Die markanten und in der Tierwelt einzigartigen Stoßzähne der Narwale dienen den Tieren als sensibles Sinnesorgan, mit dem sie Veränderungen in ihrer Umgebung wahrnehmen können. Diese These konnten Forscher nun bestätigen.
Narwale bilden zusammen mit den Weißwalen (Belugas) die Familie der Gründelwale. Sie sind im Nordpolarmeer, besonders westlich und östlich von Grönland, um Spitzbergen und nördlich der sibirischen Küste verbreitet.
Das Gebiss ist bei Narwalen zurückgebildet und beschränkt sich auf zwei Eckzähne im Oberkiefer. Bei männlichen Tieren wächst der linke dieser Eckzähne spiralförmig durch die Oberlippe hindurch und entwickelt sich zu einem Stoßzahn, der bis zu ca. 2,6m lang werden kann. In seltenen Fällen kann es vorkommen, dass auch der rechte Eckzahn heraus wächst. Der Wal hat dann zwei Stoßzähne, die allerdings kürzer ausfallen. Auch weiblichen Tieren können Stoßzähne wachsen, dies ist jedoch eher ungewöhnlich.
Welche Funktion die Stoßzähne für die Tiere haben, war lange unklar und wurde kontrovers diskutiert. Anerkannt sind heute zwei Erklärungen: Sie dienen als Dominanzmerkmal der männlichen Tiere, um sich gegen Rivalen durchzusetzen und als Sinnesorgan.
Seit einigen Jahren untersucht Dr. Martin Nweeia von der Harvard School für Zahnmedizin (HSDM) zusammen mit anderen Forschern die Funktion der Narwalzähne. Die These der Forscher, dass die Zähne den Tieren als sensibles Sinnesorgan dienen, konnte nun erhärtet werden. Frühere Untersuchungen hatten bereits ergeben, dass die Stoßzähne, anders als bei Zähnen von Säugetieren üblich, keinen Zahnschmelz haben, der den Zahn nach außen hin schützt. Nun konnte gezeigt werden, dass die äußere Schicht, das Zahnzement, porös ist und dass die inneren Schichten von mikroskopisch kleinen Röhren durchzogen sind, die zum Zentrum des Zahns führen. Das Material des Zahns ist also starr aber durchlässig. Den inneren Kern des Zahns bildet die Pulpa. Dort konnten die Forscher Nervenenden ausmachen, die mit dem Gehirn des Wals verbunden sind. Aufgrund dieser Struktur ist der Zahn sensibel für Veränderungen in seiner Umgebung, wie z.B. Veränderungen der Temperatur, des Salzgehalts im Wasser oder anderer chemischer Parameter. In Versuchen konnte gezeigt werden, dass sich die Herzfrequenz des Wals veränderte, wenn der Stoßzahn unterschiedlichen Salzgehalten im Wasser ausgesetzt war.
Vermutlich dient diese Fähigkeit des Stoßzahns den männlichen Narwalen zum Auffinden und zur Beurteilung der Paarungsbereitschaft von weiblichen Tieren. Außerdem dürfte sie das Auffinden von Beutetieren erleichtern.
Die Forscher um Dr. Nweeia interessiert nun die Frage, ob es sich bei dieser einzigartigen Fähigkeit, den Zahn als sensibles Sinnesorgan zu verwenden, um eine evolutionäre Weiterentwicklung handelt oder um ein Überbleibsel aus einer früheren Entwicklungsstufe.
Stoßzahn und Schädel eines Narwals, gestrandet im Bellsund, Spitzbergen.
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