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Tages-Archiv: 18. Mai 2022 − News & Stories


Stö­run­gen von Eis­bä­ren durch Tou­ris­ten?

Die ers­te „nor­ma­le“ – soweit ohne Beein­träch­ti­gung durch Coro­na – Som­mer­sai­son seit 2019 in Spitz­ber­gen hat begon­nen. Zwar hat der Win­ter gera­de erst begon­nen, sei­nen fros­ti­gen Griff um die Inseln zu lösen, gro­ße Tei­le des Lan­des sind noch von Schnee bedeckt, vie­le Fjor­de zumin­dest teil­wei­se gefro­ren und im Nor­den und Osten gibt es noch eine Men­ge Treib­eis in Sval­bards Gewäs­sern.

Aber schon seit Wochen fah­ren Schif­fe mit Tou­ris­ten auch wie­der zu mehr­tä­gi­gen Fahr­ten in Spitz­ber­gens Küs­ten­fahr­was­ser; schiffs­ba­sier­te Tages­tou­ren lau­fen bereits seit März. Es ist noch gar nicht lan­ge her, dass ein so frü­her Beginn der „som­mer­li­chen“ Schiffs­sai­son undenk­bar war: Win­ter­sai­son bis etwa Mit­te Mai, dann ein paar Wochen Pau­se mit wenig Akti­vi­tät, im Juni Beginn der Som­mer­sai­son, in der Schif­fe eine Rol­le spie­len. So war es frü­her, und da muss man nicht mehr als etwa 20 Jah­ren zurück­ge­hen. Seit­dem wur­de der Beginn der „Sommer“saison mehr und mehr nach vorn ver­legt.

Nun fah­ren also bereits wie­der meh­re­re Dut­zend Tou­ris­ten­schif­fe, und schon jetzt gibt es Ärger: Es zir­ku­lie­ren Bil­der, die Nah­be­geg­nun­gen von Tou­ris­ten auf Schif­fen und Eis­bä­ren zei­gen, und prompt schla­gen die Wel­len in den Medi­en hoch. So berich­te­te auch Nor­we­gens wohl wich­tigs­te Nach­rich­ten­sei­te NRK; schon in der Über­schrift heißt es, dass „die Eis­bä­ren auf Sval­bard rund um die Uhr von Tou­ris­ten gestört wer­den“.

Eisbär und Schiff

Eis­bär bei einem Schiff an der Eis­kan­te: wer besucht hier wen? Und wer wur­de ver­folgt, wer wird hier gestört oder gar gefähr­det? Viel­leicht ja auch: kei­ner. (Archiv­bild von 2015).

Es geht um Bil­der wie die­ses, die Eis­bä­ren und Schif­fe mit Men­schen in enger Nähe zuein­an­der zei­gen. Situa­tio­nen die­ser Art hat es in den letz­ten Wochen in Spitz­ber­gen mehr­fach gege­ben und nun zir­ku­lie­ren die Bil­der und die Mei­nun­gen gehen hoch. Auch auf offi­zi­el­ler Sei­te ist man nicht begeis­tert, der Sys­sel­mes­ter hat eine Unter­su­chung in Gang gesetzt.

Man ist sich einig: Brü­che gel­ten­der Geset­ze oder Ethik, geschrie­ben oder unge­schrie­ben, sind nicht hin­nehm­bar und soll­ten gege­be­nen­falls ver­folgt und mit Stra­fe belegt wer­den.

Gesetz­bruch, ethi­scher Ver­stoß oder völ­lig in Ord­nung?

Die Fra­ge ist nur: Ist es wirk­lich so ein­fach? Anschei­nend ja: Jour­na­lis­ten (NRK) gehen mit Selbst­ver­ständ­lich­keit davon aus, dass die Eis­bä­ren von Tou­ris­ten gestört wer­den, und zwar „rund um die Uhr“. Aber was zeigt ein Bild wie das obi­ge? Das Bild, das aktu­ell einen wesent­li­chen Anstoß zur Auf­re­gung gab, wur­de vom Foto­gra­fen übri­gens mitt­ler­wei­le von den öffent­li­chen Platt­for­men gelöscht, aber es zeigt – von der Außen­per­spek­ti­ve eines unbe­tei­lig­ten Schif­fes – eine sehr ähn­li­che Situa­ti­on wie das hier gezeig­te Bild. Ist die dar­ge­stell­te Situa­ti­on also pro­ble­ma­tisch oder nicht?

