Panorama und Geschichte einer schottischen Bergbausiedlung in Spitzbergen
Brucebyen ist eine kleine Hüttenansammlung im Billefjord, in der Nähe des großen Gletschers Nordenskiöldbreen. Die meisten werden Brucebyen auf einer Tagesfahrt von Longyearbyen nach Pyramiden während des Abstechers zum Nordenskiöldbreen wahrnehmen, aber wohl mehr oder weniger unbewusst, was schade ist, denn es ist ein schöner und interessanter Ort.
Dazu trägt natürlich einerseits die umgebende Landschaft bei mit den eindrücklichen und farblich schönen Bergen, aber auch die flache Tundra rund um Brucebyen mit sehr gut erhaltenen Strandwällen, die von der nacheiszeitlichen Landhebung zeugen, und kleinen Tümpeln, wo Sterntaucher (leicht störbar, Abstand halten!) und Küstenseeschwalben brüten (dito + aggressiv). Eisbären streifen regelmäßig durch den Billefjord und sie halten sich natürlich gerne in der Nähe des Gletschers auf, so dass in und um Brucebyen auf jeden Fall Vorsicht geboten ist.
Brucebyen mit dem Rand des Nordenskiöldbreen im Hintergrund (1997).
William Speirs Bruce
Aber die kleine Hüttensiedlung hat natürlich auch eine Geschichte. Dahinter steckte der bekannte schottische Polarforscher William Speirs Bruce, der bereits 1892 mit dem Walfänger Balaena in der Antarktis gewesen war und 1896-97 mit Jackson und Harmsworth auf Franz Josefs Land auf Kap Flora überwinterte (und dabei Nansen und Johansen kennenlernte, die im Frühjahr 1897 nach ihrer berühmten Überwinterung glücklicherweise auf die britische Expedition stießen). 1898 sah Bruce erstmalig Teile von Svalbard – Kong Karls Land und Hopen – während der Rückreise von einer Expedition nach Kolgujev und Novaya Zemlya mit Andrew Coats und der Blencathra, ohne aber eine Gelegenheit zu bekommen, an Land zu gehen.
Noch im gleichen Sommer bekam Bruce aber seine Chance, da er in Tromsø Fürst Albert I. von Monaco traf, der mit seiner Yacht Princess Alice startklar war für die erste seiner Spitzbergen-Expeditionen. Er lud Bruce ein, teilzunehmen, was dieser nicht ausschlug.
The Scottish Spitsbergen Syndicate Ltd.
Bruce nahm auch danach noch an mehreren Expeditionen des Fürsten teil, wobei große Teile der Westküste Spitzbergens und der westlichen Nordküste kartiert wurden. Dabei hatte Bruce Gelegenheit zu ausgiebigen geologischen Untersuchungen und sah auch das kommerzielle Potenzial der verschiedenen Vorkommen, vor allem Kohle. Untersuchungen von Proben, die Bruce 1908 mitgebracht hatte, lieferten vielversprechende Ergebnisse, und so gründete er im Juli 1909 in Edinburgh The Scottish Spitsbergen Syndicate Ltd., kurz SSS. Unter den Gründungsmitgliedern befanden sich Leute wie Charles H. Urmston und Burn Murdoch, deren Namen sich heute auf den Landkarten in Spitzbergen wiederfinden, wie auch die späterer Expeditionsteilnehmer wie Rudmose Brown und John Mathieson. Auch Fürst Albert zeichnete Anteile.
Hütte im Gipsdalen, vom Scottish Spitsbergen Syndicate
zur Erkundung der Kohlevorkommen gebaut (2010).
Vor allem im inneren Isfjord sah Bruce Bergbaupotenzial: die Gipsvorkommen im Tempelfjord zogen seine Aufmerksamkeit an, vor allem aber die Kohle im Bünsow Land. Das SSS sicherte sich die Rechte an interessanten Gegenden und begann mit geologischen Erkundungen der Vorkommen. Dazu gab es 1910, 1912, 1914, 1919, 1920, 1921 und 1922 Expeditionen; danach wurden nur noch bis 1925 kleinere Inspektionsreisen durchgeführt.
Letztlich erhob Bruce Anspruch auf das gesamte Prins Karls Forland und die ganze Barentsøya, große Teile der Edgeøya, das Gebiet zwischen Isfjord und Storfjord und die Westküste südlich des Bellsunds!
Untersuchungen der Kohlevorkommen im Billefjord: Bruce City
Aber zurück in den Billefjord. Dort wurden 1919 verschiedene Stellen auf Kohle- und sonstige Vorkommen untersucht. Aus geologischen und logistischen Gründen fiel die Wahl auf die Südseite der Adolfbukta. Das Flussbett des Flüsschens Carronelva sah hinreichend vielversprechend aus, und tatsächlich fanden Bruce’s Geologen ein Flöz von einem Meter Mächtigkeit. Derweil wurden ufernah zunächst zwei Hütten gebaut, diese Basis wurde zunächst als Bruce City bekannt. Andre Teile der Expedition, die über die Schiffe Phantom und Petunia verfügte – im Billefjord gibt es heute die Petuniabukta und den Phantomodden – untersuchten andere Regionen wie den Tempelfjord und den Storfjord mitsamt Barentsøya, wobei letztere wie erwähnt in Anspruch genommen wurde. Auch das Prins Karls Forland wurde weiter untersucht. Letztlich wurden keine Entdeckungen von wirtschaftlichem Interesse gemacht.
Alter Schienenstrang mit Lore bei Brucebyen.
