Natur und Geschichte eines Fjords im Norden Spitzbergens
Der Liefdefjord liegt im Norden Spitzbergens. Er ist ein Seitenarm des Woodfjord.
Allgemeines
Der Liefdefjord liegt im Norden Spitzbergens und gehört zum Woodfjord-Gebiet: Er ist ein Seitenarm auf der Westseite des deutlich längeren Woodfjord. Der Liefdefjord ist gut 30 Kilometer lang und verläuft in mehrfach leicht geschwungener Linie in Nordost-Südwest-Richtung. Die Grenze zum Woodfjord läuft vom Worsleyneset im Südosten der Reinsdyrflya zum Roosneset (topographische Details über die kleine Karte oben hinaus kann man auf der Topo-Karte des norwegischen Polarinstituts nachschauen).
Die Landschaft um den Liefdefjord ist im äußeren (nordöstlichen) Bereich recht weitläufig flach und im inneren Bereich steil und schroff. Dort erreichen mehrere große Gletscher das Ufer, darunter der große Monacobreen. Es ist vor allem diese Berg- und Gletscherlandschaft im inneren Liefdefjord, die diesen Fjord bekannt gemacht hat.
Spektakuläres Herzstück der Landschaft im Liefdefjord: der Monacobreen und hinten der Seligerbreen (aus der Möwenperspektive, 2023).
Seit 2019 gibt es im Liefdefjord mehrere Vogelschutzgebiete. Das sind die Inseln bzw. Inselgruppen Andøyane (einschließlich Ringholmen), Lernerøyane, Måkeøyane und Stasjonøyane. Hier gilt, dass man in der Brutsaison (gesetzlich definiert: 15. Mai – 15. August) 300 Meter Abstand vom Ufer halten muss.
Die Stasjonsøyane: Teil des Vogelschutzgebiets im Liefdefjord.
Liefdefjord-Panorama
Über mehrere Stellen im Liefdefjord gibt es spezielle Seiten mit 360-Grad-Panoramen, Fotogalerien und Hintergrundinformationen:
Villa Oxford, eine Trapperhütte und Umgebung auf der Reinsdyrflya
Andøyane, eine Inselgruppe im nördlichen Liefdefjord
Texas Bar, eine Trapperhütte auf der Westseite des Liefdefjords.
Næssøpynten, eine Landschaft mit kleinen Wasserfällen am Roosfjella.
Geologie und Landschaft
Geologisch besteht der Liefdefjord aus einem abwechslungsreichen Mosaik, das erheblich zur schönen Landschaft beiträgt. Die geologischen Bausteine sind, grundlegend betrachtet, recht überschaubar, so dass es sich im Liefdefjord auch für interessierte Laien lohnt, sich etwas mit der Materie zu beschäftigen. Daher ist dieser Absatz auch etwas länger.
Es gibt einmal das Grundgebirge, das aus altem Kristallingestein besteht: Schiefer und Marmor, die spätestens zur Zeit der kaledonischen Gebirgsbildung vor rund 450 Millionen Jahren durch tektonischen Druck eine Metamorphose erfahren haben, so dass die Kristallstruktur sich änderte und aus den noch viel älteren Sedimenten die besagten Schiefer und Marmore geworden sind.
Dieser gefalteter Marmor im Hornbækpollen gehört zum geologischen Grundgebirge.
Darüber hinaus gibt es jüngere Sedimente, wobei „jünger“ relativ ist: Nach Hebung des kaledonischen Gebirges setzte die Abtragung ein, und der Abtragungsschutt des kaledonischen Gebirges wurde in Gräben (tektonischen Senkungsgebieten) im Umland des Gebirges in kilometerdicken Schichtpaketen abgelagert. Die älteren Teile dieser Sedimente sind ziemlich grobe Konglomerate, die jüngeren Schichten bestehen aus feinkörnigerem Sand- und Siltstein. Teilweise sind diese Gesteine durch Eisenoxide schön rot gefärbt, weshalb sie auch als Old Red bekannt sind. Die Ablagerung erfolgte im Devon, vor etwa 360 bis über 400 Millionen Jahren.
Roter Sandstein aus dem Devon: „Old Red“, hier auf den Andøyane.
Eisbär zum Größenvergleich 🙂
Beide Gesteinspakete, Grundgebirge und Old Red, kommen im Liefdefjord und in den angrenzenden Gebieten (Raudfjord, Woodfjord, Wijdefjord) in benachbarten, Nord-Süd-verlaufenden Streifen vor. Dieses Mosaik ist durch Bewegungen entlang von Bruchzonen in der Erdkruste entstanden (Tektonik).
