Der Krabbentrawler Northguider war am 28. Dezember letzten Jahres beim Sparreneset in der Hinlopenstraße auf Grund gelaufen. Wie zuvor auf dieser Seite berichtet, konnte die ganze Mannschaft unverletzt mit Hubschraubern gerettet werden.
Die Mannnschaft hatte die Havarie und die Stunden bis zur Rettung bei Dunkelheit, starker Kälte und kräftigem Wind als sehr dramatisch erlebt.
Der Fischtrawler Northguider auf Grund in der Hinlopenstraße, dicht vor dem Sparreneset auf dem Nordaustland. Foto: Kystverket.
Im Januar konnten die 300 Tonnen Diesel sowie andere Gefahrstoffe (Schmieröle, Farben, …) und umweltgefährliches loses Gut wie Netze geborgen werden. Die Northguider sitzt allerdings weiterhin auf Grund. Experten des Sjøfartsdirektoratet, der norwegischen Seefahrtsbehörde, zufolge, liegt die Northguider derzeit soweit stabil. Der Vorteil daran: Wind, Strömungen und Eis werden sie wohl nicht so schnell von der Untiefe ziehen und schieben, so dass die Gefahr des Versinkens derzeit gering erscheint. Der Nachteil daran: auch Bergungsschiffe werden die Northguider wohl nicht so schnell von der Untiefe weg bekommen. Tatsächlich wird damit gerechnet, dass die Bergung des Schiffes mehrere Wochen Arbeit vor Ort erfordern wird.
Nun haben der Sysselmannen als die für die Unfallstelle zuständige Verwaltungsbehörde sowie die Fachbehörden (Sjøfartsdirektorat, Küstenwache) entschieden, dass die Bergung der Northguider im August vorgenommen werden soll. Zu dieser Zeit sind mit Blick auf Eis, Kälte, Wetter und Licht insgesamt die besten Bedingungen zu erwarten.
Aktuell ist das Küstenwachenschiff KV Svalbard noch einmal zur Unfallstelle in der Hinlopenstraße unterwegs, um sicherzustellen, dass sich an Bord der Northguider keine umweltgefährlichen Gegenstände und Substanzen mehr befinden und dass das Schiff soweit stabil liegt. Die weitere Überwachung soll u.a. durch Bewegungsmelder und Positionssender gewährleistet werden.
Manche gehen ja in den Tempel, um Erleuchtung zu suchen.
Wir fahren in den Tempelfjord und finden das Licht.
Blick durch das Eskerdalen, in der Ferne das Sassendalen
im Licht des beginnenden Polartags im Februar.
Zugegeben, der Start ist etwas holprig. Erst muss ein Auto aus einem tiefen Schneeloch gezogen werden, als das sich ein vermeintlicher Wendeplatz erwiesen hat. Die Stelle hat nicht zum ersten Mal jemanden reingelegt. Man müsste wirklich mal ein Schild aufstellen …
Blick durch den Tempelfjord Richtung Isfjord.
Dann zicken auch die Motorschlitten noch etwas herum, was diese Dinger ja gerne tun. Aber dann geht es los. Es liegt eine gewisse Frische in der Luft, schon um Longyearbyen liegen die Temperaturen weiter unter -20 Grad und im Sassendalen und Tempelfjord sind sie wohl kaum weit von -30 Grad entfernt. Ein Kollege, der heute an der Ostküste war, schätzte die Temperatur auf den Gletschern auf -40 … wie gesagt, es ist frisch.
Blick in den Tempelfjord hinein.
Nicht nur die Luft ist eisig, auch die Fjorde sind es. Ab Fredheim zieht sich eine durchgehende Eisdecke über den Tempelfjord. Auch der Sassenfjord – das ist die Fortsetzung des Tempelfjords, zwischen Fredheim und Billefjord – zeigt deutlich Zeichen des beginnenden Gefrierens. Würde sich das doch nur fortsetzen! Wir werden sehen, was in den nächsten Wochen so passiert.
Lukas genießt den herrlichen Blick über die Landschaft im Tempelfjord.
