Manche gehen ja in den Tempel, um Erleuchtung zu suchen.
Wir fahren in den Tempelfjord und finden das Licht.
Blick durch das Eskerdalen, in der Ferne das Sassendalen
im Licht des beginnenden Polartags im Februar.
Zugegeben, der Start ist etwas holprig. Erst muss ein Auto aus einem tiefen Schneeloch gezogen werden, als das sich ein vermeintlicher Wendeplatz erwiesen hat. Die Stelle hat nicht zum ersten Mal jemanden reingelegt. Man müsste wirklich mal ein Schild aufstellen …
Blick durch den Tempelfjord Richtung Isfjord.
Dann zicken auch die Motorschlitten noch etwas herum, was diese Dinger ja gerne tun. Aber dann geht es los. Es liegt eine gewisse Frische in der Luft, schon um Longyearbyen liegen die Temperaturen weiter unter -20 Grad und im Sassendalen und Tempelfjord sind sie wohl kaum weit von -30 Grad entfernt. Ein Kollege, der heute an der Ostküste war, schätzte die Temperatur auf den Gletschern auf -40 … wie gesagt, es ist frisch.
Blick in den Tempelfjord hinein.
Nicht nur die Luft ist eisig, auch die Fjorde sind es. Ab Fredheim zieht sich eine durchgehende Eisdecke über den Tempelfjord. Auch der Sassenfjord – das ist die Fortsetzung des Tempelfjords, zwischen Fredheim und Billefjord – zeigt deutlich Zeichen des beginnenden Gefrierens. Würde sich das doch nur fortsetzen! Wir werden sehen, was in den nächsten Wochen so passiert.
Lukas genießt den herrlichen Blick über die Landschaft im Tempelfjord.
Nach dem schönen Aussichtspunkt auf dem Berg Fjordnibba machen wir natürlich auch noch einen Abstecher nach Fredheim, der berühmten, alten Trapperstation von Hilmar Nøis. Der hatte dieses schöne, zweigeschossige Häuschen ab 1924 gebaut. Fredheim steht seit 2015 ja auf einer etwas höheren Terrasse, die fortschreitende Küstenerosion hatte den Umzug erforderlich gemacht.
Wir genießen noch ein Weilchen den schönen Ort, die Blicke in die große Landschaft, die Kälte, das Eis, das Licht und nicht zuletzt eine warme Kleinigkeit aus der Suppenthermos, bevor wir uns auf den Rückweg machen. Die Tage sind noch nicht lang. Das ändert sich aber derzeit beeindruckend schnell.
… sind nicht wirklich das, was man im Februar in Spitzbergen erwartet.
Haben wir auch nicht wirklich.
Theoretisch hätte die Sonne sich am Samstag (16.2.) erstmalig wieder über dem Horizont zeigen sollen. Was nicht heißt, dass sie von Longyearbyen aus zu sehen ist; dazu müsste man auf einen höheren Berg steigen, etwa den Trollsteinen, was gerade an diesem Tag bei gutem Wetter eine schöne und beliebte Sache ist.
Aber es war ohnehin bewölkt, da kann man auch im Tal unterwegs sein.
Mondscheintour mit Hunden im Adventdalen.
So richtig klar wurde es erst heute (Montag) wieder. Über den Vormittag hinweg riss der zunächst graue Himmel mehr und mehr auf. Das „blaue Licht“ der ausgehenden Polarnacht weicht nun zumindest in den Mittagsstunden diesem unglaublich schönen, zartblau-rosafarbenen Licht der Übergangszeit von der Polarnacht hin zum Polartag.
Und heute zeigte sich die Sonne – zumindest indirekt, direkt wird sie in Longyearbyen erst am 08. März wieder zu sehen sein, dann wird das Sonnenfest (solfest) gefeiert. Aber auf den Bergen hat man nun ein wunderschönes Alpenglühen, das den Charakterköpfen Adventtoppen und Hiorthfjellet jetzt eine fantastische, rosa-orangefarbene Krone aufsetzt.
Die Sonne bleibt erstaunlich lang über dem Horizont und spendet ihr schönes Licht, während der Mond gleichzeitig direkt über den Bergen wandert.
Ja, und dabei sind es 20 Grad, oder sogar noch mehr. Natürlich unter null!
