Die Lawine in Longyearbyen war offensichtlich das Spitzbergen-Thema, das die Leute vor Ort und die interessierte Welt über Weihnachten beschäftigt hat. Die akute Phase ist erst mal vorbei. Die Evakuierungen werden teilweise mindestens bis zum 1.1.2016 aufrecht erhalten, auch da nun wieder ungünstiges Wetter mit Wind, Niederschlag und Temperaturen um den Nullpunkt herrscht. Es wird also noch dauern, bis die Betroffenen wieder in ihr tägliches Leben zurückkehren können, soweit dies überhaupt wieder möglich sein wird. Einige sind bereits in neue Häuser gezogen. Und für das zweijährige Mädchen und den 42-jährigen Mann, die ihr Leben im Schnee ließen, ist sowieso alles auf tragische, traurige Weise abrupt zu Ende gegangen. Für ihre Angehörigen wird das Leben nie wieder so sein wie früher.
Ihr Leben ist abrupt zu Ende gegangen, und natürlich hat niemand am Samstag vor Weihnachten mit der Lawine gerechnet. Allerdings stellt sich nun die Frage, ob die Lawine tatsächlich so unerwartet war, wie es zunächst zu lesen und zu hören war. Tatsächlich sind Lawinen ein Thema, mit dem man sich in Longyearbyen schon seit Jahren beschäftigt. Markus Eckerstorfer hat sich in seiner Doktorarbeit mit der Lawinengefahr in Longyearbyen beschäftigt. In einem Interview mit der norwegischen Zeitung VG weist Eckerstorfer darauf in, dass die Lawinengefahr im betroffenen Gebiet schon 2001 in einem Bericht beschrieben worden ist. Auch später hat man sich in Forschung und Unterricht mit der offensichtlich bekannten Lawinengefahr beschäftigt. Die Gemeindeverwaltung von Longyearbyen (Lokalstyre) hat 2012 selbst darauf hingewiesen, dass Teile von Longyearbyen lawinengefährdet sind und dass Maßnahmen wie technische Sicherung und bei Bedarf Evakuierungen notwendig sein können. Dabei sind nicht nur die bekannten Gefahren durch Steinschlag und Bergsturz v.a. für den Ortsteil Nybyen, sondern auch Schneelawinen gemeint: so ist explizit die Möglichkeit erwähnt, gefährliche Schneewechten präventiv zu sprengen. Auch wenn die Lawine vor Weihnachten nicht von einer Wechte ausging, sondern am Hang abriss, ist doch klar, dass man Schneelawinen auf dem Schirm hatte. In Nybyen hat es in den letzten Jahren bereits Lawinen gegeben, die bis dicht vor die Häuser und die Straße reichten.
Eckerstorfer weist im Interview auch explizit darauf hin, dass die Wetterlage mit starkem Ostwind, wie sie zum Unglück vor Weihnachten führte, als starker auslösender Faktor für die Lawinengefährdung bekannt war. Ohne dass konkrete Vorwürfe an bestimmte Institutionen oder gar Personen gerichtet werden, steht die Frage nach Verantwortung im Raum.
Angesichts zweier Todesopfer, der Zerstörung von elf Wohnhäusern, der nun für alle offensichtlichen Gefährdung auch weiterer bewohnter Häuser und dem mittlerweile bekannten Umstand, dass man von Glück sprechen muss, dass die Anzahl der Opfer nicht noch deutlich höher liegt, wird man der Frage nach Verantwortung und Konsequenzen nun kaum noch ausweichen können.
Schon vor der Lawine vor Weihnachten wurde immer wieder gefordert, Longyearbyen in Norwegens Lawinenwarnsystem einzubeziehen. Vorher wurde viel und lange darüber geredet, aber nun ging es plötzlich schnell: jetzt gibt es auf varsom.no zumindest vorläufig Informationen zur aktuellen Lawinengefährderung in Longyearbyen.
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