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HomeArktis-Blog: Jan Mayen, Spitzbergen → Bee­ren­berg – 20./21. Juni 2015

Bee­ren­berg – 20./21. Juni 2015

(20./21. Juni 2015) – Der Bee­ren­berg – die­ser berühmt-berüch­tig­te Vul­kan, der hier so mit­ten im Nord­at­lan­tik 2277 Meter aus dem Meer ragt, oben mit Glet­schern gekrönt, ein Gip­fel, auf den man kaum zu hof­fen wagt. Zuviel muss zusam­men­pas­sen, zuvie­le Fak­to­ren, die man nicht kon­trol­lie­ren kann, vor­ne­weg natür­lich das Wet­ter. Wie oft habe ich in Emails an Leu­te, die sich für die­se Fahrt inter­es­sie­ren, geschrie­ben, man sol­le sich bloß nicht zu sehr auf den Bee­ren­berg-Gip­fel ver­stei­fen. Stimmt ja auch. Damit steigt vor allem das Frus­t­ri­si­ko.

Und doch, natür­lich haben die meis­ten von uns die­sen Wunsch. Und für mich war die­ses Bild vom Vul­kan­kra­ter in über 2000 m Höhe der Anlass, vor ein paar Jah­ren nach Mög­lich­kei­ten zu suchen, umfas­sen­der nach Jan May­en zu kom­men, was in die­sen Rei­sen mit Sig­gi und sei­ner Auro­ra resul­tier­te. Also, zuge­ge­ben: ich will da auch hoch.

Heu­te könn­te es klap­pen. Alles sieht gut aus, vor­ne­weg die Wet­ter­vor­her­sa­ge. Es soll ein paar Tage lang fast wind­still sein, und die tie­fe Wol­ken­de­cke, die Jan May­en ein­hüllt, hat man nach eini­gen hun­dert Höhen­me­tern unter sich, wie die Wet­ter­frö­sche von der Sta­ti­on bestä­ti­gen. Das könn­te unse­re Gele­gen­heit sein, der gol­de­ne Moment.

Dazu kommt: die­je­ni­gen in unse­rer Grup­pe, die an der Bestei­gung teil­neh­men wol­len und ent­spre­chend aus­ge­rüs­tet sind, sind alle fit und erfah­ren. Wir sind ins­ge­samt acht, die Gip­fel­träu­me hegen. Alle waren schon in der Ark­tis bezie­hungs­wei­se im Hoch­ge­bir­ge unter ähn­li­chen Bedin­gun­gen unter­wegs. Man kann nur davor war­nen, den Bee­ren­berg zu unter­schät­zen. Die Stre­cken, die Höhe, das Gelän­de … man denkt zu schnell, das ist doch kein Pro­blem, in den Alpen war man doch auch schon auf 3000 Metern. Der Ver­gleich trügt!

Und ein wei­te­rer gro­ßer Vor­teil spielt uns in die Hän­de: Sta­ti­ons­kom­man­dant Viggo, der selbst zu ger­ne mit dabei wäre, fährt uns bis zur Nord­la­gu­ne, so dass uns 13 Kilo­me­ter Fuß­marsch mit Gepäck erspart blei­ben, was natür­lich die Kräf­te erheb­lich schont. Und die wer­den spä­ter noch gebraucht! Für Viggo ist das eine Klei­nig­keit, für uns ein unschätz­ba­rer Dienst, um den wir nie­mals hät­ten bit­ten dür­fen – so sind hier die Regeln.

Also hol­pern am frü­hen Nach­mit­tag 2 alte Jeeps über die Pis­te nach Nor­den, ent­lang der Sør­la­gu­ne durch eine öde Lava- und Sand­wüs­te, über der grau­er Nebel hängt. Über einen fla­chen Pass und das Jøs­sing­da­len geht es zur Nord­la­gu­ne, wo wir schnell mit ver­ein­ten Kräf­ten einen her­ab­ge­stürz­ten Fels­bro­cken von der Pis­te schie­ben, um das Tornøe­da­len errei­chen zu kön­nen. Von hier geht es zu Fuß wei­ter.

Einer schmerz­haf­ten Ver­nunft fol­gend, depo­nie­re ich hier 2 von mei­nen 3 Objek­ti­ven, nur eines darf mit auf den Bee­ren­berg hin­auf (das 16-35 mm Weit­win­kel), jetzt kommt es auf das Gewicht an. Falls bei Rück­kehr hier gutes Licht ist, wer­de ich die ande­ren Lin­sen hier noch brau­chen kön­nen. Und auf jeden Fall wer­de ich etwas ener­gie­rei­che Nah­rung (vul­go: Kek­se und Scho­ko­la­de) sowie etwas zu trin­ken gebrau­chen kön­nen, was ich eben­falls in wei­ser Vor­aus­sicht hier ver­staue, in einem was­ser­dich­ten Beu­tel und sturm­si­cher unter Treib­holz­bal­ken ver­steckt.

