Nachdem der August und der September endlich in der Abteilung „Reiseblog“ mal wieder eine ganze Menge schönen Stoff gebracht haben, ist die Spitzbergen-Reisezeit nun erst mal vorbei. Dafür ist es Zeit, in der Abteilung „Nachrichten“ etwas aufzuholen; es ist ja nicht so, dass im hohen Norden die Zeit stehen geblieben wäre. Ein paar Informationen der letzten Zeit kommen nun noch rückwirkend.
Leider sind das nicht alles gute Nachrichten.
Ausländern in Longyearbyen droht Entzug des kommunalen Wahlrechts
Auf dieser Seite war im Juni einmal die Rede vom Vorstoß der norwegischen Regierung, in Longyearbyen lebenden Nicht-Norwegern („Ausländern“) das Stimmrecht für die Kommunalwahlen zu entziehen. Der dahinter liegende Sachverhalt ist etwas komplex und hat mit dem Spitzbergenvertrag zu tun. Dieser stellt die Inselgruppe Spitzbergen unter norwegische Oberhoheit und auf dieser Grundlage ist Spitzbergen seit 1925 durch norwegisches Gesetz „Teil des Königreiches Norwegen“. Je nach Bedarf sucht man sich in Norwegen aber im Einzelfall aus, wie norwegisch Spitzbergen tatsächlich ist, oder eben auch nicht. Wenn es norwegischen Interessen dient, Spitzbergen als Ausland zu behandeln, wird das durchaus gemacht.
In Norwegen (Festland) lebende Ausländer erwerben nach mehreren Jahren auf kommunaler (!) Ebene das Stimmrecht und das Recht, sich zur Wahl zu stellen. Das gilt bislang auch für Longyearbyen, seit es dort eine lokal gewählte Gemeindeverwaltung (Lokalstyre) gibt. Das ist erst seit 2002 der Fall.
Im Frühjahr hat die norwegische Regierung den Vorschlag gemacht, das kommunale Wahlrecht in Longyearbyen daran zu knüpfen, dass die betreffenden Bürger mindestens drei Jahre in einer Gemeinde auf dem norwegischen Festland gelebt hat. Ansässigkeit in Longyearbyen, gleich wie lang, würde demnach nicht mehr zur Wahl des dortigen Gemeinderates berechtigen.
Der Vorstoß stieß in Longyearbyen, zumal bei den Betroffenen, auf viel Entsetzen. Großen Teilen der Bevölkerung das kommunale (!) Wahlrecht zu entziehen, das ohnehin erst nach einem Aufenthalt von mindestens 3 Jahren erworben wird, ist im europäisch-demokratischen Kontext für viele kaum vorstellbar.
Die norwegischen Parlamentswahl vom 13. September 2021 hat einen Regierungswechsel gebracht: die Mitte-Rechts-Regierung von Regierungschefin Erna Solberg wurde abgewählt, die sozialdemokratische Arbeiterpartei wird die nächste Regierung führen. Man darf gespannt sein, was dies für Folgen für die norwegische Spitzbergenpolitik haben wird. Für die Frage des kommunalen Wahlrechts scheint der Regierungswechsel in Oslo bislang keine Konsequenzen zu haben. Im September haben die in der Longyearbyen Lokalstyre vertretenen Parteien sich nach längerer Bedenkzeit zu dieser Frage geäußert.
Longyearbyen hat heute eine ziemlich international Bevölkerung, wobei Norweger nach wie vor die größte Bevölkerungsgruppe bilden. Der Gemeinderat (Lokalstyre) ist stark norwegisch dominiert.
Abgeordnete der Mitte-Rechts-Parteien schüren Angstszenarien
Bemerkenswert offen äußerte sich ein lokaler Vertreter der rechtsgerichteten „Fremskrittsparti“ („Fortschrittspartei“), der die Sache laut Svalbardposten so kommentierte (eigene Übersetzung): „… Menschen, die nicht in Norwegen gewesen sind, keine Verwandten in Norwegen haben, keine Zugehörigkeit zu Norwegen haben, kein spezielles Interesse an Norwegen haben, können nach Svalbard kommen, wählen und gewählt werden. Für viele ist es logisch, dass es so nicht sein kann. Das ist schade für die guten Bürger, die wir hier haben, von denen die meisten vernünftige Menschen sind, aber das ist eine Sicherheitsfrage: man kann das einfach nicht riskieren.“
Bemerkenswert ist hier unter anderem, dass dieser Abgeordnete damit Spitzbergen indirekt die Zugehörigkeit zu Norwegen abspricht, denn sonst hätte man durch die Ansässigkeit in Longyearbyen natürlich Zugehörigkeit zu und Interesse an Norwegen.
Ähnlich äußerte sich ein Lokalstyre-Mitglied der Partei „Høyre“ („Rechte“): „Wir riskieren, dass so viele Ausländer hierherkommen, dass nicht eine einzige norwegische Person im Gemeinderat sitzt“.
Diese Befürchtung wird bislang weder von der demographischen Entwicklung noch von der stark norwegisch geprägten Zusammensetzung des Gemeinderates in Longyearbyen gestützt, es handelt sich um ein realitätsfernes Angstszenario.
Sozialdemokratische und linke Abgeordnete äußern sich differenziert bis kritisch
Bürgermeister Arild Olsen (Arbeiterpartei) äußerte sich sowohl aus praktischen als auch aus demokratietheoretischen Gründen ausgesprochen kritisch zu dem Vorschlag, Ausländern Wahlrecht und Wählbarkeit zu entziehen. Auch Vertreter der Partei „Venstre“ („Linke“) äußerten sich zumindest differenziert.
Im Ergebnis stellte der Gemeinderat fest, dass es bislang keine gemeinsame Haltung zur Sache gibt. Um sich möglichst doch noch geschlossen äußern zu können, wurde die Sache vertagt. Ende Oktober läuft die Hörungsfrist aus.
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