Nun, „schlechte Zeiten“ ist natürlich relativ. Hier fallen keine Schüsse und Bomben. Uns geht es gut. Es fällt nur Regen. Davon aber viel zu viel, und ein großer Teil der Schönheit um uns herum ist in den letzten Tagen weggeschwommen.
Ein kräftiges Tiefdruckgebiet saugt warme Luft aus dem Süden an und pumpt sie nach Norden. Diese Luft bringt Wind, Feuchtigkeit und Wärme mit sich. Von allem deutlich mehr, als man gerne hätte.
Unsere kleine Welt hier oben schmilzt.
Longyearbyen: Bäche mit Regen- und Schmelzwasser laufen über die Straßen.
Das war zumindest über Tage hinweg der Eindruck, den man bekam, gleich wohin man schaute. Wasser fiel vom Himmel, Wasser färbte den Schnee erst grau, dann dunkel und verwandelte ihn schließlich vielerorts in kleine Seen auf der Tundra. Wasser brach sich Bahn in Bächen und Flüssen, die eigentlich noch monatelang gefroren sein sollten.
Für einen kleinen Gang nimmt man am besten Gummistiefel, schnell versinkt man bei einem falschen Tritt auch im Ort weit über den Knöchel hinaus im Schneesumpf. Einen Schritt weiter kann es allerdings spiegelglatt sein. Überall gibt es seifenglatte Eisflächen, gerade auch auf den Straßen und Wegen im Ort. Die in Norwegen weit verbreiteten Spikes sind eine ganz hervorragende Erfindung, die sicher schon unzählige schwere Stürze verhindert haben.
In Longyearbyen mussten Abflüsse für Bäche und Flüsse freigelegt werden, um Überschwemmungen zu verhinden. Im Mai oder Juni ist das Routine, im März aber sehr ungewöhnlich.
Wer hinaus will in die winterliche Arktis, wartet besser, bis sie wirklich wieder winterlich ist. Es steht außer Frage, dass es wieder kälter werden wird. Der Winter ist nicht vorbei, er macht nur Pause. Die Flüsse werden wieder zufrieren, aus den Seen werden glatte, solide Eisflächen werden.
Die Frage ist, ob und wann noch mal genügend Schnee fällt, um die so löchrig gewordene weiße Decke wieder zu flicken. Das ist zu hoffen, im Interesse all jener, die in den nächsten Wochen hier Tourenpläne haben. Und das sind im März und April sehr viele.
Aus Motorschlittenrouten werden Sümpfe und Seen im Schnee. Wer jetzt noch fährt, riskiert steckenzubleiben und die Vegetation unter dem geschmolzenen Schnee zu beschädigen.
Bis die Schneeschmelze dann irgendwann im Mai kalendergerecht diesen Winter beenden wird.
Es ist aus gutem Grund verboten, abseits der Wege auf nicht gefrorenem, nicht aufgetautem Untergrund zu fahren. Manche gehen mit diesem klaren Verbot am Saisonende oder in Tauwetterphasen recht liberal um, um es höflich zu formulieren. Das Ergebnis bleibt viele Jahre lang sichtbar, wie hier im Bild (Adventdalen neben der Straße, Bild von Juni 2019).
Die heute wohl unvermeidliche Frage: ist das jetzt Wetter oder Klimawandel? Meine kurze Antwort: sowohl als auch. Ohnehin sind Wetter und Klima ja nicht wirklich voneinander zu trennen, es handelt sich um verschiedene zeitliche Perspektiven auf das gleiche Sammelsurium an Phänomenen, die zusammen den Zustand der Atmosphäre vor allem in Bodennähe beschreiben. Temperatur, Niederschlag, Wind, Luftdruck, Luftfeuchtigkeit, um die wichtigsten zu nennen. Wetter ist das, was man hier und jetzt sehen, fühlen und messen kann. Klima ist das, was über Jahrzehnte daraus wird. Mittelwerte, Tendenzen und so. Nicht unmittelbar messbar, aber mittels statistisch aufbereiteter Messdaten erfassbar.
Im konkreten Einzelfall ist es sehr schwer zu sagen, ob es ohne den Klimawandel auch eingetreten wäre. Hier hat die Wissenschaft in den letzten Jahren einige Fortschritte gemacht, und es wäre interessant zu hören, was ein Fachwissenschaftler zu dem aktuellen Warmlufteinbruch sagen würde.
Erst mal kann man nur Vermutungen anstellen auf Basis der bekannten Tendenzen. Und die sind klar: weniger stabile, häufiger wechselnde Wetterlagen, häufigere Stürme und mehr Niederschlag ist das, was der Klimawandel in die maritim geprägte Arktis im Nordatlantik bringt. Tauwettereinbrüche auch im tiefsten Winter gab es im Einzelfall auch früher schon, aber ihre Häufigkeit und Intensität ist in jüngerer Vergangenheit gestiegen und diese Tendenz wird sich wohl fortsetzen.
Die Wahrscheinlichkeit ist also wohl sehr hoch, dass es den aktuellen Warmlufteinbruch so ohne den Klimawandel nicht gegeben hätte, beziehungsweise dass er viel weniger intensiv ausgefallen wäre. Ohne tagelangen Regen bei Temperaturen um 5 Grad plus.
Auch Einheimische, die hier schon viele Winter erlebt haben, schauen mit Befremden und mehr oder weniger entsetzt auf das große Schmelzen. Und wer sich gerade diese Tage ausgesucht hatte, um den Winter in der Arktis zu erleben, hat wirklich maximales Pech.
Lofoten, Jan Mayen und Spitzbergen aus der Luft – Dieses Buch ist eine Luftbildreise durch die Landschaften des arktischen Norwegens: die Lofoten, Jan Mayen und Spitzbergen.
Das Buch zum Poster Svalbardhytter. Das Poster visualisiert die Vielfalt der Hütten Spitzbergens in einer Vielfalt arktischer Landschaften. Dieses Buch erzählt die Geschichten der Hütten auf drei Sprachen.
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Scoresbysund Hot Dogs – Mit Hundeschlitten in Grönland
Hundeschlittenfahrten auf der Rückseite von Grönland - Grönland ist nicht gerade der Nabel der Welt. Die meisten Grönländer leben an der Westküste ihrer Insel, so dass die fast unbewohnte Ostküste selbst in Grönland einen Ruf von Abgelegenheit genießt – es ist die »Rückseite« von Grönland.
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Eine Skiwanderung im Liverpool Land – Im Lichtwinter haben wir – fünf Menschen und ein Hund – eine vierwöchige Skiwanderung im Osten von Grönland gemacht und dabei eine Menge erlebt. Mein ausführliches Tagebuch von dieser Tour habe ich in überarbeiteter Form als Buch herausgebracht.
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