Am 30. Januar wurde ein Eisbär vom Sysselmannen mit Hubschrauber aus der Nähe Longyearbyens vertrieben und später auf der Nordseite vom Adventfjord betäubt, um in eine abgelegene Region ausgeflogen zu werden. Während des Transports starb der Eisbär, oder, genauer gesagt, die Eisbärin. Todesursache war Schock, ausgelöst durch die Belastung durch das Treiben mit Hubschrauber über mehr als 2 Stunden hinweg und die anschließende Vollnarkose.
Nun gibt es Kritik an dem Vorfall seitens des Mattilsynet, der norwegischen Lebensmittelaufsichtsehörde, die auch über die Kontrolle für Tiergesundheit und somit auch für die Betäubung von Wildtieren zuständig ist, auf Spitzbergen etwa im Zusammenhang mit Forschung oder mit bereitschaftsdienstlichen Maßnahmen wie im fraglichen Fall. Sowohl juristisch als auch operativ handelt es sich allerdings um ein komplexes Geschehen, wie die Svalbardposten ausführlich darstellt. Das norwegische Tierschutzgesetz gilt auch auf Spitzbergen, das Tiergesundheitspersonalgesetz (Dyrehelsepersonelloven) bislang aber noch nicht. Dennoch wird die Anwendung der dort festgeschriebenen Prinzipien indirekt durch das auch auf Spitzbergen geltende Tierschutzgesetz vorausgesetzt.
Sowohl das Norwegische Polarinstitut, vertreten durch Eisbärenforscher Jon Aars, als auch der Sysselmannen über den Umweltschutzbeauftragten Morten Wedege haben in der Svalbardposten auf die Kritik geantwortet. Aars war selbst nicht beim Vorgang am 30. Januar beteiligt.
Das Mattilsynet kritisiert nun mehrere Aspekte im Zusammenhang mit dem Fall von Januar, wobei auch von einem Mangel an Kompetenz die Rede ist. Bemängelt wird generell, dass es kein wissenschaftlich fundiertes Protokoll zum Fang von Eisbären (durch Betäubung) gibt. Es überrascht nicht, dass das Norwegische Polarinstitut hier anderer Meinung ist; es kommt wohl auf die Anforderungen an, die an ein solches Protokoll zu stellen sind.
Im konkreten Fall wurde die physische Verfassung des Eisbären nicht ausreichend in die Abwägung vor der Betäubung einbezogen. Dies könnte in Anbetracht des geringen Gewichts des Bären von nur 62 Kilogramm sowie der großen Belastung durch das 2,5 Stunden andauernde Jagen mit dem Hubschrauber kurz vor der Betäubung eine wesentliche Rolle gespielt haben. Darüber hinaus wird kritisiert, dass es keine medizinische Kompetenz und Ausrüstung gegeben habe, um den betäubten Bären im Fall einer Verschlechterung des Zustandes behandeln zu können. Der Gedanke liegt nahe, dass dies im betreffenden Fall ebenfalls eine entscheidende Rolle gespielt haben könnte. Das wird, soweit bekannt, vom Mattilsynet aber nicht weiter ausgeführt. Dort legt man vor allem Wert darauf, dass sich derartige Vorfälle nicht wiederholen, indem die entsprechenden Routinen verbessert werden. Im Wiederholungsfall schließt die zuständige Regionalchefin Hilde Haug auch verbindliche Auflagen nicht aus.
Junger Eisbär zusammen mit seiner Mutter. Der kleinere Bär war zur Zeit der Aufnahme etwa 20 Monate alt und sicher schwerer als 60 kg.
Aufschlussreich sind auch die Aussagen zweier Tierärzte, die von der Svalbardposten kontaktiert wurden. Nur diese beiden sollen infrage kommen als Tierärzte, die das Betäubungsmittel verschrieben haben können. Das geschah allerdings nicht im Zusammenhang mit dem konkreten Fall, sondern auf Vorrat: Durch die Forschung an Eisbären, bei der jedes Jahr Dutzende oder auch eine dreistellige Zahl von Bären betäubt werden, verfügt das Norwegische Polarinstitut in Longyearbyen über einen größeren Vorrat des betreffenden Mittels. Für dessen Anwendung bleiben die verschreibenden Ärzte verantwortlich, auch wenn sie in die Praxis, sei es Forschung oder ein polizeilicher Zusammenhang, im Einzelnen nicht eingebunden sind. Keiner der betreffenden Ärzte wurde im konkreten Fall kontaktiert, und einer von beiden teilte mit, dass er seine Zustimmung zur Verwendung des Betäubungsmittels in diesem Fall auch verweigert hätte. Eine mögliche Alternative wäre aus Sicht des Sysselmannen allerdings wohl der unmittelbare Abschuss gewesen.
Rechtlich kann der Tierarzt die Anwendung des Medikaments einem Helfer überlassen, wenn dieser dazu in der Lage ist. Allerdings wurde keiner der beiden Tierärzte kontaktiert, die entsprechende Betäubungsmittel verschrieben haben. Es ist nicht einmal klar, wer von beiden die fragliche Lieferung verschrieben hat, so dass die Verantwortung auch nicht zuzuordnen ist. Möglicherweise war das verwendete Betäubungsmittel bereits abgelaufen; dies ist laut Polarinstitut aber unwahrscheinlich und es ist, ebenfalls laut Jon Aars (Polarinstitut) fraglich beziehungsweise unwahrscheinlich, ob es ggf. eine Auswirkung gehabt hätte.
Schon während des Vorgangs betonte der Sysselmannen bei den Pressemeldungen regelmäßig, dass „eisbärenfachliche Kompetenz“ durch das Norwegische Polarinstitut vor Ort involviert sei. Dabei wurden keine Namen oder Berufsbezeichnungen genannt, aber Tierärzte werden in solche Vorgänge nicht unmittelbar beteiligt. Beide befragten Tierärzte äußerten sich dahingehend, dass sie zumindest auf eine beratende Rolle aus der Ferne während des Vorgangs wohl Wert gelegt hätten; wie erwähnt teilte einer mit, dass er die Verwendung des Betäubungsmittels verweigert hätte. Allerdings gehen beide davon aus, dass das verwendete Medikament nicht aus dem jeweils von ihnen verschriebenen Bestand stammen könnten.
Alle Beteiligten kennen die Komplexität der juristischen und sachlichen Verhältnisse und die Schwierigkeit der Entscheidungen, die unter Zeitdruck in einer Stresssituation getroffen werden müssen. Aber man kann als Fazit festhalten: Ein großes Tier wie einen Eisbären in tiefe Vollnarkose zu versetzen, das kurz vorher über Stunden unter starkem Stress stand, ohne dessen Gewicht und Zustand zu kennen, ohne tiermedizinische Notfallausrüstung und ohne einen Tierarzt unmittelbar zu beteiligen – das muss man nicht als verantwortungsvollen Umgang mit einem streng geschützten Tier empfinden.