Nach dem schönen Aussichtspunkt auf dem Berg Fjordnibba machen wir natürlich auch noch einen Abstecher nach Fredheim, der berühmten, alten Trapperstation von Hilmar Nøis. Der hatte dieses schöne, zweigeschossige Häuschen ab 1924 gebaut. Fredheim steht seit 2015 ja auf einer etwas höheren Terrasse, die fortschreitende Küstenerosion hatte den Umzug erforderlich gemacht.
Wir genießen noch ein Weilchen den schönen Ort, die Blicke in die große Landschaft, die Kälte, das Eis, das Licht und nicht zuletzt eine warme Kleinigkeit aus der Suppenthermos, bevor wir uns auf den Rückweg machen. Die Tage sind noch nicht lang. Das ändert sich aber derzeit beeindruckend schnell.
… sind nicht wirklich das, was man im Februar in Spitzbergen erwartet.
Haben wir auch nicht wirklich.
Theoretisch hätte die Sonne sich am Samstag (16.2.) erstmalig wieder über dem Horizont zeigen sollen. Was nicht heißt, dass sie von Longyearbyen aus zu sehen ist; dazu müsste man auf einen höheren Berg steigen, etwa den Trollsteinen, was gerade an diesem Tag bei gutem Wetter eine schöne und beliebte Sache ist.
Aber es war ohnehin bewölkt, da kann man auch im Tal unterwegs sein.
Mondscheintour mit Hunden im Adventdalen.
So richtig klar wurde es erst heute (Montag) wieder. Über den Vormittag hinweg riss der zunächst graue Himmel mehr und mehr auf. Das „blaue Licht“ der ausgehenden Polarnacht weicht nun zumindest in den Mittagsstunden diesem unglaublich schönen, zartblau-rosafarbenen Licht der Übergangszeit von der Polarnacht hin zum Polartag.
Und heute zeigte sich die Sonne – zumindest indirekt, direkt wird sie in Longyearbyen erst am 08. März wieder zu sehen sein, dann wird das Sonnenfest (solfest) gefeiert. Aber auf den Bergen hat man nun ein wunderschönes Alpenglühen, das den Charakterköpfen Adventtoppen und Hiorthfjellet jetzt eine fantastische, rosa-orangefarbene Krone aufsetzt.
Die Sonne bleibt erstaunlich lang über dem Horizont und spendet ihr schönes Licht, während der Mond gleichzeitig direkt über den Bergen wandert.
Ja, und dabei sind es 20 Grad, oder sogar noch mehr. Natürlich unter null!
Die Lunckefjellet-Grube ist ein politisch-wirtschaftliches Phänomen. Im November 2013 wurde die erste Tonne Kohle aus dem Berg geholt – eine Symbolhandlung, der produktive Betrieb hatte noch nicht begonnen. Das war auch bei der offiziellen Eröffnung am 25. Februar 2014 noch nicht der Fall, aber die Grube, die bis dahin bereits mehr als eine Milliarde norwegische Kronen (über 100 Millionen Euro) verschlungen hatte, war immerhin betriebsbereit.
Forschungsfahrt zum Lunckefjellet.
In den produktiven Betrieb sollte sie aber nie gehen. Stattdessen ging es mit den Kohlepreisen auf dem Weltmarkt bergab, und die Gruben bei Sveagruva, dem norwegischen Bergbauort im Van Mijenfjord, gingen in einen Erhaltungsbetrieb, der nur dazu diente, den Verfall aufzuhalten und die Möglichkeit eines künftigen Betriebes für ein paar Jahre offen zu halten.
Sveagruva: norwegische Bergbausiedlung (schwedische Gründung 1917) im Van Mijenfjord.
Im Herbst 2017 schließlich zog die Regierung in Oslo die Reißleine. Die Store Norske Spitsbergen Kulkompani (SNSK), Eigner aller norwegischen Kohlegruben in Spitzbergen, gehört zu 100 % dem norwegischen Staat, so dass dieser als Eigner ganz direkt das Schicksal des Kohlebergbaus auf Spitzbergen lenken kann. Die Entscheidung: der Bergbau im Ort Sveagruva sollte endgültig eingestellt werden. Sowohl die über etliche Jahre profitable Grube Svea Nord als auch die neue Lunckefjellet-Grube sollten abgewickelt werden, und dazu der ganze Ort gleich mit. Weitergeführt wird der norwegische Kohlebergbau in Spitzbergen nur noch in der Grube 7 bei Longyearbyen, dort immerhin seitdem wieder im Zweischichtbetrieb.
