Während Mitteleuropa in einer Kältewelle erstarrt, bricht die Arktis wieder einmal Temperaturrekorde. In Longyearbyen liegen die Temperaturen seit November 2010, also seit über 7 Jahren, über dem Mittel der Normalperiode (1960-90), wobei man den Begriff „Normalperiode“ eigentlich nur noch in Anführungsstrichen verwenden kann. Aktuell (Montag und Dienstag, 26. und 27. Februar) erlebt man in Longyearbyen Plusgrade und Regen!
Mindestens so aufsehenerregend ist aber die Wetterlage aus allerhöchsten Breiten, bis hinauf zum Nordpol. Selbst dort gibt es jetzt, im tiefsten Polarwinter, zur „normalerweise“ kältesten Zeit des Jahres, Plusgrade. Direkte Messungen am Boden gibt es am Nordpol zwar nicht, aber die Fernerkundungsdaten und indirekten Messungen der Wissenschaftler sind eindeutig genug. Damit ist die Temperatur am Nordpol derzeit 30 Grad höher als normal. In Worten: dreißig Grad!
Das ist prinzipiell auf die gesamte Hocharktis übertragbar, also auf den Arktischen Ozean nördlich von 80 Grad Nord. Auf die gesamte Fläche betragen, muss man mit 20 Grad mehr als normal rechnen. Das Dänische Meteorologische Institut verfügt über Daten, die bis 1958 zurückreichen und Vergleiche erlauben. In dieser Datenreihe gibt es nichts Vergleichbares.
Seit 1980 treten winterliche Warmlufteinbrüche in der Hocharktis vermehrt auf. Man wird also auch künftig weiterhin mit solchen Ereignissen rechnen müssen. Die derzeitige Episode bricht aber alle Rekorde, zumindest bislang, und die Häufigkeit nimmt in jüngeren Jahren drastisch zu. Laut Robert Graham vom Norwegischen Polarinstitut gab es vergleichbare Witterungslagen zwischen 1980 und 2010 vier Mal, aber allein vier Mal in den letzten fünf Jahren.
Offenes Wasser im Adventfjord bei Longyearbyen, mitten in der Polarnacht. Darüber wundert sich mittlerweile keiner mehr.
Das aktuelle Ereignis ist vermutlich mit den schwachen Eisverhältnissen im Arktischen Ozean verbunden. Im Januar gab es weniger Eis als jemals zuvor zu dieser Zeit beobachtet. Derzeit gibt es sogar nördlich von Grönland offenes Wasser, also in einer Region, die sich historisch immer zuverlässig durch dichtes, schweres, solides, mehrjähriges Packeis auszeichnete. Die milden Temperaturen tragen derzeit auch nicht zur erneuten Eisbildung bei: Bei der automatischen Wetterstation Morris Jesup ganz im Norden von Grönland wurden 2018 bereits 61 Stunden mit Plusgraden verzeichnet. Der bisherige Rekord liegt bei 16 Stunden bis Ende April und stammt von 1980.
Blick auf Longyearbyen durch die Webcam von UNIS: Regen und Plusgrade im Februar 🙁
Die prozessualen Details sind unbekannt, aber Wissenschaftler haben keine Zweifel, dass die überdurchschnittlichen Temperaturen im Wasser der Grönlandsee (Nordatlantik) und in der Atmosphäre in der Hocharktis miteinander zu tun haben. Eis, warmes Wasser und die Zugbahnen von Sturmtiefs sind miteinander verknüpft und auch mit der hohen Atmosphäre: in der Stratosphäre, mit Höhen über 10.000 Metern über dem normalen Wettergeschehen, lagen die Temperaturen vor ein paar Wochen ebenfalls höher als normal. Die genauen Zusammenhänge müssen aber erst noch erforscht werden.
Während in Spitzbergen nun im Februar die Sonne nach der Polarnacht langsam wieder über den Horizont zu steigen beginnt, wird heiß diskutiert: Soll es mehr kommerziell nutzbare Hütten im Gelände geben?
Hintergrund ist die letzte Stortingsmelding, eine Art Blaupause der norwegischen Regierung für die mittelfristige Politik, die für Spitzbergen letztmalig 2016 herausgegeben wurde. Vor dem Hintergrund des schwindenden Bergbaus soll der Tourismus entwickelt werden, und zwar so, dass er mehr ganzjährige Arbeitsplätze in Longyearbyen schafft. Aktivitäten sollen möglichst in Siedlungsnähe stattfinden, zumindest aber innerhalb des Verwaltungsgebietes 10, zwischen Isfjord und Van Mijenfjord.
Zu diesem Zweck soll es prinzipiell möglich sein, Hütten kommerziell zu betreiben. Grundsätzlich steht man dem Hüttentourismus, wie er auf dem norwegischen Festland verbreitet ist, auf Spitzbergen ablehnend gegenüber, und die private Nutzung von Hütten ist ausschließlich Einheimischen erlaubt. Bislang gibt es nur drei Hütten außerhalb der Siedlungen, die Veranstaltern gehören und von diesen im Rahmen ihrer organisierten Touren genutzt werden können. Eine davon steht beim Nordenskiöldbreen im Billefjord, eine am Brentskardet im inneren Adventdalen und eine in der Nähe von Sveagruva im Van Mijenfjord.