Viel trost­lo­ser als das den Weg von der Nord­la­gu­ne nach Nor­den kann ich mir kei­ne Land­schaft vor­stel­len. Schwar­zer Sand, schwar­ze Lava, nas­ser Schnee, grau­er Nebel. Ohne GPS mit Track von einer frü­he­ren Tour von Sig­gi wäre es sehr schwie­rig. So stap­fen wir über Schnee, Stei­ne und Moos durch das Grau, erfreu­en uns an den gele­gent­lich sich auf­tu­en­den Bli­cken und las­sen uns ab und an von Schma­rot­zer­raub­mö­wen und Sku­as atta­ckie­ren.

Gale­rie – Bee­ren­berg 2015

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Schließ­lich haben wir unter­halb des Pálff­y­kra­ters die letz­ten mut­maß­lich schnee­frei­en Stel­len erreicht, wo wir noch mal ein paar Stun­den ras­ten wol­len, um dann mit mög­lichst fri­schen Kräf­ten den Bee­ren­berg anzu­ge­hen. Drei Stun­den in den Schlaf­sä­cken sol­len rei­chen, aber von ech­tem Schlaf kann sowie­so kaum die Rede sein. Grau und trost­los ist es, wäh­rend die bei­den Gas­ko­cher zischend kal­ten Schnee und Pül­ver­chen zusam­men in eine kräf­ti­gen­de Mahl­zeit ver­wan­deln.

Wäh­rend wir ver­su­chen, ein wenig weg­zu­tre­ten, senkt sich der Nebel, und über uns wird es blau. Gegen Mit­ter­nacht wer­den im Süden die Kra­ter und Gip­fel von Sør Jan sicht­bar, dem Süd­teil der Insel, wo sich schnee­be­deck­te Ber­ge bis zu 769 Meter hoch erhe­ben, viel­leicht 300 Meter über die tie­fe Wol­ken­schicht. Im war­men Licht der Mit­ter­nachts­son­ne ein ein­ma­li­ger Anblick.

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Nach­dem Mägen und Was­ser­fla­schen noch ein­mal gefüllt sind, geht es los. Ober­halb des Pálff­y­kra­ters ist der Glet­scher erreicht. Fünf bis sechs Kilo­me­ter lang erstreckt sich die flach anstei­gen­de Schnee­flä­che und steigt dabei von 700 auf 1500 Meter an. Den stei­le­ren Gip­fel, der auf dem fla­che­ren Sockel sitzt wie ein Gugl­hupf, haben wir die gan­ze Zeit vor Augen: Das sol­len noch 1700 Höhen­me­ter sein? Ja, sind es. Man darf die Ent­fer­nun­gen nicht unter­schät­zen, und die lut­schen einem hier das Mark aus den Kno­chen, wäh­rend man Schritt für Schritt durch den Schnee berg­an stapft. Etwas bes­ser haben es hier Bro­dy und Liz, unse­re bei­den ame­ri­ka­ni­schen Ski-Pro­fis, aber dafür muss­ten sie ihre Ski auch weit schlep­pen und noch wei­ter zurück.

Die Son­ne ist hin­term Berg ver­schwun­den, was ein Vor­teil ist und ein Grund für unse­ren „nächt­li­chen“ Auf­stieg, denn so ist der Schnee här­ter und bes­ser zu gehen. Und der Bee­ren­berg wirft einen mäch­ti­gen Schat­ten auf die Wol­ken­de­cke, geziert von einer kreis­run­den, regen­bo­gen­ar­ti­gen Licht­erschei­nung.

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Lang­sam und ste­tig geht es bis zum Nunatak­ken, dem letz­ten ape­ren (schnee­frei­en) Fels in 1500 Meter Höhe, der aller­dings gera­de über­haupt nicht aper, son­dern im Gegen­teil kom­plett vom Schnee ver­deckt ist. Das Früh­jahr war sehr schnee­reich auf Jan May­en, und das ist für uns ein wei­te­rer Rie­sen­vor­teil: Ab jetzt geht es näm­lich in spal­ti­ges Glet­scher­ge­län­de, und ohne brauch­ba­re Schnee­brü­cken wäre die Rou­te schwie­rig, wenn nicht unmög­lich. Frü­he­re Expe­di­tio­nen muss­ten hier schon wegen Schnee­man­gel auf den Spal­ten umkeh­ren.

Schön in Seil­schaft gesi­chert und sor­tiert, die Eisaxt in der Hand und Steig­ei­sen an den Berg­stie­feln, geht es nun an den stei­len Hang. Nur noch 1,5 Kilo­me­ter Luft­li­nie sind es bis zum Gip­fel, gut 700 Höhen­me­ter, aber die haben es in sich. Der Hang ist 40 Grad steil, das zehrt ordent­lich an den Kräf­ten, und die Spal­ten erfor­dern Umwe­ge.

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Ein letz­ter Hang, ein letz­ter Rücken, dann noch ein letz­ter Hang und dann noch ein letz­ter Hang, es streckt sich ewig, die Bei­ne schmer­zen und die Lun­gen pum­pen, wäh­rend wir uns im Zick­zack Meter für Meter nach oben vor­ar­bei­ten. Irgend­wann erweist sich aber ein Hang gnä­di­ger­wei­se tat­säch­lich als der letz­te, und vor uns stürzt das eisi­ge Land in die Tie­fe: Wir ste­hen vor dem zen­tra­len Kra­ter. 1,5 Kilo­me­ter breit und kom­plett eis­ge­füllt, die Kra­ter­wän­de fal­len steil in die Tie­fe ab.