Tagesanlagen und Grubeneingang am Lunckefjellet.
Der Grund: wirtschaftlich, so die offizielle Angabe. Sehr auskunftsfreudig ist die Regierung an dieser Stelle allerdings nicht, stattdessen verweisen Regierungsvertreter mitunter gerne auf den nichtöffentlichen Status relevanter Informationen und Unterlagen. Natürlich sehen viele das Ende des Bergbaus in Sveagruva, insbesondere in der gerade erst gebauten Lunckefjellet-Grube, mit großem Missbehagen, da hier Tradition, Arbeitsplätze und eine für Longyearbyen wichtige Industrie abgewickelt werden. Das Ende des Bergbaus in Spitzbergen war so und anders absehbar, das weiß man hier und seit Jahren werden andere Wirtschaftszweige entwickelt, wobei Forschung, Ausbildung und Tourismus ganz oben stehen. Dennoch ist Longyearbyen historisch und bis heute zumindest teilweise gefühlt vom Bergbau geprägt und der absehbare Verlust schmerzt so manchen im Ort zumindest emotional und oft auch wirtschaftlich. Auf Angebote von Investoren, Sveagruva und das Lunckefjellet zu übernehmen, ist die Regierung gar nicht erst eingegangen, was die Angabe von rein wirtschaftlichen Aspekten als Grund für die Schließung etwas fadenscheinig erscheinen lässt.
Stollen in der Kohlegrube im Lunckefjellet.
In diesen Tagen wird die Lunckefjellet-Grube geschlossen. Die Belüftungsanlagen werden derzeit abgebaut, und danach könnte nur noch – theoretisch – speziell ausgebildetes Personal mit taucherartigen Atemschutzvorrischtungen die Kohlemine betreten, und auch das nur noch eine recht kurze Zeit, solange die mechanische Festigkeit des Hangenden (die Decke) einigermaßen zuverlässig ist. Das wird nicht lange der Fall sein. Die Lunckefjellet-Grube wird daher bald ungefähr so gut erreichbar sein wie die Rückseite des Mondes.
Mit solchen Bewegungsmessern, genannt „telltale“, werden Felsbewegungen im Hangenden (Stollendecke) überwacht.
Diese Bolzen zur Sicherung des Hangenden (Stollendecke) sind ständiger Korrosion und Belastung ausgesetzt. Werden sie nicht regelmäßig überwacht und ergänzt, wird eine Kohlegrube schnell hochgefährlich und unbegehbar.
Letzte Woche (5.-7. Februar 2019) waren Geologen der Bergbausgesellschaft Store Norske und von UNIS im Lunckefjellet, um die buchstäblich letzte Gelegenheit zu nutzen, wissenschaftlich wertvolle Proben am Kohleflöz zu nehmen. Die Geologie der Kohle Spitzbergens ist weniger genau bekannt, als man vermuten könnte: wie die Landschaft wirklich ausgesehen hat, in der sie sich bildete, weiß niemand so ganz genau.
Geologe Malte Jochmann bei der Arbeit im Lunckefjellet.
Natürlich handelte es sich um Moore und Sümpfe, wahrscheinlich hat das Salzwasser einer nahen Küste phasenweise einen wichtigen Einfluss ausgeübt. Aber welche Rolle spielte Süßwasser, was für Flüsse und Seen gab es? Was haben kiesführende Sandsteinschichten (Konglomerat) in der Kohle zu suchen, wann stieg und wann sank der Meeresspiegel an der nahen Küste, gab es tektonische Aktivität, und wenn ja, was für welche? Gab es Hügel oder gar Berge in der Umgebung, oder war alles drumherum flach?
