berggipfel wurden: sogenannte Reliefumkehr. Tatsächlich kann man ein paar Reste lokal auf den Berggipfeln im inneren Woodfjord (Ostseite) sehen.
Vorne: Old Red aus dem Devon. Hinten/oben: ehemalige Lavaströme aus dem Miozän.
Hinterland des Verdalspynten.
Im Quartär (Eiszeitalter) kam es noch einmal zu Vulkanismus, was vor allem im Bockfjord sichtbar ist, wo es noch eine völlig erodierte Vulkanruine und ein paar lauwarme Quellen gibt. Im Woodfjord gibt es noch eine erodierte Schlotfüllung, den Halvdanpiggen, der wie eine große Säule aus Vulkangestein in 800 Metern Höhe am Berghang steht. Das ist aber nur ein kleines geologisches Details, das eher als Kuriosität und der Vollständigkeit halber erwähnt wird.
Der Halvdanpiggen (rechts der Bildmitte), ein erodierter Vulkanschlot.
Landschaft
Die Landschaft hat aufgrund der speziellen lokalklimatischen und geologischen Hintergründe einige besondere Züge. Am auffälligsten ist wahrscheinlich, dass es im Gegensatz zu allen Fjorden weiter westlich und östlich keinerlei Gletscher in Meereshöhe oder auch nur in der Nähe des Ufers gibt. Stattdessen gibt es etliche teilweise recht große eisfreie Täler, was großräumig klar eine Abweichung von der landschaftlichen Normalität ist.
Das Verdalen: ein großes, unvergletschertes Tal im Andrée Land.
Um den nördlichen Woodfjord, vor allem um Gråhuken, gibt es ufernah ausgedehntes Flachland, das aufgrund der nacheiszeitlichen Landhebung fast flächendeckend von alten Strandwällen bedeckt ist.
Küstenebene mit Strandwallserien bei Gråhuken.
Im inneren Teil des Fjords werden die Flachlandanteile deutlich kleiner, dort ist flaches Land auf ein paar Landspitzen und von Flussebenen ausgefüllte Täler beschränkt. Ansonsten treten die Berge recht steil bis ans Ufer, wobei die Berge nicht so schroff-alpin sind wie weiter westlich, etwa im Liefdefjord oder an der Nordwestecke Spitzbergens. Die aus Old Red bestehenden Bergregionen im Woodfjord weisen überwiegend eher runde, sanfte Hangformen auf. Die Geologie kontrolliert eben zu einem großen Teil die Landschaft!
Flachland am Verdalspynten.
Es gibt noch ein paar lokale Besonderheiten. Die bekannteste davon ist sicher die Lagune von Mushamna, wo eine lange, schmale Nehrung eine Bucht bis auf einen schmalen Eingang vollständig vom Fjord abschneidet. Daher gehört die Lagune von Mushamna zumindest für kleinere Schiffe, die hineinfahren können, zu den am besten geschützten und schönsten Ankerstellen Spitzbergens.
Einfahrt in die Lagune von Mushamna.
Für die speziell Interessierten gehört der Pingo im Verdalen noch zu den geomorphologischen Highlights der Region, auch wenn es sicher nicht der spektakulärste Pingo Spitzbergens ist. Aber immerhin ist es einer von recht wenigen Pingos, die sich überhaupt einigermaßen in Ufernähe befinden.
Im innersten Teil des Fjords hat der Rückzug der Gletscher eine riesige Moränenlandschaft hinterlassen, in der der See Jäderinvatnet liegt, von dem aus ein großer Schmelzwasserfluss zum Ufer fließt. Direkt östlich schließt mit dem Woodfjorddalen eines der größten eisfreien Täler Nordspitzbergens an. Die roten Farben dieser Landschaft an einem schönen Sommertag, wenn der Himmel blau leuchtet und die Tundra saftig-grün, ist einmalig schön!
Flora und Fauna
Es ist nicht selten, dass ein Eisbär irgendwo im Woodfjord umherstreift, und Rentiere ziehen durch die Tundra, wenn auch in eher bescheidener Zahl. Aber insgesamt ist die Tierwelt im Woodfjord doch eher überschaubar: Es gibt keine Walrosskolonien (natürlich kann im Einzelfall auch mal das eine oder andere Walross irgendwo am Ufer liegen) und keine größeren Seevogelklippen. Dafür hat vor allem der nördliche Teil des Woodfjords zu Recht einen guten Ruf als Gewässer, in dem regelmäßig Wale nach Futter suchen, mitunter auch die großen Finn- und Blauwale.
Blauwal im äußeren Woodfjord.
In den Flachlandgebieten gibt es weitgehend flächendeckende Tundravegetation, wobei das Gebiet um Gråhuken sehr karg ist. Auf der Reinsdyrflya ist der Untergrund pflanzenfreundlicher und die Vegetation damit flächiger.
Steppenartige Vegetation im inneren Woodfjord.