Die Lunckefjellet-Grube ist ein politisch-wirtschaftliches Phänomen. Im November 2013 wurde die erste Tonne Kohle aus dem Berg geholt – eine Symbolhandlung, der produktive Betrieb hatte noch nicht begonnen. Das war auch bei der offiziellen Eröffnung am 25. Februar 2014 noch nicht der Fall, aber die Grube, die bis dahin bereits mehr als eine Milliarde norwegische Kronen (über 100 Millionen Euro) verschlungen hatte, war immerhin betriebsbereit.
Forschungsfahrt zum Lunckefjellet.
In den produktiven Betrieb sollte sie aber nie gehen. Stattdessen ging es mit den Kohlepreisen auf dem Weltmarkt bergab, und die Gruben bei Sveagruva, dem norwegischen Bergbauort im Van Mijenfjord, gingen in einen Erhaltungsbetrieb, der nur dazu diente, den Verfall aufzuhalten und die Möglichkeit eines künftigen Betriebes für ein paar Jahre offen zu halten.
Sveagruva: norwegische Bergbausiedlung (schwedische Gründung 1917) im Van Mijenfjord.
Im Herbst 2017 schließlich zog die Regierung in Oslo die Reißleine. Die Store Norske Spitsbergen Kulkompani (SNSK), Eigner aller norwegischen Kohlegruben in Spitzbergen, gehört zu 100 % dem norwegischen Staat, so dass dieser als Eigner ganz direkt das Schicksal des Kohlebergbaus auf Spitzbergen lenken kann. Die Entscheidung: der Bergbau im Ort Sveagruva sollte endgültig eingestellt werden. Sowohl die über etliche Jahre profitable Grube Svea Nord als auch die neue Lunckefjellet-Grube sollten abgewickelt werden, und dazu der ganze Ort gleich mit. Weitergeführt wird der norwegische Kohlebergbau in Spitzbergen nur noch in der Grube 7 bei Longyearbyen, dort immerhin seitdem wieder im Zweischichtbetrieb.
Tagesanlagen und Grubeneingang am Lunckefjellet.
Der Grund: wirtschaftlich, so die offizielle Angabe. Sehr auskunftsfreudig ist die Regierung an dieser Stelle allerdings nicht, stattdessen verweisen Regierungsvertreter mitunter gerne auf den nichtöffentlichen Status relevanter Informationen und Unterlagen. Natürlich sehen viele das Ende des Bergbaus in Sveagruva, insbesondere in der gerade erst gebauten Lunckefjellet-Grube, mit großem Missbehagen, da hier Tradition, Arbeitsplätze und eine für Longyearbyen wichtige Industrie abgewickelt werden. Das Ende des Bergbaus in Spitzbergen war so und anders absehbar, das weiß man hier und seit Jahren werden andere Wirtschaftszweige entwickelt, wobei Forschung, Ausbildung und Tourismus ganz oben stehen. Dennoch ist Longyearbyen historisch und bis heute zumindest teilweise gefühlt vom Bergbau geprägt und der absehbare Verlust schmerzt so manchen im Ort zumindest emotional und oft auch wirtschaftlich. Auf Angebote von Investoren, Sveagruva und das Lunckefjellet zu übernehmen, ist die Regierung gar nicht erst eingegangen, was die Angabe von rein wirtschaftlichen Aspekten als Grund für die Schließung etwas fadenscheinig erscheinen lässt.
Stollen in der Kohlegrube im Lunckefjellet.
In diesen Tagen wird die Lunckefjellet-Grube geschlossen. Die Belüftungsanlagen werden derzeit abgebaut, und danach könnte nur noch – theoretisch – speziell ausgebildetes Personal mit taucherartigen Atemschutzvorrischtungen die Kohlemine betreten, und auch das nur noch eine recht kurze Zeit, solange die mechanische Festigkeit des Hangenden (die Decke) einigermaßen zuverlässig ist. Das wird nicht lange der Fall sein. Die Lunckefjellet-Grube wird daher bald ungefähr so gut erreichbar sein wie die Rückseite des Mondes.
Mit solchen Bewegungsmessern, genannt „telltale“, werden Felsbewegungen im Hangenden (Stollendecke) überwacht.
Diese Bolzen zur Sicherung des Hangenden (Stollendecke) sind ständiger Korrosion und Belastung ausgesetzt. Werden sie nicht regelmäßig überwacht und ergänzt, wird eine Kohlegrube schnell hochgefährlich und unbegehbar.