Die Geologen Malte Jochmann, Maria Jensen und Christopher Marshall bei der Arbeit im Lunckefjellet: Aufschlüsse und mögliche Probennahmestellen werden begutachtet.
Beim Gang durch die Stollen gibt es alle paar Meter aufschlussreiche Blicke in die geologische Vergangenheit, wobei sich mindestens ebenso viele Fragen wie Antworten ergeben. Nur zwei Tage hatten die Geologen Malte Jochmann (SNSK/UNIS), Maria Jensen (UNIS) und Christopher Marshall (University of Nottingham) Zeit, um Aufschlüsse wenigstens skizzenhaft zu dokumentieren und Proben zu nehmen, deren Auswertung künftig wenigstens ein paar dieser Fragen beantworten könnte.
Auch unter Tage vergisst man nicht, dass man in der Arktis ist: die Temperatur liegt konstant unter null Grad, an den Wänden blühen auf der schwarzen Kohle wunderschöne Eiskristalle.
Nun wird die Grube zurückgebaut, viele Gerätschaften sind schon entfernt worden. Schon bald wird sie niemand mehr betreten können. Auch von Sveagruva wird nach einem umfangreichen und teuren Aufräumen, das bereits in Gang gesetzt wurde, wohl nicht viel übrig bleiben. Nur die Anlagen, die historischen Wert haben (in Spitzbergen allgemein älter als 1946, in Svea wird man die Grenze wohl auf 1949 hochsetzen) werden stehen bleiben und eventuell ein paar einzelne Gebäude zur künftigen Nutzung – Forschung? Begrenzter Tourismus? Das weiß man derzeit noch nicht so wirklich.
Bergbau wird es jedenfalls nicht sein.
Sternenhimmel auf dem Rückweg von Sveagruva nach Longyearbyen.
Für Aufsehen sorgen derzeit Medienberichte über das Auftreten von bakteriellen Resistenzgenen in arktischen Bodenproben, die für die Ausprägung einer Multiresistenz bei Bakterien verantwortlich sind. Viele Medien und Menschen fragen sich, wie diese Resistenzgene in die unberührte Natur Spitzbergens gelangen. Einige Medien sehen sich mit diesem Fakt bestätigt, multiresistente Bakterien als noch größere Bedrohung verglichen mit Klimawandel und Krieg darzustellen.
Fraglos sind der unkontrollierte, globale Einsatz von Antibiotika und das zunehmende Auftreten multiresistenter Bakterien sehr ernsthafte Probleme.
In Bodenproben, die bei Ny-Ålesund genommen wurden, wurden bakterielle Resistenzgene nachgewiesen, die derzeit für mediale Aufregung sorgen.
Zunächst überraschend, aber für Fachleute gar nicht so unerwartet ist das Auftreten solcher multiresistenten Bakterien auch auf Spitzbergen zumindest der Umgebung der Siedlungen, also etwa in dem Bereich im Kongsfjord nahe der Siedlung Ny-Ålesund, wo deren Genmaterial in den Proben für die aktuelle Studie gefunden wurde.
So unberührt, wie oft beschrieben, ist die Natur Spitzbergens im Kongsfjord nämlich nicht. Die Siedlung Ny-Ålesund existiert seit 1916 und war wie alle Siedlungen auf Spitzbergen zunächst ein Bergbauort, in dem Kohle abgebaut wurde. Weltweit berühmt wurde Ny-Ålesund in den 1920er Jahren durch eine Reihe von Versuchen, auf dem Luftweg zum Nordpol zu gelangen. Nachdem 1963 der Bergbau eingestellt wurde, entwickelte sich Ny-Ålesund zu einer Forschungssiedlung, in der sich bis heute Wissenschaftler aus der ganzen Welt aufhalten und Polarforschung in verschiedensten Fachrichtungen betreiben. Regelmäßig legen Schiffe in Ny-Ålesund an, darunter Forschungs- und Versorgungsschiffe und in den Sommermonaten Passagierschiffe. Der Ort liegt außerdem im unmittelbaren Einflussgebiet des Golfstroms.