Nun steht also im Raum, den Bau weiterer Hütten zuzulassen. Interessenten – ausschließlich in Longyearbyen ansässige Veranstalter – konnten ihre Anträge mitsamt detaillierter Einschätzung der Folgen für die Umwelt letztes Jahr beim Sysselmannen einreichen. Bis Ende Januar 2018 konnte jeder dazu Stellung nehmen.
Zwölf Stellungnahmen wurden eingereicht (dazu weitere acht ohne relevante Anmerkungen, die nur pro forma zu den Akten gegeben wurden). Diese kommen sowohl von Privatpersonen als auch von Institutionen wie dem Miljødirektorat (norwegisches Umweltamt), dem norwegischen Polarinstitut und dem Riksantikvar (Denkmalschutz). Allen Stellungnahmen ist ein eher zurückhaltender, teilweise kritischer Ton gemeinsam. Das Polarinstitut beleuchtet alle in Frage kommenden Standorte in Bezug auf die jeweilige Tier- und Pflanzenwelt, um mögliche Umweltkonflikte aufzuzeigen. Stark kritisch äußern sich mehrere Privatpersonen aus Longyearbyen, darunter Vertreter der wenigen Trapper, die es in Spitzbergen noch gibt. Bemerkenswert ist, dass es mit Ausnahmen weniger um die Frage geht, ob es überhaupt Hütten geben sollte, die auf kommerziellen Touren genutzt werden dürfen, obwohl es auch hier natürlich ein pro und kontra gibt. Stattdessen nimmt die detaillierte Diskussion der einzelnen, potenziellen Standorte breiten Raum ein.
Dazu zählen:
Diese Standorte werden für neue, touristisch nutzbare Hütten in Spitzbergen diskutiert.
Elveneset (Punkt 1 auf der Karte) am Ausgang vom De Geerdalen im Sassenfjord. Die Aussicht auf eine kommerzielle Hütte in einem der wenigen, küstennahen Flachlandgebiete in der mittleren Umgebung von Longyearbyen, wo es bislang überhaupt keine Hütten gibt, begeistert offensichtlich niemanden. Zusätzlich wird die Bedeutung dieses Tundragebietes für die Tiere, v.a. Rentiere und Eisfüchse, hervorgehoben. Ein eventueller Standort für eine Hütte würde in der Nähe eines Fuchsbaus liegen. Insgesamt stehen alle dem Standort Elveneset explizit kritisch gegenüber, auch das Miljødirektorat, dessen Stimme im weiteren Prozess sicher viel Gewicht bekommen wird.
Sveltihel (2), ein Flachland im Sassendalen an der Küste zum Tempelfjord. Mit Blick auf die Umwelt käme dieser Standort wohl auch infrage, allerdings liegt er dem wichtigen Miljødirektorat zu weit weg von Longyearbyen und zu dicht am Sassen-Bünsow-Nationalpark.
Kreklingpasset (3), zwischen De Geerdalen und Helvetiadalen. Den Stellungnahmen zufolge einer von wenigen Standorten, die überhaupt diskussionsfähig sind, ohne viel Konfliktpotenzial mit der Umwelt.
Tverrdalen (4), südlich vom Adventdalen. Ähnlich wie der Kreklingpasset abseits der Küste, zudem auch nicht bei einer häufig genutzten Tourenroute und ohne großes Konfliktpotenzial mit der Natur. Dieser Standort wird damit wohl im Rennen bleiben.
Langneset im Van Mijenfjord, zwischen Sveagruva und Reindalen (5). Diesem Standort stehen alle sehr kritisch gegenüber. Der Van Mijenfjord ist der einzige Fjord an der Westküste Spitzbergens, der heutzutage noch nennenswerte Eisbildung hat, da die Akseløya (eine Insel) seine Mündung absperrt. Entsprechend ist er ein wichtiges Wurfgebiet für Robben, und daher halten sich auch Eisbären regelmäßig im Gebiet auf, bis hin zu Weibchen, die hier ihren Nachwuchs zur Welt bringen. Die Ausweitung touristischer Touren in dieses Gebiet wird von allen sehr kritisch gesehen und wenn die Behörden die Einwände ernst nehmen, sollte dieser Standort keine Chance haben.
Die Zahl der Zulassungen, die möglicherweise erteilt werden, ist nicht vorgegeben, es könnten alle Standorte oder keiner sein. In jedem Fall wird es strenge Auflagen für den Betrieb der Hütten geben: Nutzung ausschließlich auf geführten Touren der jeweiligen Veranstalter, möglichst kein zusätzlicher Verkehr im Gelände und wenn, dann möglichst nicht motorisiert etc. Aber es wird gefürchtet, dass eine langfristige Ausweitung von Touren in bislang wenig genutzten Gebieten nur schwer aufzuhalten ist, wenn die Hütten erst einmal stehen und die dann etablierte Tourenpraxis Schritt für Schritt über die Jahre ausgeweitet wird.
Auch der Autor dieses Beitrags steht der Etablierung neuer, permanenter Infrastruktur in bislang naturbelassenen Wildnisgebieten ablehnend gegenüber. Wenn man schon zusätzliche Infrastruktur im Gelände schaffen will, gäbe es beispielsweise auch mobile Lösungen, die sich saisonal aufstellen lassen und anschließend wieder spurlos verschwinden können, was auch die spätere Steuerung im Fall von Fehlentwicklungen der Nutzung oder auftretenden Erosionsschäden deutlich erleichtern würde.
Der Hyperittfossen, ein Wasserfall am Elveneset im De Geerdalen: Die unberührte Landschaft und Natur würden von einer Hütte wohl kaum profitieren.