Letzte Woche (5.-7. Februar 2019) waren Geologen der Bergbausgesellschaft Store Norske und von UNIS im Lunckefjellet, um die buchstäblich letzte Gelegenheit zu nutzen, wissenschaftlich wertvolle Proben am Kohleflöz zu nehmen. Die Geologie der Kohle Spitzbergens ist weniger genau bekannt, als man vermuten könnte: wie die Landschaft wirklich ausgesehen hat, in der sie sich bildete, weiß niemand so ganz genau.
Geologe Malte Jochmann bei der Arbeit im Lunckefjellet.
Natürlich handelte es sich um Moore und Sümpfe, wahrscheinlich hat das Salzwasser einer nahen Küste phasenweise einen wichtigen Einfluss ausgeübt. Aber welche Rolle spielte Süßwasser, was für Flüsse und Seen gab es? Was haben kiesführende Sandsteinschichten (Konglomerat) in der Kohle zu suchen, wann stieg und wann sank der Meeresspiegel an der nahen Küste, gab es tektonische Aktivität, und wenn ja, was für welche? Gab es Hügel oder gar Berge in der Umgebung, oder war alles drumherum flach?
Die Geologen Malte Jochmann, Maria Jensen und Christopher Marshall bei der Arbeit im Lunckefjellet: Aufschlüsse und mögliche Probennahmestellen werden begutachtet.
Beim Gang durch die Stollen gibt es alle paar Meter aufschlussreiche Blicke in die geologische Vergangenheit, wobei sich mindestens ebenso viele Fragen wie Antworten ergeben. Nur zwei Tage hatten die Geologen Malte Jochmann (SNSK/UNIS), Maria Jensen (UNIS) und Christopher Marshall (University of Nottingham) Zeit, um Aufschlüsse wenigstens skizzenhaft zu dokumentieren und Proben zu nehmen, deren Auswertung künftig wenigstens ein paar dieser Fragen beantworten könnte.
Auch unter Tage vergisst man nicht, dass man in der Arktis ist: die Temperatur liegt konstant unter null Grad, an den Wänden blühen auf der schwarzen Kohle wunderschöne Eiskristalle.
Nun wird die Grube zurückgebaut, viele Gerätschaften sind schon entfernt worden. Schon bald wird sie niemand mehr betreten können. Auch von Sveagruva wird nach einem umfangreichen und teuren Aufräumen, das bereits in Gang gesetzt wurde, wohl nicht viel übrig bleiben. Nur die Anlagen, die historischen Wert haben (in Spitzbergen allgemein älter als 1946, in Svea wird man die Grenze wohl auf 1949 hochsetzen) werden stehen bleiben und eventuell ein paar einzelne Gebäude zur künftigen Nutzung – Forschung? Begrenzter Tourismus? Das weiß man derzeit noch nicht so wirklich.
Bergbau wird es jedenfalls nicht sein.
Sternenhimmel auf dem Rückweg von Sveagruva nach Longyearbyen.
So verschiedene Erlebnisse kann ein Sonntag Anfang Februar in Spitzbergen bringen: eine kleine Skiwanderung ins Adventdalen mit tierischer Begleitung bringt Bewegung, frische Luft, Blicke in Licht und Landschaft und überhaupt Spaß und Freude.
Allen Beteiligten.
Kleine Skitour mit Hund im Adventdalen.
Wenige Stunden später sitzt man in einer alten Halle der Tagesanlagen der alten Grube 3. Kohle wird hier nicht mehr abgebaut, dafür gibt gelegentlich Veranstaltungen. Heute klingt hier das Polarjazz-Festival aus. Eine experimentelle Spitzbergen-Jazz Oper – darunter kann man sich richtig was vorstellen, nicht? 🙂 Unter dem Titel „Spor“ (Spuren) werden Erzählungen, Eindrücke und Stimmungen aus Geschichte und Natur, Jagd und Bergbau in Spitzbergen von einem Trio in Klänge und Töne umgesetzt, von sphärisch bis rhythmisch, streckenweise mit Verstärkung durch den bereits erwähnten Store Norske Mannskor.
„Spor“: Spitzbergen in Klängen – Polarjazz 2019, hier in Grube 3.
Die Stimmung wird durch den Veranstaltungsort natürlich noch einmal passend verstärkt.