Ich war selbst über die Jah­re etli­che Male in Situa­tio­nen die­ser Art: Ein Schiff ist unbe­weg­lich an der Eis­kan­te oder im Treib­eis geparkt. Ein Eis­bär bekommt – im wahrs­ten Sin­ne – Wind davon. Eis­bä­ren sind von Natur aus häu­fig neu­gie­rig, die Neu­gier des Tie­res wird auch in der frag­li­chen Situa­ti­on geweckt. Der Eis­bär kommt näher, manch­mal sogar bis auf Nasen­füh­lung zum Schiff, schnüf­felt am Rumpf, beäugt es mit einer Mischung aus Neu­gier und Miss­trau­en, wäh­rend die Men­schen an Bord Fotos machen. Schließ­lich ist die Neu­gier des Eis­bä­ren befrie­digt und er (oder sie, auch Eis­bä­rin­nen kön­nen sehr neu­gie­rig sein) zieht sei­ner Wege.

Natür­lich weiß man als unbe­tei­lig­ter Betrach­ter, der viel­leicht nur das Bild gese­hen hat – und das trifft auf fast alle zu, die sich aktu­ell äußern – wenig über den tat­säch­li­chen Ver­lauf des ein­zel­nen Fal­les. Natür­lich ist inak­zep­ta­bles oder gar straf­recht­lich rele­van­tes Ver­hal­ten denk­bar: Wur­de der Eis­bär etwa ange­lockt oder sogar gefüt­tert? Bei­des ist ver­bo­ten und nicht akzep­ta­bel. Solan­ge es aber kei­ne Infor­ma­tio­nen gibt, dass so etwas vor­ge­kom­men ist, gibt es auch kei­nen Grund dazu, das anzu­neh­men: Die blo­ße Anwe­sen­heit eines Schif­fes reicht aus, um bei einem Eis­bär Neu­gier her­vor­zu­ru­fen, die dazu füh­ren kann, dass er zum Schiff kommt. Das ist gar nicht unge­wöhn­lich und auch nicht ver­wer­lich. Weder ist es aus mei­ner Sicht unethisch, da es kei­ne Stö­rung oder Gefähr­dung bedeu­tet (Men­schen an Bord eines Schif­fes sind prin­zi­pi­ell sicher, es sei denn, es ist so klein, dass der Eis­bär mit einem Sprung an Bord kom­men kann. Das ist aber weder beim hier gezeig­ten Bild so noch war es so im aktu­ell frag­li­chen Fall. Ein Sprung an Bord eines Schif­fes, wo Men­schen an Deck sind, wäre auch ein völ­lig unna­tür­li­ches Ver­hal­ten; von einem Fall die­ser Art habe ich noch nie gehört). Auch recht­lich ist das nach heu­ti­gem Stand nicht zu bean­stan­den: Im Spitz­ber­gen-Umwelt­ge­setz (Sval­bard mil­jø­l­ov) heißt es in § 30: „Es ist ver­bo­ten, Eis­bä­ren anzu­lo­cken, zu füt­tern, zu ver­fol­gen oder mit einer ande­ren akti­ven Hand­lung so auf­zu­su­chen, dass der Eis­bär gestört wird oder Gefahr für Men­schen oder Eis­bä­ren ent­ste­hen kann“ (eige­ne Über­set­zung). Und von die­sen zu Recht ver­bo­te­nen Hand­lun­gen kann wohl auch nicht die Rede sein, wenn ein Eis­bär von sich aus ein am oder im Eis gepark­tes, bewe­gungs­lo­ses Schiff auf­sucht.

Alles gut also?

Wie gesagt, natür­lich sind abso­lut inak­zep­ta­ble Sze­na­ri­en denk­bar, die zu Recht eine behörd­li­che Reak­ti­on erfor­dern wür­den. Das erscheint im frag­li­chen Fall aber sehr unwahr­schein­lich. Im kon­kre­ten Fall, der aktu­ell Anstoß zur Auf­re­gung gege­ben hat, war das frag­li­che Schiff im Eis geparkt. Zufäl­lig war ich übri­gens in der Nähe – zu weit weg, um Details erken­nen zu kön­nen, aber es war erkenn­bar, dass das klei­ne Segel­boot sich über län­ge­re Zeit nicht beweg­te.

