Der Name Ittoqqortoormiit, wie die Grönlander den Ort Scoresbysund nennen, bedeutet etwa „wo die großen Häuser stehen“, was zumindest innerhalb der Region sehr zutreffend ist, denn die Stadt ist der einzige permanent bewohnte Ort weit und breit. Für europäische Verhältnisse mit etwa 400 menschlichen Bewohnern (und deutlich mehr Schlittenhunden) ein Dorf, ist Ittoqqortoormiit eine von nur zwei Städten überhaupt in Ostgrönland, neben Tasilaq 800 km weiter südlich.
An der gleichen Stelle haben Menschen sicher schon vor hunderten und wahrscheinlich auch vor tausenden Jahren gesiedelt, aber die Geschichte des Ortes reicht nur bis ins Jahr 1924 zurück, denn damals wurde er als dänische Kolonie gegründet. Damit wollten die Dänen – die Gründung des Ortes kam durch engagierte Kreise und nicht etwa durch eine Initiative der Regierung in Kopenhagen zustande – den Norwegern zuvorkommen, die sich kurz davor bereits Spitzbergen gesichert hatten und nun mehr und mehr die Finger nach dem nördlichen Ostgrönland ausstreckten. Ittoqqortoormiit ist somit kein natürlich gewachsenes Stück grönländischer Geschichte, sondern eher ein Stück europäischer Kolonialgeschichte, und tatsächlich hatten es die ersten Siedler, die 1925 aus Ammassalik (Tasilaq) hergebracht wurden, nicht gerade leicht. Die Gegend erwies sich grundsätzlich als wildreich, aber dennoch forderten Hunger und Krankheiten unter den Siedlern ihren Tribut. Dass darüber kaum etwas in den dänischen Zeitungen zu lesen war, in denen stattdessen Lobgesänge auf das schöne Leben glücklicher Grönländer gedruckt wurden, ist zu großen Teilen echte Propaganda und somit wohl ebenfalls ein typisches Stück europäischer Kolonialgeschichte jener Zeit.
Trotz dieses zunächst erzwungenen Anfangs der Besiedlung jenes menschenleeren Küstenstreifens fühlen sich die Bewohner von Ittoqqortoormiit dort sehr wohl, nachdem die ersten Schwierigkeiten überwunden waren. Die zahlreichen Tiere, von Moschusochsen auf der Tundra über Robben, Walrosse und Narwale im Fjord bis hin zu Eisbären, die im Winter zahlreich mit dem Packeis aus dem Norden kommen, gaben einer Siedlung, deren Bewohner vor allem von der Subsistenz lebten, eine gute Lebensgrundlage, und so blieben die Siedler über Generationen hinweg bis in die moderne Zeit. Viele der heutigen Bewohner stammen direkt von jenen Siedlern ab, die 1925 aus dem südlichen Ostgrönland in den Scoresbysund zogen.
Seit die moderne Zeit in Ittoqqortoormiit wie auch in allen anderen Siedlungen Grönlands Einzug gehalten hat, wird das Leben nicht gerade einfacher. Die Subsistenz muss mehr und mehr mit Bargeld ergänzt werden, denn den Angeboten des Pilersuisoq (Supermarkt) und den Verlockungen von Internet, Mobiltelefon und Flugverbindungen kann auf Dauer auch in Grönland keiner widerstehen. Der Arbeitsmarkt ist an einem solchen Ort aber schwierig, und so haben zu viele Biographien Berührung mit den Teufeleien der Zivilisation gehabt, allem vorweg Alkohol und dessen Begleiterscheinungen innerfamiliäre Gewalt und sexueller Missbrauch.
Die schwierigen Verhältnisse lassen sich nicht leugnen, aber genauso muss und kann man anerkennen, dass es in Ittoqqortoormiit viele gute Leute gibt, die sich den Problemen mit Engagement entgegenstellen, und die Entwicklung geht schon seit vielen Jahren langsam, aber sicher in eine insgesamt bessere Richtung. Viele Bewohner von Ittqqortoormiit sind der festen Meinung, am schönsten Ort der Welt zu leben, und jedes Mal, wenn ich dort bin, finde ich, dass sie recht haben (um mich endgültig festzulegen, reise ich aber wohl zuviel). Umso mehr schade, dass der Ort wirtschaftlich einer schwierigen Zukunft gegenübersteht. 2013 wurde die Fluganbindung mit den nächsten Nachbarn Island und Tasiilaq, die bislang zweimal wöchentlich mit einem Dreieckflug bedient wurde, gekappt und seitdem ist die Verbindung zur ferneren Westküste besser (lies: weniger schlecht) als zu den nächsten Nachbarn. Auch die Reise ins in vielerlei Hinsicht so wichtige Kopenhagen ist seitdem deutlich länger und teurer geworden, was sowohl für Einheimische als auch für Touristen ein Problem ist. Somit steht auch der kleine, aber für einige Einkommen im Ort dennoch wichtige Tourismus nun wieder auf einer schwierigeren Grundlage, und man fragt sich, wie viel Interesse die Regierung Grönlands in Nuuk am Wohlstand der kleinen Siedlung auf der Rückseite Grönlands tatsächlich hat.
Ich habe mehrere Monate in Ittoqqortoormiit gelebt und mich in dieser Zeit vor allem der Kunst des Hundeschlittenfahrens gewidmet. Diese Zeit beschreibt auf humorvolle Art mein Buch „Scoresbysund Hot Dogs.“
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Spitzbergen – Svalbard. Arktische Naturkunde und Geschichte in Wort und Bild. Hintergründe, Routen & Regionen, Praktisches. Umfassender Reiseführer zur arktischen Inselgruppe Spitzbergen mit 592 Seiten.
Scoresbysund Hot Dogs – Mit Hundeschlitten in Grönland
Hundeschlittenfahrten auf der Rückseite von Grönland - Grönland ist nicht gerade der Nabel der Welt. Die meisten Grönländer leben an der Westküste ihrer Insel, so dass die fast unbewohnte Ostküste selbst in Grönland einen Ruf von Abgelegenheit genießt – es ist die »Rückseite« von Grönland.
Nach einer Reihe von Besuchen auf der wilden, faszinierenden Insel Jan Mayen musste ich einfach aufschreiben, was es dazu zu wissen gibt, da gute Literatur, soweit überhaupt vorhanden, bislang nur auf englisch und norwegisch vorhanden ist.
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