Der Originalpublikation Understanding drivers of antibiotic resistance genes in High Arctic soil ecosystems (McCann, C.M., Environment International) ist zu entnehmen, dass alle 8 Bodenproben aus der unmittelbaren Nähe der Siedlung stammen. Das dabei gefundene Resistenzgen NDM-1 (Neu Dehli-Metallo-Betalaktamase) wurde erstmals 2008 in Schweden aus medizinischen Proben eines Patienten isoliert, der sich zuvor in einem indischen Krankenhaus hatte behandeln lassen. Bakterien, die dieses Enzym besitzen, sind gegen mehrere Antibiotikagruppen wie auch gegen eine Gruppe sogenannter Reserveantibiotika resistent.
Klebsiella-pneumoniae (Darmbakterium).
In dieser Art wurde 2008 erstmals eine NDM-1 nachgewiesen.
Weitere Untersuchungen in der Folgezeit ergaben, dass Bakterien, die dieses Resistenzgen tragen, insbesondere auf dem indischen Subkontinent weit verbreitet sind, aber sich auch in anderen Ländern z.B. Japan, China, Australien, Kanada oder auch europäische Länder darunter Großbritannien, Frankreich, Österreich, Deutschland, Norwegen, Schweden und Belgien nachweisen lassen. Menschen können stille Träger solcher Bakterien sein, die sich vor allem im Darm aufhalten. Dies führt nicht unbedingt zu einer Erkrankung.
Es ist somit leicht vorstellbar, dass sich diese Bakterien schnell und unbemerkt auch bis in die Arktis verbreiten. Die Wege sind vielfältig. Die Menschen selbst können, wie beschrieben Träger sein. Die Bakterien gelangen ins Abwasser und damit in die Umwelt. Nicht zuletzt sind Wildtiere ebenfalls Träger von multiresistenten Bakterien. Bei Zugvögeln wurde dies gut untersucht. Diese nehmen die Bakterien etwa in den Regionen auf, in denen sie überwintern, und tragen sie bis in die Arktis. Gerade der Kongsfjord an der milderen Westküste Spitzbergens ist ein beliebtes Brutgebiet für eine Reihe von Zugvogelarten.
Insofern schlussfolgern die Autoren der Originalpublikation richtig, dass der Nachweis des Resistenzgens NDM-1 keine gesundheitliche Bedrohung in der Region oder für Ny-Ålesund darstellt, sondern dass dies einmal mehr zeigt, dass die durch den unkontrollierten Einsatz von Antibiotika entstehenden resistenten Bakterien sich schnell global verbreiten. Dies ist an sich wenig überraschend. So traurig die Verbreitung von Resistenzen in entlegene Winkel der Erde wie Spitzbergen ist und so katastrophal multiresistente Erreger für Menschen sein können – der Nachweis von Resistenzgenen in Bodenproben aus der Nähe arktischer Siedlungen bedeutet für diese globale Problematik keine Steigerung, sondern zeigt, dass der Mensch seine hausgemachten Probleme auch ungewollt global verteilt. Die reißerischen Schlagzeilen vieler aktueller Medienberichte, die Vergleiche mit Weltuntergangszenarien wie Krieg und drastischen Folgen des Klimawandels bemühen, werden der Komplexität des Problems nicht gerecht.
Interessant wäre in diesem Zusammenhang eine vergleichbare Analyse von einer tatsächlich nahezu unberührten Region Spitzbergens, die den oben beschriebenen Einflüssen zumindest weniger ausgesetzt ist.
Text: Dr. Kristina Hochauf-Stange (med. Mikrobiologin)
Die Information, dass die Erderwärmung kaum eine Region der Welt so stark betreffen und wohl auch verändern wird wie die Arktis, ist zwar alles andere als neu. Trotzdem wurde es still im Saal, als auf einer gut besuchten Bürgerversammlung in der Universität von Longyearbyen am letzten Montag der Klimabericht „Climate in Svalbard 2100“ vorgestellt wurde.