Der Ver­such, einen Bären im Treib­eis mit einem Schiff zu fol­gen, wäre übri­gens kaum ein rea­lis­ti­sches Sze­na­rio für grö­ße­re Stö­run­gen: Selbst im ent­spann­ten Tem­po ist ein Eis­bär im Treib­eis deut­lich schnel­ler als die meis­ten Schif­fe, abge­se­hen von Eis­bre­chern.

Anders sieht es aus, wenn eine Annä­he­rung mit Motor­schlit­ten auf gefro­re­nen Fjor­den erfolgt, was schon lan­ge streng ver­bo­ten ist; das Fah­ren auf Fjord­eis ist schon seit Jah­ren stark ein­ge­schränkt. Auch mit klei­nen, schnel­len Boo­ten im offe­nen Was­ser sind Stö­run­gen von Eis­bä­ren, die sich auf ein­zel­nen Eis­schol­len oder am Ufer befin­den, denk­bar. Hier muss man wohl davon aus­ge­hen, dass nicht alle über die nöti­ge Sen­si­bi­li­tät ver­fü­gen, um beim ers­ten Anzei­chen einer Stö­rung direkt zu stop­pen und ggf. abzu­dre­hen. Eine wei­te­re Annä­he­rung, die zu einer Stö­rung führt, ist schon lan­ge ver­bo­ten.

Eine sol­che Situa­ti­on lag aber aktu­ell nicht vor. Woher NRK-Jour­na­list Rune N. Andre­as­sen wis­sen will, dass Tou­ris­ten Eis­bä­ren „rund um die Uhr stö­ren“, wie schon die Über­schrift zu sei­nem oben ver­link­ten Arti­kel behaup­tet, ver­rät er nicht. Die Ver­mu­tung liegt nahe, dass hier öffent­li­che Empö­rung bedient wur­de, der die sach­li­che Grund­la­ge fehlt. Es leuch­tet ein, dass die frag­li­chen Bil­der frag­wür­dig erschei­nen kön­nen, wenn der Betrach­ter nicht über ent­spre­chen­de Erfah­rung aus eige­nem Erle­ben ver­fügt. Vor einem öffent­li­chen Urteil, das abseh­bar gro­ße Auf­merk­sam­keit erfährt, wür­de es aber nicht scha­den, sich dem Ein­zel­fall im kon­kre­ten Detail des Ver­laufs zu wid­men.

Zumal wenn die Debat­te in poli­tisch bereits auf­ge­heiz­te Zei­ten fällt: Im Gespräch ist ein ver­pflich­ten­der Min­dest­ab­stand von 500 (fünf­hun­dert) Metern.

Anstatt einen Eis­bä­ren sei­ne Neu­gier aus­le­ben zu las­sen, solan­ge sie nicht zu Gefähr­dung führt, müss­te man also mit dem Schiff weg­fah­ren – im Bedarf auch kurz­fris­tig und schnell – oder aber den Bären mit Lärm ver­scheu­chen, etwa mit Schüs­sen aus der Signal­pis­to­le. Ob dadurch im Inter­es­se des Eis­bä­ren­schut­zes irgend etwas zu gewin­nen ist, wage ich zu bezwei­feln.

Als Illus­tra­ti­on sei­nes Arti­kels ver­wen­det Andre­as­sen übri­gens ein Bild, das laut Bild­kom­men­tar „aus gehö­ri­gem Abstand“ auf­ge­nom­men wur­de. Mei­ner Ein­schät­zung nach wur­de es aus viel­leicht 50 Metern Ent­fer­nung auf­ge­nom­men. Ein Zehn­tel des Min­dest­ab­stan­des, der der­zeit vom nor­we­gi­schen Gesetz­ge­ber erwo­gen wird. Wenn alle sich dar­auf eini­gen könn­ten, dass 50 Meter ein „gehö­ri­ger Abstand“ für das Betrach­ten von Eis­bä­ren sind und dass die gefor­der­ten 500 Meter doch „etwas“ über­trie­ben sind, wäre schon eine Men­ge Schär­fe aus der Debat­te genom­men.

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News-Auflistung generiert am 13. Dezember 2024 um 16:16:51 Uhr (GMT+1)
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