Im Fjordinneren kann man der Vegetation und dem Untergrund ansehen, dass das Lokalklima vergleichsweise warm und trocken ist. Hier ist die Silberwurz recht häufig, und Trockenrisse und Mineralausblühungen an der Oberfläche zeugen davon, dass stellenweise mehr Feuchtigkeit verdunstet, als an Niederschlag fällt.
Boden mit Trockenrissen, Wigdehlpynten.
Geschichte
Auf der Ostseite der Reinsdyrflya, irgendwo am Mullerneset, soll es ein paar Gräber aus der Zeit der Walfänger geben, die ansonsten keine sichtbaren Spuren im Woodfjord hinterlassen haben (wohl aber ein paar später norwegianisierte Ortsnamen, darunter Mushamna („Mäusebucht“) und Velkomstpynten = „Welcome point“).
Ansonsten waren es die Trapper, die sichtbare Spuren menschlicher Aktivität in Form von Hütten und Fallen in der Landschaft hinterlassen haben. Eine aktive Zeit waren die 1920er Jahre, als Hilmar Nøis und seine berühmte Jägerfamilie Hütten in Mushamna (dort die alte Hütte in Ufernähe), Vårfluesjøen („Fiskebay“), Gråhuken, Worsleyneset („Villa Oxford“) und weitere bauten.
Alte Trapperhütte (Baujahr 1927). Eine echte Nøis-Hütte (siehe Text).
Neben Mushamna ist die Hütte bei Gråhuken sicher die berühmteste Trapperhütte im Woodfjord, da dort die Überwinterung stattfand, die in Christiane Ritters berühmtes Buch „Eine Frau erlebt die Polarnacht“ resultierte. Die Hütte wurde noch lange für Überwinterungen genutzt. Neben Christane Ritters Buch gibt es zwei weitere veröffentlichte Bücher, die Überwinterungen in eben dieser Hütte beschreiben: „Vinterland. Glimt fra ei arktisk dagbok“ (Bjarne Nordnes und Åsa Johansson, 1975) und „Gråhuken. Fangst og ferie på 80 grader nord“ (Marit Karlsen Brandal, 2017. Die Überwinterung fand 1982-83 statt).
Die berühmte Trapperhütte von Gråhuken.
1987 baute Kjell Reidar Hovelsrud seine schöne Hütte bei Mushamna, die er später an den Sysselmannen verkaufte. Dieser vergab sie zur Traditionspflege noch eine Weile an Menschen, die als Trapper überwintern wollten, aber das wird schon seit Jahren nicht mehr gemacht. Angeblich zuviel Aufwand. Mehr zur Geschichte der Trapper im Woodfjord unter den Links bei den Namen der einzelnen Hütten. Auch von Kjell Reidar Hovelsrud gibt es spannende Bücher über seine Abenteuer in Spitzbergen (auf norwegisch).
Die Trapperhütte (heute Sysselmester-Hütte), die Kjell Reidar Hovelsrud 1987 baute.
Fotogalerie – Woodfjord
Eine bunte Mischung von Eindrücken aus dem Woodfjord, von Gråhuken im Norden bis in den innersten Bereich. Landschaften, Tiere, Hütten …
Lofoten, Jan Mayen und Spitzbergen aus der Luft – Dieses Buch ist eine Luftbildreise durch die Landschaften des arktischen Norwegens: die Lofoten, Jan Mayen und Spitzbergen.
Das Buch zum Poster Svalbardhytter. Das Poster visualisiert die Vielfalt der Hütten Spitzbergens in einer Vielfalt arktischer Landschaften. Dieses Buch erzählt die Geschichten der Hütten auf drei Sprachen.
Spitzbergen – Svalbard. Arktische Naturkunde und Geschichte in Wort und Bild. Hintergründe, Routen & Regionen, Praktisches. Umfassender Reiseführer zur arktischen Inselgruppe Spitzbergen mit 592 Seiten.
Scoresbysund Hot Dogs – Mit Hundeschlitten in Grönland
Hundeschlittenfahrten auf der Rückseite von Grönland - Grönland ist nicht gerade der Nabel der Welt. Die meisten Grönländer leben an der Westküste ihrer Insel, so dass die fast unbewohnte Ostküste selbst in Grönland einen Ruf von Abgelegenheit genießt – es ist die »Rückseite« von Grönland.
Nach einer Reihe von Besuchen auf der wilden, faszinierenden Insel Jan Mayen musste ich einfach aufschreiben, was es dazu zu wissen gibt, da gute Literatur, soweit überhaupt vorhanden, bislang nur auf englisch und norwegisch vorhanden ist.
Eine Skiwanderung im Liverpool Land – Im Lichtwinter haben wir – fünf Menschen und ein Hund – eine vierwöchige Skiwanderung im Osten von Grönland gemacht und dabei eine Menge erlebt. Mein ausführliches Tagebuch von dieser Tour habe ich in überarbeiteter Form als Buch herausgebracht.
Die Lebensgeschichte von Cymba, dem Albatros aus Südgeorgien - Die Nebel der Zeit von James McQuilken, übersetzt und herausgegeben von Rolf Stange, Deutsche Erstausgabe im November 2012.