Seit es diese Webseite gibt (2006), beschäftigt sich diese Abteilung in bemerkenswerter Regelmäßigkeit mit Verschärfungen des rechtlichen Rahmens, der für verschiedenste Aktivitäten auf Spitzbergen gilt. Darunter sind natürlich manchmal sinnvolle Neuerungen – so kann man sich natürlich die Frage stellen, warum es bis vor gar nicht langer Zeit möglich war, dass mehr oder weniger alle sich in Longyearbyen eine scharfe Waffe kommerziell genau so einfach mieten konnten wie andernorts ein Fahrrad. Auf anderes wartet man bis heute vergeblich, etwa auf ein flächendeckendes Schwerölverbot für Schiffe in der Zwölfmeilenzone oder eine flächendeckende Deckelung der Personenzahlen auf großen Kreuzfahrtschiffen, mit denen etwa im Fall einer Havarie kein Rettungsdienst auch nur annähernd umgehen könnte.
Dann wieder reibt man sich die Augen, wenn die Bürokratie wieder einmal mit tollen Ideen kommt.
Aktuell scheint es eine Mischung aus beidem zu sein. Wieder einmal sind Verschärfungen des bestehenden Regelwerks im Gespräch beziehungsweise schon recht weit im bürokratischen Prozess. Im September hat das norwegische Miljødirektorat (etwa: Umweltamt) Vorschläge in ein öffentliches Hörungsverfahren gebracht, das bis zum 03.02.2022 läuft. Bis dahin können sich alle äußern, wobei viele nach den Erfahrungen mit ähnlichen Verfahren in den letzten Jahren skeptisch sind, inwieweit Meinungen außerhalb derer, die in den den zuständigen Ämtern gefestigt sind, tatsächlich Gehör finden.
Was steht also an? Die wichtigsten Punkte (nicht vollständig) kann man so zusammenfassen und kommentieren. Wenn von „großen Schutzgebieten“ die Rede ist, dann sind die Nationalparks Forlandet (Prins Karls Forland), Nordwest Spitzbergen und Süd Spitzbergen, Van Mijenfjord und Indre Wijdefjord sowie die Naturreservate Nordost Svalbard und Südost Svalbard gemeint. Letzte umfassen den gesamten Osten der Inselgruppe und erstere einen großen Teil der Süd-, West- und Nordküsteküste Spitzbergens.
Schiffe sollen in den großen Nationalparks nicht mehr als 200 Passagiere an Bord haben dürfen (Anmerkung: das gilt so bislang in den Naturreservaten, also im Osten der Inselgruppe Svalbard. Außerhalb der großen Schutzgebiete ist eine solche Deckelung demnach auch jetzt nicht vorgesehen).
Einer der schwerwiegendsten Punkte ist die Umkehrung des Rechtsprinzips in den großen Schutzgebieten: bislang darf man an Land gehen und sich bewegen, soweit es nicht im lokalen Einzelfall verboten ist. Dieses Prinzip soll umgedreht werden: kommt es wie vom Miljødirektorat geplant, dann ist es generell verboten, sich in den großen Schutzgebieten an Land zu bewegen, es sei denn, es ist im Einzelfall lokale erlaubt. Hierzu hat das Miljødirektorat eine Liste von 42 Orten vorgesehen. Ein Beispiel: demnach wäre es etwa auf der Insel Prins Karls Forland künftig nur noch erlaubt, bei Poolepynten an Land zu gehen. Davon abgesehen, wäre die über 80 Kilometer lange Insel vollständig für Besucherverkehr gesperrt. Was das bedeuten würde, kann man sich am konkreten Beispiel ausmalen, wenn man sich klar macht, dass wir mit den Reisen der letzten Jahren mit der Arctica II und der Antigua auf dem Prins Karls Forland an mindestens neun Stellen an Land unterwegs waren. Ähnlich liegen die Verhältnisse in allen anderen großen Schutzgebieten. Die Gründe dafür liegen nicht nur in der vielfältigen Landschaft, die überall andere Eindrücke zu bieten hat, sondern auch und vor allem in Sicherheitsaspekten: oft lassen Wind und Wetter Landgänge an einer bestimmten Stelle nicht zu, und dann ist es naheliegend und richtig, den Landgang woanders hin zu verlegen, wo die Verhältnisse besser und sicherer sind. Auch ein in der Nähe befindlicher Eisbär zwingt regelmäßig zu solchen kurzfristigen Anpassungen der Pläne. Es geht also um die Sicherheit von Mensch und Tier. Wäre es aus rechtlichen Gründen nicht mehr möglich, flexibel auszweichen, steigt der Druck, Dinge zu tun, die man vielleicht besser lassen sollte.