Das Old Red in voller Pracht am Roosfjella.
Der Unterschied zwischen den alten Grundgebirgsgesteinen und dem jüngeren Old Red ist aufgrund unterschiedlicher Strukturen, Farben und Verwitterungseigenschaften teilweise markant: Das Grundgebirge bildet vor allem die höheren, schroffen Berge im inneren Liefdefjord, etwa westlich des Monacobreen, wo der markante, 1001 Meter hohe Stortingspresidenten steht. Das Old Red bildet weniger hohe Berge mit eher runden Hängen wie das Roosfjella östlich der Lernerøyane, das bei gutem Licht schon aufgrund seiner roten Farbe eine markante Erscheinung ist. Darüber hinaus bestehen die Inselchen Måkeøyane, Andøyane und Stasjonsøyane sowie die Reinsdyrflya – allesamt Flachlandgebiete – aus Old Red; auch hier ist die Farbe oft markant. Die Lernerøyane sind eine interessante Mischung, hier kommt beides vor (vor allem aber kristallines Grundgebirge).
Geologisches Mosaik: hellgrauer Marmor und dunkler Schiefer auf den Lernerøyane.
Landschaft
Im äußeren Bereich des Liefdefjords sind es also die eher flachen Landschaften aus Old Red-Untergrund, die die Landschaft prägen. Reste gehobener Strandwälle kommen in diesen Flachlandgebieten praktisch überall vor, sind aber hier weniger markant als an anderen Stellen in Spitzbergen, die einen hierfür besser geeigneten Untergrund haben. Überall liegen große, eiszeitliche Findlinge in der Landschaft.
Uferlandschaft auf der Südseite der Reinsdyrflya.
Im inneren Teil des Fjords hat man die schroffen, höheren Berge, die überwiegend aus Kristallingestein bestehen.
Bergkette auf der Westseite des Monacobreen.
Die großen Blickfänger sind natürlich die Gletscher im inneren Liefdefjord, vor allem der Monacobreen mit seiner vier Kilometer breiten Gletscherfront und sein westlicher Nachbar, der Seligerbreen.
Monacobreen (links), der Berg Stortingspresidenten (Mitte) und Seligerbreen (rechts), 2016.
Bis etwa 2016 hatten beide eine gemeinsame Gletscherfront nördlich des Berges Stortingspresidenten, der nun aber durch den Gletscherrückzug das Ufer zwischen den beiden Gletschern bildet.
Seligerbreen (Vordergrund), Stortingspresidenten (Mitte) und Monacobreen (hinten), 2018.
Flora und Fauna
In den flachen Gebieten im äußeren Liefdefjord gibt es flächendeckende Tundragebiete, die vor dem Hintergrund der hohen Breitengrade im Sommer eine beeindruckende, vielfältige Blumen- und Blütenpracht aufweisen. Silberwurz und Stengelloses Leimkraut, Roter Steinbrech und Fadensteinbrech gehören neben vielen anderen zu den häufigen Arten.
Dieser Rote Steinbrech macht seinem Namen in jeder Hinsicht alle Ehre (Andøyane).
Dass Rentiere auf der Reinsdyrflya (Christiane Ritters „Rentierland“) nicht ungewöhnlich sind, sagt schon der Name, aber die Dichte dieser Tiere ist auf der Fläche geringer, als der Name vermuten lassen würde. Natürlich kommen Eisfüchse vor und Eisbären streifen immer mal durch den Liefdefjord, wobei es mein persönlicher Eindruck ist, dass die Häufigkeit von Eisbärensichtungen etwa von 2000 bis 2010 höher war als seitdem. Aber das ist nur mein subjektiver Eindruck, natürlich kann ich mich täuschen. Im genannten Jahrzehnt waren die Inseln auf der Südseite der Reinsdyrflya sowie das Ufer dort eine beinahe sichere Wette für eine Eisbärensichtung. Natürlich kommt das immer noch vor, aber nicht mehr ganz so verlässlich wie damals.
Bartrobbe am Monacobreen.
Die kleinen Inselgruppen (Vogelschutzgebiete, siehe oben) haben Brutvorkommen verschiedener Bodenbrüter. Dort kommen Eiderenten und Prachteiderenten sowie Eisenten vor, Küstenseeschwalben und Thorshühnchen, um nur einige häufige Arten zu nennen. Die Lernerøyane haben keine nennenswerten Brutvogelvorkommen vorzuweisen; warum diese 2019 ebenfalls zum Vogelschutzgebiet erklärt wurden, erschließt sich mir nicht so recht.