Auf der Südseite der Adolfbukta, also in der Umgebung von Brucebyen, wurden die Kohlevorkommen nach den Untersuchungen von 1919 einschließlich mehrerer Erkundungsbohrungen auf etwas enttäuschende 2,5 Millionen Tonnen geschätzt, wobei die Mächtigkeit des Flözes eine Unsicherheit darstellte.
Die Expedition von 1920: Bruce City Coalfield, Gipsdalen und Storfjord
Die Expedition von 1920 verfügte über drei Schiffe, die Autumn, die Eastonian und die Lady of Avenel und hatte nicht weniger als 50 Teilnehmer unter Leitung von John Mathieson. Die Lady of Avenel hatte auf der Reise nach Spitzbergen mehrere Maschinenschäden und brauchte geschlagene 33 Tage für die Überfahrt. Nachdem das Material mühsam über Schnee und Eis nach Brucebyen gebracht war, begannen neue geologische Untersuchungen, darunter mehrere Bohrungen. Weitere Untersuchungen wurden an Spitzbergens Ostküste (Agardhbukta, Mohnbukta) sowie auf der Edge- und Barentsøya angestellt. Insgesamt waren die Ergebnisse jedoch eher enttäuschend: die meisten Kohleflöze waren von eher schlechter Qualität, hatten Mächtigkeiten von weniger als einem Meter und waren schwer zugänglich. Insgesamt jedoch wurden die Vorkommen auf der Ostseite des Billefjords Ende 1920 auf 90 Millionen Tonnen geschätzt, so dass hier, in dem „Bruce City Coalfield“ genannten Gebiet, weiter untersucht werden sollte.
Die Expedition von 1921
Die zehn Teilnehmer der Expedition von 1921 konzentrierten sich daher auf den nordöstlichen Teil des Billefjords. Wieder war „Bruce City“, mittlerweile auf vier Baracken angewachsen, die Basis. Auch im Gipsdalen wurden weitere Untersuchungen durchgeführt, hier wurden in 16 Kilometern Entfernung zur Küste Kohleflöze gefunden. Insgesamt hielt man die Ergebnisse nun für vielversprechend.
Die Expedition von 1922
So kam es 1922 noch einmal zu einer Expedition, dieses mal mit 15 Männern, wieder unter Führung von John Mathieson. Mit Hilfe eines Traktors wurden Material und Ausrüstung für Bohrungen 16 Kilometer das Gipsdalen hinauf verfrachtet. Wahrscheinlich ist das der Traktor, der heute noch in Gipsvika, der MÜndung des Gipsdalen, neben der alten Hütte, die ebenfalls von der SSS gebaut worden war, am Ufer steht. Der Traktor wog eine Tonne; um ihn an Land zu schaffen, wurde aus zwei Rettungsbooten eine Art Floß gebaut, das bei Hochwasser und gutem Wetter in die Mündung des Flusses Gipsdalselva bugsiert wurde.
Der Traktor des Scottish Spitsbergen Syndicate in Gipsvika (2009).
Auch das Prins Karls Forland wurde während der Expeditionen bis 1925 untersucht, wovon noch Hüttenreste zeugen wie die von Kenmore beim Dawespynten. Dort kamen die Aktivitäten aber nie über erste Untersuchungen hinaus.
Inspektionsreisen 1923-1925
Von 1923 bis 1925 gab es nur noch kleinere jährliche Inspektionsreisen, aber keine weiteren Untersuchungen. Die Führung des SSS war nun der Meinung, eine wirtschaftliche Nutzung der Kohlevorkommen im Gipsdalen und im „Bruce City Coalfield“ (Billefjord) sei durchaus möglich, aber nur in Zusammenarbeit mit einer Gesellschaft, die in Spitzbergen bereits Bergbau betrieb. Dazu wurden Verhandlungen mit der The Anglo Russian Grumant Co. aufgenommen, die in Grumantbyen Kohle abbaute. Die Verhandlungen führten jedoch aus schottischer Sicht zu keinem Ergebnis, stattdessen übernahmen Russen das Kohlevorkommen von Grumant.
Das Ende des Scottish Spitsbergen Syndicate Ltd.
Nach 1925 wurden die Aktivitäten der SSS auf Spitzbergen eingestellt. 1950 wure das Scottish Spitsbergen Syndicate Ltd. aufgelöst und 1952 wurden die Ansprüche auf Spitzbergen an den norwegischen Staat verkauft.
Brucebyen 1997.
Brucebyen heute
„Bruce City“, auf norwegisch Brucebyen, ist das wichtigste Zeugnis der schottischen Aktivitäten in Spitzbergen zwischen 1908 und 1925, neben kleineren Resten wie zwei Hütten (eine davon ruinös) und einem Traktor im Gipsdalen. Leider ist 2010 eine der Hütten von Brucebyen abgebrannt, nachdem Touristen im Ofen angefeuert und später die heiße Asche in einem Blecheimer im Eingang der Hütte stehen gelassen hatten. Die Hütte wurde vom Sysselmannen als Rekonstruktion wieder aufgebaut. Eine weitere Hütte gehört dem Sysselmannen als offizielle Diensthütte, eine dritte wird vom Roten Kreuz als Basis etwa für Gletscherübungen auf dem Nordenskiöldbreen verwendet.
Brucebyen 2018. Links die Rekonstruktion der abgebrannten Hütte.
Galerie Brucebyen und Gipsdalen
Abschließend noch ein paar Eindrücke von den Hauptarbeitsgebieten des Scottish Spitsbergen Syndicate, Bruce City (= Brucebyen) und Gipsdalen.
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