Von den geplantermaßen verbleibenden 42 Stellen sind einige auf eine Anzahl von maximal 39 Personen gleichzeitig beschränkt.
Die bislang überwiegend saisonal Jahr für Jahr neu ausgesprochenen Verbote für motorisierten Verkehr (sprich: Motorschlitten) auf dem Eis in bestimmten Fjorden wird gesetztlich festgeschrieben. Das ist dieses Jahr bereits im Van Mijenfjord und Van Keulenfjord geschehen und wird künftig ggf. den Tempelfjord, den Billefjord und den Dicksonfjord mit umfassen.
Das Verbot, sich Eisbären zu nähern, soll strenger formuliert werden. Bislang ist es verboten, sich Eisbären zu nähern, so dass Gefahr für Mensch oder Tier entsteht. Eine Entfernung bist bisland nicht genannt, und eine Annäherung, bei der es nicht zu Gefahr oder relevanten Störungen kommt, ist implizit erlaubt und mit Booten auch übliche Praxis. Nun wird eine Mindestentfernung festgelegt: geht es nach dem Miljødirektorat, sind künftig mindestens 500 Meter Entfernung von Eisbären einzuhalten.
Innerhalb von 500 Metern um bestimmte Vogelkolonien soll zu Wasser eine maximale Geschwindigkeit von 5 Knoten gelten. Wer könnte da ewas gegen haben?
Schiffe und Boote sollen einen Mindestabstand von 300 Metern um Walrossliegeplätze halten.
Der Gebrauch von Drohnen soll weitgehend verboten werden.
Bemerkenswerterweise sollen ein paar existierende Vorschriften auch außer Kraft gesetzt werden:
Besuche in Virgohamna sollen keiner Genehmigung durch den Sysselmester mehr bedürfen.
Die Verbotszone rund um die Reste der alten Pomoren- und Walfangstation in der Habenichtbukta auf der Edgeøya soll aufgehoben werden.
Die gesetzliche Forderung an die Tourismusbranche, für bestimmte, häufig angelaufene Landestellen ortsspezifische Richtlinien zu formulieren, soll aufgehoben werden (dem Vorschlag zufolge dürften die meisten dieser Stellen gar nicht mehr besucht werden).
Der Hammer liegt im zweiten Punkt oben, in dem geplanten, im Grundsatz flächendeckenden Verbot jeglichen Besucherverkehrs an Land in den großen Schutzgebieten mit Ausnahme ausgewählter Lokalitäten. Das wäre eine Umkrempelung des bislang geltenden Rechts und hätte erhebliche Konsequenzen für schiffsbasierten Tourismus in Spitzbergen, so wie er bislang Praxis ist. Eine ähnliche Regelung war um 2008/09 bereits im Gespräch. Damals wurde sie nach langen, heftig geführten Diskussionen schließlich als unverhältnismäßig und nicht ausreichend begründet abgelehnt.
Die folgenden zwei Kartenskizzen illustrieren den Unterschied zwischen der aktuellen Situation und den Plänen des Miljødirektorates:
Landestellen auf dem Nordaustland und umliegenden Inseln, die in den letzten Jahren von Touristen besucht wurden (nicht vollständig).
Landestellen in diesem Gebiet, die nach dem nun auf dem Tisch liegenden Gesetzvorschlag ab 2023 noch erlaubt wären (vollständig).
Diese Darstellung zeigt nur das Nordaustland und umliegende Inseln als Beispiel. Ähnliche Darstellungen mit drastischen Unterschieden zwischen bisheriger Praxis und den künftig möglicherweise geltenden Regeln ließen sich für fast alle anderen Teile der Inselgruppe zeigen.
Bislang handelt es sich „nur“ um einen Gesetzesvorschlag. Das Hörungsverfahren läuft bis Anfang Februar 2022, und danach wird der Vorschlag seinen Weg durch die Instanzen gehen. Man darf auf das Ergebnis gespannt sein. Nach aktuellem Stand sollen die neuen Regelungen 2023 in Kraft treten.
Auch die neue Regierung hat übrigens angekündigt, an der weiteren Erschließung von Öl- und Gasvorkommen im Schelfbereich in der Barentssee festhalten zu wollen. Auch die ökologisch verheerende Fischerei mit Schleppnetzen am Meeresboden soll wie bislang selbst in den Naturreservaten, etwa in der Hinlopenstraße, möglich sein.
News-Auflistung generiert am 29. März 2023 um 09:12:56 Uhr (GMT+1)
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