Das Krisesenteret Tromsø, eine Anlaufstelle für Opfer familiärer Gewalt, hat einem NRK-Beitrag zufolge eine besorgniserweckende Diskussion angestoßen: Opfer familiärer Gewalt stehen in Longyearbyen möglicherweise in einer deutlich hilfloseren Position als auf dem norwegischen Festland.
Hintergrund: der Spitzbergenvertrag
Die Hintergründe liegen im Spitzbergenvertrag begründet: Dieser regelt, seit er 1925 in Kraft trat, dass Bürger aller Unterzeichnerstaaten freien Zugang haben. Ein Visum, Aufenthalts- oder Arbeitsgenehmigung sind nicht erforderlich, um dort zu leben und zu arbeiten (die Anreise erfordert aber ggf. ein Schengen-Visum).
Daher gilt das „utlendingsloven“ (Ausländergesetz) auch nicht, das den Zugang und Aufenthalt von Ausländern in Norwegen regelt. Dieses Gesetz regelt allerdings auch etwa, dass nicht-norwegische Opfer von familiärer Gewalt unabhängig vom Partner eine Aufenthaltsgenehmigung beantragen können und dass sie Anspruch auf Hilfe haben, etwa durch spezialisierte Einrichtungen und Anwälte.
Diese Rechte bestehen in Spitzbergen nicht, da dieses Gesetz sowie das Sozialgesetz dort nicht gelten. Das kann insbesondere nicht-norwegische Frauen, die finanziell vom Partner abhängig sind, in eine starke Abhängigkeitssituation bringen, denn wenn sie nicht in der Lage sind, aus eigener Kraft materiell eigenständig dort weiter zu leben, bleibt nur die Rückreise ins Heimatland. Dabei handelt es sich aber mitunter um ärmere Länder mit einer politisch und sozial weniger stabilen Lage, wo Betroffene nicht unbedingt eine Zukunft für sich und ihre Kinder sehen. Das kann letztlich dazu führen, dass Opfer länger in Partnerschaften verbleiben, in denen sie Gewalt ausgesetzt sind.
Longyearbyen ist für die allermeisten ein Ort, an dem man gut und sicher leben kann. Aber es gibt Ausnahmen, und dann kann das Leben noch schwieriger sein als anderswo.
Eine Anwältin, die eine Betroffene juristisch betreut, kommentiert das so: „Es wirkt auch, als wäre Svalbard norwegisch, wenn es uns passt, und plötzlich ist es nicht norwegisch, wenn es nicht passt.“
Zwei polizeibekannte Fälle von familiärer Gewalt seit 2020
Seit Anfang 2020 sind in Longyearbyen zwei Fälle polizeibekannt geworden, die in diesem Zusammenhang von Bedeutung sind. Sysselmann Kjerstin Askholt weist darauf hin, dass derartige Fälle polizeilich genau so wie auf dem Festland verfolgt werden. Die politische Einschätzung darüber hinaus teilt sie nicht bzw. sie sieht Parallelen zu Fällen allgemein im Ausland, in denen etwa eine Norwegerin ohne geklärten Aufenthaltsstatus Opfer familiärer Gewalt wird. Auch hier müsse man akzeptieren, dass derartige Fälle für die Betroffenen andere Konsequenzen haben können als für eine Person mit festem Aufenthaltsstatus.
Bürgermeister Arild Olsen erkennt das Problem an und meint, man müsse es politisch aufgreifen und untersuchen.
Hanne Stenvaag from Krisenzentrum Tromsø geht von einer hohen Dunkelziffer aus.