Thorshühnchen bei den Stasjonsøyane.
Der innere Liefdefjord ist eher steil und felsig, Vegetation kommt dort entsprechend nur hier und dort auf kleinen, geeigneten Flächen vor. Zwischen Texas Bar und Hornbækpollen gibt es an den steilen Felsen eine mittelkleine Seevogelkolonie, die Dreizehenmöwen hört man schon auf größere Entfernung.
Dreizehenmöwen freuen sich über Nahrung, die vor dem Monacobreen durch Schmelzwasser aufgewirbelt wird.
Geschichte
Die frühen Zeiten der Spitzbergen-Geschichte, Walfänger und Pomoren, waren wohl nicht im Liefdefjord oder haben dort zumindest keine heute noch bekannten/sichtbaren Spuren hinterlassen.
An frühen Expeditionen, die zur Erforschungs des Liefdefjords beigetragen haben, wäre Herzog Albert I. von Monaco zu nennen (1906, 1907; „Monacobreen“). 1907 war auch die Expedition von Theodor Lerner im Liefdefjord und trug zur Kartierung bei (Ortsnamen: Stasjonsøyane – dort befand sich eine geodätische Station, was aber nicht mehr war als ein Vermessungspunkt – und Lernerøyane).
Vielfach haben Trapper im Liefdefjord überwintert, wobei der angrenzende Woodfjord der wichtigste Teil des Reviers war, wo auch noch mehrere Trapperhütten stehen (v.a. Mushamna und Gråhuken). Auch im Liefdefjord stehen noch zwei Hütten dieser Art, die Texas Bar (Baujahr 1927) und die Villa Oxford (1924). Beide wurden von dem später berühmt gewordenen Überwinterer Hilmar Nøis gebaut, einem der langjährigen Veteranen der Überwinterungsjagd in Spitzbergen. Damit war er nicht alleine in seiner Familie, beim Bau der Texas Bar war Hilmars Onkel Martin Pettersen Nøis dabei.
Die Texas Bar, eine Trapperhütte im Liefdefjord.
Der Umgebung sieht man die häufigen Touristenbesuche an.
Es gab damals noch mehr Trapperhütten im Liefdefjord, aber diese wurden teilweise im zweiten Weltkrieg von Deutschen zerstört, als 1943-44 die Kriegswetterstation Kreuzritter im Sørdalen auf der Reinsdyrflya (nordwestlich der Andøyane) stationiert war. Ein paar spärliche Reste der Station sind noch zu sehen, darunter das Grab des Stationsleiters Knoespel, der kurz vor Abholung beim Entschärfen einer Mine durch eine Explosion ums Leben kam.
Reste der Kriegswetterstation Kreuzritter.
1990-92 war der Liefdefjord das Hauptarbeitsgebiet einer großen Forschungsexpedition unter Leitung des Geographen Professor Blümel aus Stuttgart, der SPE (German Geoscientific Spitsbergen Expedition). Untersucht wurden Prozesse der Landschaftsformung (Sedimenttransport in Flüssen, Solifluktion), Gletscher, Geologie, Ökologie etc. Ein Expeditionsmitglied, Andreas Fieber, starb bei einem Unfall durch eine Sulzmure: eine sehr schnelle Lawine aus einem Gemisch aus Schnee, Schmelzwasser und Geröll.
Gedenkkreuz im Liefdefjord für Andreas Fieber, der 1992 auf der Fläche links hinter dem Kreuz von einer Art Lawine erfasst wurde und starb.
Fotogalerie – Liefdefjord
Bilder aus den Jahren 2009 bis 2023. Die Galerie ist eine bunte Sammlung verschiedener Eindrücke aus dem Liefdefjord, von der weiten Tundra der Reinsdyrflya und den schönen vorgelagerten Inseln (Stasjonsøyane, Andøyane) bis zur schroffen Berg- und Gletscherwelt am Monacobreen mit dem vielen Eis, das dort manchmal die gesamte Wasserfläche bedeckt. Tiere, Pflanzen, verschiedene Zeiten des Sommers vom schnee- und eisreichen Frühsommer bis zum frühen Herbst mit Neuschnee und dem Licht der tiefstehenden Sonne sowie verschiedene Wetterstimmungen sind vertreten, um einen Eindruck von der Vielfalt dieser Landschaft zu geben.
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