Das Ergebnis des Berichtes: Eine um sieben bis zehn Grad erhöhte Durchschnittstemperatur bis zum Jahr 2100, deutlich mehr und intensivere Niederschläge, schmelzende Gletscher, tauende Permafrostböden, der Rückzug des Meereises und ein deutlich kürzerer Winter könnten den Alltag von Mensch und Natur auf Svalbard innerhalb von nur zwei Generationen radikal verändern. Schnee- und Schlammlawinen würden zunehmen, das Wasser in den Flüssen ansteigen und die Höhe der Gletscher um mehr als zwei Meter jährlich absinken.
Was klingt wie das düstere Horrorszenario eines schlechten Umweltthrillers, ist tatsächlich ein vom Norwegischen Klimaservicecenter für das Umweltministerium erstellter Bericht, hinter dem renommierte Institutionen aus dem Bereich Meteorologie, Energie und Polarforschung stehen. Im Klimabericht formulieren die Forscherinnen und Forscher Prognosen für den Fall, dass die Ziele der Pariser Klimakonferenz von 2015 nicht erreicht werden.
Bereits jetzt ist die Durchschnittstemperatur auf Spitzbergen um zwei Grad gegenüber vorindustrieller Zeit angestiegen, und das ist auch spürbar. Berichte über Temperaturrekorde häuften sich in den letzten Jahren in schöner Regelmäßigkeit. Den meisten Einwohnerinnen und Einwohnern von Longyearbyen dürfte zum Beispiel der Winter 2012 noch gut im Gedächtnis geblieben sein, wo Regen, Überschwemmungen und Glatteis im Januar eher an herbstliches Schmuddelwetter in Norddeutschland erinnerten als an einen echten Polarwinter in der nördlichsten Stadt der Welt, rund 1000 Kilometer vom Nordpol entfernt. Auch im letzten Jahr gab es im Januar Plusgrade und Regen in Longyearbyen, und seit 2010 gab es keinen Winter mehr, der unterhalb der üblichen Durchschnittswerte lag.
Paradox dabei: Spitzbergen selbst trägt nicht unerheblich zu dieser Entwicklung bei. Die Siedlungen werden durch Kohlestrom mit Energie versorgt, genau dem Energieträger, der am meisten CO2 in die Atmosphäre bläst. Neben dem Kohlebergbau ist der Tourismus der wichtigste Arbeitgeber auf Spitzbergen. Doch Touristen, die nach Svalbard reisen, nutzen vor allem die beiden treibhausgasintensivsten Verkehrsmittel Flugzeug oder Kreuzfahrtschiff. Und auch die Einheimischen sind bisher bei der Wahl ihrer Transportmittel auf das Flugzeug und mit Verbrennungsmotoren betriebene Schneemobile und Autos angewiesen.
Eher halbherzig wurden auf dem Treffen dann auch mögliche Maßnahmen diskutiert, die Svalbard anstrengen könnte, um zum Erreichen der norwegischen Klimaziele beizutragen und die Erderwärmung zu begrenzen. Vielleicht die Anzahl der Flüge von und nach Spitzbergen reduzieren? Zu erneuerbarer Energieproduktion übergehen? Weder der Chef der Gemeindeverwaltung Hege Walør noch Sysselmannen Kjerstin Askholt hatten Antworten auf diese Fragen.
Lediglich Gemeinderat Arild Olsen ließ sich nicht von der Schockstarre beeindrucken und formulierte die Idee, Longyearbyen zu Norwegens erster Null-Emissions-Gemeinde zu machen.
Ob das realistisch ist, bleibt abzuwarten. Kaum jemand bestreitet jedoch, dass Anpassungen an den Klimawandel dringend nötig sind, eine Menge Geld kosten werden und eventuell auch zu veränderten Gesetzen führen könnten.
Auch im Dezember 2015 sorgten Temperaturen bis zu neun Grad plus für Tauwetter und Überschwemmungen. Dieser Fluss im Bolterdalen ist im Winter normalerweise trockengefallen und gefroren.
So verschiedene Erlebnisse kann ein Sonntag Anfang Februar in Spitzbergen bringen: eine kleine Skiwanderung ins Adventdalen mit tierischer Begleitung bringt Bewegung, frische Luft, Blicke in Licht und Landschaft und überhaupt Spaß und Freude.
