Schon länger schwelt in der Barentssee ein „Kabeljaukrieg“ zwischen der EU und Norwegen. Nun droht er zu eskalieren. Hintergrund sind Streitigkeiten zwischen Oslo und Brüssel über Fangrechte in den zu Svalbard gehörenden Gewässern.
Streitobjekt: Fischereiquoten in der Barentssee nach dem Brexit
Vordergründig geht es darum, dass Norwegen nach dem Brexit die Fangmenge Großbritanniens von jener der EU-Fischereiflotte abgezogen hat, wie der norwegische Sender NRK berichtet. Damit bleiben den heutigen EU-Ländern noch 17.885 Tonnen, während die Briten 5.500 Tonnen aus dem Wasser holen dürfen. Das wurde von Brüssel allerdings abgelehnt. Dort teilte man sich selbst eine Quote von 28.431 Tonnen zu, was Norwegen wiederum nicht akzeptiert. Die EU hält die norwegische Regelung für willkürlich und diskriminierend.
Nun haben beide Seiten rhetorisch aufgerüstet. Von überall hört man, man sei vorbereitet, um die eigenen Rechte zu wahren. Brüssel will notfalls zu „allen notwendigen Maßnahmen greifen, um europäische Interessen gegenüber Norwegen zu sichern“. In Norwegen wiederum verweist man auf Küstenwache und Polizei, die gut vorbereitet seien und gegebenenfalls Fischereischiffe beschlagnahmen würden, die Fang ohne gesetzliche Quote an Bord haben. So äußerte sich aktuell Lars Fause, leitender Staatsanwalt in Nordnorwegen. Später in diesem Jahr wird Fause in Longyearbyen die Nachfolge von Sysselmann Kjerstin Askolt antreten – begrifflich neu gewandet als erster Sysselmester.
Lecker Dorsch (Kabeljau) aus dem Isfjord. Im Streit zwischen Norwegen und der EU geht es allerdings um andere Mengen.
Kern des Problems: der Spitzbergenvertrag
Im Kern liegt das Problem allerdings tiefer als ein paar Tonnen Fisch: Es geht um die Deutung des Spitzbergenvertrages, dessen zweiter Artikel allen Unterzeichnerstaaten – die allermeisten europäischen Länder gehören dazu – „gleiche Rechte der Fischerei und der Jagd in den in Artikel 1 definierten Territorien und den dazu gehörigen Territorialgewässern“ sichert. Die Krux liegt im Begriff „Territorialgewässer“. Dieser ist historisch nicht scharf definiert. In früheren Jahrhunderten beanspruchten Staaten die Gewässer drei Meilen vor der Küste (früher eine Kanonenschussweite). Ab 1921 – nach Unterzeichnung des Spitzbergenvertrages (1920) – begannen Staaten, ihre Hoheitsrechte auf bis zu zwölf Meilen auszudehnen. Ganz eindeutig und einheitlich ist das bis heute nicht global geregelt, aber soweit besteht Einigkeit: In der Zwölfmeilenzone um die Inselgruppe Spitzbergen (Svalbard) gilt der Spitzbergenvertrag und sichert allen Mitgliedsstaaten gleiche Rechte.
Problematisch wird es allerdings in der „Ausschließlichen Wirtschaftszone“, also der 200-Meilen-Zone außerhalb der Zwölfmeilenzone. Diese wurde erst 1982 im Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen völkerrechtlich festgelegt. Nun beansprucht Norwegen auf Basis des Artikels 1 des Spitzbergenvertrages die „volle und uneingeschränkte Souveränität“, wie es dort heißt, auch über die 200-Meilen-Zone um Svalbard, pocht jedoch darauf, dass das in Artikel 2 festgelegte gleiche Recht für alle (etwas technischer: das Nichtdiskriminierungsprinzip) dort nicht gelten soll, sondern dass Norwegen hier exklusive Rechte hat. Es überrascht nicht, dass hier nicht unbedingt allgemeines Einverständnis herrscht.
Die Küstenwache sichert die norwegische Souveränität in den Gewässern um Spitzbergen. Nun stehen unfreundliche Begegnungen mit EU-Fischereischiffen zu befürchten.
Der Spitzbergenvertrag und die „Ausschließliche Wirtschaftszone“
Unabhängig davon, ob innerhalb der Ausschließlichen Wirtschaftszone (200-Meilen-Zone) das Nichtdiskriminierungsprinzip des Spitzbergenvertrages nun gilt oder nicht, besteht allerdings kaum Zweifel daran, dass Fischereischiffe aus der EU oder aus Drittländern dort norwegische Wirtschaftsrechte anerkennen müssen. Die Frage ist aber, wie Norwegen die Rechte, die den Fischern anderer Länder eingeräumt werden, gegenüber den eigenen Quoten gewichtet: gleichberechtigt (wenn Artikel 2 des Spitzbergenvertrags dort anzuwenden wäre) oder exklusiv.
Eine komplizierte Materie. Was offenkundig bislang fehlt, ist eine von allen Seiten anerkannte Instanz, die offene Fragen bei der Interpretation des Spitzbergenvertrages verbindlich entscheiden kann. Hier besteht Norwegen darauf, selbst die ausschließliche Interpretationshoheit zu besitzen. Das sieht man in Brüssel offenkundig anders.
Während dieser Klärungsbedarf bestehen bleibt, rüsten die norwegische Küstenwache und die europäischen Fischereiflotten schon auf, und entsprechende Konflikte sind zu befürchten. Der unbeteiligte Beobachter schaut zu und staunt.
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