Mo
29. Feb
2016
Natürlich kann man auch sagen, dass es einfach nur ein Kaltlager ist und sonst nichts. So ist es ja auch, zunächst. Aber genauso natürlich ist es noch viel mehr als das. Eine Menschheitshoffnung, die Rettung Überlebender nach globalen Katastrophen. Nun, wahrscheinlich ist das eine genauso untertrieben wie das andere übertrieben, aber auf jeden Fall zieht das Saatgutlager viel Aufmerksamkeit auf sich. Was übrigens im Februar 2008, als das Lager eröffnet wurde, auch die Eröffnung der Nachrichten auf dieser Webseite nach sich zog, mit einem Hinweis auf eben die Eröffnung des Saatgutlagers, das ein fast schon monumentales weltweites Medienecho nach sich zog. Seitdem gibt es also die Spitzbergen.de-Nachrichten.
Aber reingehen? Fehlanzeige. Da kommt man als normaler Mensch normalerweise nicht rein. Auch schon ziemlich unnormale Menschen haben schon davor gestanden, weltbekannte Politiker, und kamen nicht rein. Der Zugang ist sehr strikt geregelt, und darüber hinaus hatte die Feuerwehr in Longyearbyen den Besucherverkehr zeitweise noch stärker eingeschränkt. Ein Tresorraum hat nun mal keine Notausgänge.
Aber gelegentlich, wenn neues Saatgut geliefert wird, gibt es Pressetermine, und wenn man dabei ist, ja, dann ist man dabei.
Auch wenn ich 2008 die weltweite Aufmerksamkeit gesehen und mit dem Beginn der Spitzbergen.de-Nachrichten darauf reagiert habe: Zugegeben, das Saatgutlager hatte mich eigentlich nie so recht interessiert. Es ist weder Teil der Natur Spitzbergens noch gehört es zu seiner Geschichte noch ist es irgendwie mit den Menschen hier verbunden.
Und worauf bereitet die Menschheit sich hier eigentlich vor? Welche Art von Katastrophen erwartet man, die das genetische Erbe jahrtausendealter landwirtschaftlicher Kulturen ganzer Regionen auslöscht? Darüber will man eigentlich gar nicht nachdenken. Bezeichnenderweise liegt das gesamte Lager so hoch über dem Meeresspiegel, dass es auch bei einem Schmelzen aller – in Worten: aller – Eismassen der Erde trocken bleiben würde.
Verschiedene Länder liefern also Saatgutproben möglichst aller ihrer Kulturpflanzen, die bei Longyearbyen katastrophensicher aufbewahrt werden, so lange es sich bei optimalen Bedingungen hält. Das bedeutet eine sehr konstante und strikt kontrollierte Temperatur von -18 Grad und eine mir unbekannte, aber ebenfalls sehr konstante und strikt kontrollierte Luftfeuchtigkeit. Kaum Besucher, die das Raumklima stören, mehrere gepanzerte Türen, Überwachungskameras. Das volle Programm.
Durch einen Gang geht es etwa 150 Meter in den Berg hinein, und dann erreicht man einen großen Vorraum. Die Wand, auf die man vom Gang aus zuläuft, ist nicht glatt, sondern wölbt sich weitgespannt konkav. Was zunächst kaum auffällt, hat einen bizarr anmutenden Grund: Auch wenn niemand weiß, wie es jemals im Gang, der auf diesen Raum zuläuft, zu einer Explosion kommen sollte – eine solche würde durch diese Konkavität reflektiert wie durch eine Parabolantenne. Somit würde möglichst wenig von der Druckwelle dorthin gelangen, wo das wertvolle Saatgut gelagert wird.
Dazu geht es durch eine weitere schleusenartige Doppeltür, durch die man – es braucht kaum erwähnt zu werden – nur in kompetenter Begleitung gelangt. Es gibt drei Kammern (man fühlt sich so ungefähr wie in einer ägyptischen Pyramide, wobei es dort vermutlich nicht ganz so kalt ist), von denen zwei noch mehr oder weniger leer sind.
Die Tür zur dritten Kammer ist mit Eis überzogen, weil es darin konstant kalt ist. Übrigens derzeit wohl das kälteste Stückchen Spitzbergen. Hinter einem weiteren Zaun, durch den man nur mit einem Zahlencode kommt, erstrecken sich lange, meterhohe Regale. Und darin Kisten und Kartons, Kartons und Kisten.
Eine auffällige Lücke zeigt, wo die ersten Proben bereits entnommen worden sind. Diese stammten aus Syrien und werden nun nachgezüchtet – in Marokko, wohin das einst in Aleppo angesiedelte syrische Saatgutarchiv umgezogen ist, bevor der Krieg es zerstören konnte.
Galerie – Der berühmte Saatgut-Tresor – 29. Februar 2016
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Man geht durch die Reihen und staunt. Institute, die sich der Erforschung von Reis, Weizen oder Kartoffeln widmen, haben ihre Schätze hier konserviert. Die meisten Länder sind mittlerweile vertreten, nur eine Minderheit fehlt noch. Nord- und Südamerika, Afrika und Europa, Asien, Australien, alle sind sie dabei. Ein paar schlichte Holzkisten fallen auf: Nordkorea, das erst vor wenigen Wochen den Spitzbergenvertrag unterschrieben hat, ist ebenfalls dabei.
Ein paar schlichte, unscheinbare Kartons ziehen meinen Blick auf sich, und einen Moment später läuft es mir kalt den Rücken runter. Der Absender: das International Centre for Agricultural Research in the Dry Areas, kurz ICARDA. Die Adresse: Aleppo, Syrien. Wo syrische und russische Bomben eine ganze Stadt in Schutt und Asche gelegt haben, hat jemand vorher Saatgut gesammelt, damit es erhalten bleibt, für den Fall, dass irgendwann irgendwer in dieser heimgesuchten Gegend wieder Landwirtschaft betreibt, um Menschen zu ernähren. Was für eine absurd erscheinende Hoffnung! Dafür stehen nun Kartons mit Saatgut in einem permafrostigen Berg in der Arktis. Möge der Inhalt bald wieder sprießen, in einem Boden, der von Pflügen und nicht von Bomben zerfurcht wird!
Kurz und gut, der Saatguttresor hat Eindruck gemacht.
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