Allen Beteiligten.
Kleine Skitour mit Hund im Adventdalen.
Wenige Stunden später sitzt man in einer alten Halle der Tagesanlagen der alten Grube 3. Kohle wird hier nicht mehr abgebaut, dafür gibt gelegentlich Veranstaltungen. Heute klingt hier das Polarjazz-Festival aus. Eine experimentelle Spitzbergen-Jazz Oper – darunter kann man sich richtig was vorstellen, nicht? 🙂 Unter dem Titel „Spor“ (Spuren) werden Erzählungen, Eindrücke und Stimmungen aus Geschichte und Natur, Jagd und Bergbau in Spitzbergen von einem Trio in Klänge und Töne umgesetzt, von sphärisch bis rhythmisch, streckenweise mit Verstärkung durch den bereits erwähnten Store Norske Mannskor.
„Spor“: Spitzbergen in Klängen – Polarjazz 2019, hier in Grube 3.
Die Stimmung wird durch den Veranstaltungsort natürlich noch einmal passend verstärkt.
Das feste Eis in den Fjorden Spitzbergens, so es denn ausreichend fest wird, ist für Tiere wichtig und bei Menschen beliebt: Ringelrobben bringen hier im Frühjahr ihren Nachwuchs zur Welt, Eisbären streifen umher und jagen.
Früher sind auch Menschen in der Arktis auf dem Fjordeis auf Jagd gezogen, heute genießen sie dort die beeindruckende Landschaft und gegebenenfalls Tiere. Früher – vor vielen, vielen Jahren – waren es ein paar Jäger und Forscher und die wenigen Einheimischen, die mit Ski und Hundeschlitten in den einsamen Fjorden unterwegs waren.
So einsam sind die Fjorde nicht mehr. Touristen haben die Arktis seit mehreren Jahrzehnten als spannendes Reiseziel entdeckt, und Motorschlitten machen auch weiter entfernte Gebiete im Winter relativ einfach zugänglich. Das Fjordeis etwa im Tempelfjord und an der Ostküste sind im Frühjahr traditionell beliebte Ausflugsziele, sowohl für Einheimische als auch für geführte Touristengruppen.
Wichtiger Lebensraum für Eisbären und Ringelrobben: Fjordeis.
Im Gegensatz zur kurzfristig verhängten Maßnahme von 2018 hat der Sysselmannen nun frühzeitiger eine öffentliche Hörung initiiert, um einerseits Betroffenen die Möglichkeit zu geben, sich zu äußern, und andererseits durch die öffentliche Diskussion dafür zu sorgen, dass alle sich der Entwicklung bewusst sind und Bescheid wissen, so es zu entsprechenden Fahrverboten kommt.
Beliebtes Exkursionsziel für Einheimische und Touristen: Fjordeis.
Es ist absehbar, dass ein prinzipielles Fahrverbot auf dem bislang bei Einheimischen und Touristen beliebten Fjordeis für scharfe Diskussionen sorgen würde. Der Sysselmannen hat bereits darauf hingewiesen, dass solche Maßnahmen bei Bedarf kurzfristig und ohne Gesetzänderung verhängt werden kann, wie bereits 2018. Denkbar ist aber auch, solche Verbote gesetzlich zu verankern.
Ob es dabei Unterschiede zwischen Einheimischen und Touristen geben wird, ist nicht absehbar. Entsprechende Forderungen wurden bereits laut.
Konkret betroffen sein können der Tempelfjord, der Billefjord, die Rindersbukta und die Ostküste Spitzbergens zwischen Mohnbukta und Negribreen. Querungen auf vorgegebener Strecke können teilweise, wie auch 2018, erlaubt bleiben, um häufig genutzte Routen nicht vollständig zu verhindern, wie die Querung von Tempelfjord und Billefjord auf dem Weg nach Pyramiden.
Bislang ist nur die Rede davon, diese Fjorde für den motorisierten Verkehr (Motorschlitten) zu sperren. Skitouren und Hundeschlitten wären wohl weiterhin möglich.