Noch sind wir in kei­ner Hin­sicht am Ende. Der Kra­ter­rand hat meh­re­re Gip­fel, und der höchs­te ist der Haa­kon VII Top­pen auf der West­sei­te. Wir haben also noch einen Kilo­me­ter vor uns, auf und ab über einen teils kup­pi­gen, teils schma­len Grat, wo das Gelän­de mit­un­ter recht alpin wird. Aber der Schnee bie­tet den Steig­ei­sen guten Halt.

Ziem­lich genau um 10 Uhr (nor­we­gi­sche Zeit, die gilt auf der Sta­ti­on), 8,5 anstren­gen­de Stun­den nach­dem wir den Bivacplatz am Pálff­y­kra­ter ver­las­sen haben, ist der Gip­fel erreicht. 2277 Meter über dem Meer, viel­leicht 1800 Meter über den Wol­ken und über­haupt ziem­lich hoch über allem im wei­ten Umkreis, so fühlt es sich an. Über uns ein knall­blau­er Him­mel, im Süd­os­ten scheint die Son­ne grell auf den Kra­ter, und der Wind tobt sich freund­li­cher­wei­se gera­de woan­ders aus, so dass wir es eine gan­ze Wei­le aus­hal­ten, unse­re Freu­de mit­ein­an­der tei­len kön­nen, wie es auf Berg­gip­fel Brauch ist, die Aus­bli­cke genie­ßen und Fotos machen kön­nen. Es reicht sogar, um den Gas­ko­cher auf­zu­stel­len und die Was­ser­vor­rä­te auf­zu­fül­len, was sehr wich­tig ist. Ohne stän­di­ge Was­ser­zu­fuhr möch­te ich mir den Auf­stieg nicht vor­stel­len, und den Abstieg auch nicht.

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Der Abstieg wird über­ra­schend anstren­gend, wozu nicht nur die Müdig­keit bei­trägt – immer­hin sind wir jetzt seit 30 Stun­den ohne ech­ten Schlaf, von der gan­zen Stre­cke und Höhe abge­se­hen – son­dern auch die Son­ne, die nun mit vol­ler Kraft auf den Schnee scheint und die Ober­flä­che weich wer­den lässt. Sobald wir nach gut 1000 Höhen­me­tern Abstieg die Seil­schaft auf­lö­sen kön­nen, geht jeder sein Tem­po, und meins ist lang­sam, denn in der glü­hen­den Son­ne, gerös­tet von oben und von unten, ste­he ich kurz vor dem Hit­ze­schlag! Man glaubt es kaum, auf Jan May­en, aber das gibt es. Vie­le Bli­cke zurück zu die­sem ein­ma­li­gen Gip­fel, eine schö­ne Pau­se auf den ers­ten schnee­frei­en Fel­sen, und bald ist der Bivacplatz wie­der erreicht, wo alle für eine Wei­le in die Schlaf­sä­cke krie­chen.

Die ande­ren zieht es bald zurück ins Lager in der Kval­ross­buk­ta, was noch ein­mal etwa 17 Kilo­me­ter sind. Ich blei­be noch ein paar Stünd­chen län­ger, zu schön ist es hier in der Son­ne in 500 Metern Höhe im Moos. So freund­lich erlebt man Jan May­en sel­ten.

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Schließ­lich bre­che ich auch auf, der Schlaf ist unter frei­em Him­mel doch zu fern. Immer­hin ist die Sicht nun wenigs­tens zunächst bes­ser als beim Auf­stieg, und so kann ich im schnee­ge­füll­ten Alfred Øiend­a­len eine bes­se­re Rou­te suchen, bis schließ­lich das wenigs­tens teil­wei­se schnee­freie Tornøe­da­len erreicht ist. Ich fol­ge neu­gier­halb­er der Tie­fen­li­nie und muss zwei­mal klei­ne Stü­cke wie­der hoch­stei­gen, wo ein klei­ne­rer und ein grö­ße­rer Was­ser­fall das Tal unpas­sier­bar machen. Bald ist die Nord­la­gu­ne wie­der erreicht, dich­ter Nebel und eine leich­te Bri­se sind eine eisi­ge Kom­bi­na­ti­on, und so lade ich mir mei­ne bei­den dort zurück­ge­las­se­nen Objek­ti­ve zusätz­lich in den Ruck­sack, schüt­te mit gewal­ti­gem Appe­tit die dort eben­falls lagern­de, heiß­ersehn­te Fla­sche Zucker­was­ser in mich hin­ein und mache mich so gestärkt auf. Die ver­blei­ben­den 13 Kilo­me­ter sind lang und zäh … aber gegen 2 Uhr früh ist das Lager in der Kval­ross­buk­ta erreicht, nach ins­ge­samt 46 Kilo­me­tern zu Fuß.

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Letzte Änderung: 20. November 2016 · Copyright: Rolf Stange
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