Aber natürlich sind die Änderungen nicht auf das Land beschränkt, auch das Meer ist betroffen. Oder, vielleicht treffender: Es spielt eine große, treibende Rolle.
Der Golfstrom
Im Nordatlantik ist bekanntermaßen viel vom Golfstrom abhängig. Dieser bringt mit seinen vergleichsweise warmen Wassermassen ungeheuere Wärmemengen aus dem Süden und sorgt so für das relativ milde Klima in höchsten Breiten wie 78 Grad Nord, wo der Isfjord heute rund ums Jahr weitgehend eisfrei bleibt, während manche Fjorde im nördlichsten Grönland oder Kanada (Ellesmere Island) nur kurz im Sommer eisfrei werden oder auch gar nicht.
Schon kleine Änderungen des Golfstroms haben massive Auswirkungen auf das regionale Klima im Nordostatlantik. Bringt der Golfstrom etwas mehr Warmwasser oder ist das Wasser etwas wärmer, wird der Nordatlantik kräftig wärmer werden. Sollte die Warmwasserlieferung nachlassen oder nicht mehr so weit nach Norden reichen, könnte regional auch eine Abkühlung eintreten, die ganz Nordwesteuropa betreffen könnte. Perspektivisch ist dieses Szenario als Teil des Klimawandels gar nicht ausgeschlossen, aber aktuell ist das Gegenteil der Fall.
Der Kongsfjord
Jørgen Berge von der Universität in Tromsø hat den Kongsfjord seit über 20 Jahren genau im Blick. Da im Kongsfjord die Forschungssiedlung Ny-Ålesund liegt, wird dieser Fjord schon länger genau studiert, hier liegen zu allen möglichen Details jahrzehntelange Datenreihen vor. Zudem liegt der Fjord an dem Teil der Westküste, der am stärksten unter Golfstromeinfluss steht, so dass er als Frühwarnsystem für Änderungen dieser Strömungen und ihrer lokalen Auswirkungen dienen kann.
Der Kongsfjord bei Ny-Ålesund: ein ozeanographisch-marinbiologisches Forschungslabor.
Berge hat dem Barentsobserver von seiner Arbeit und seinen Beobachtungen erzählt. Das Ergebnis vorweggenommen: eine „radikale Änderung im marinen Ökosystem.“
Die Wassermassen im Kongsfjord erwärmen sich Berge zufolge über die ganze Wassersäule hinweg um 0,1 Grad im Jahr, also um nicht weniger als 2 Grad in nur 20 Jahren. Zwei Grad reichen völlig aus, um den ozeanographisch-ökologischen Charakter eines Meeresgebietes drastisch zu verändern – und die Erwärmung bleibt nicht stehen. Der Charakter des Kongsfjords hat sich in dieser Zeit von „arktisch“ zu „atlantisch“ geändert. Ozeanographisch bedeutet das zunächst, dass das Wasser wärmer und salziger ist.
Das Ökosystem: Plankton und Seevögel
Das bleibt natürlich nicht ohne Folgen für das Ökosystem. Hocharktisches, fettreiches Plankton wie der Ruderfußkrebs Calanus glacialis wird zunehmend von seinen subarktischen und weniger fettreichen Verwandten Calanus finnmarchicus und Calanus hyperboreus verdrängt, was Folgen hat für Seevögel, die sich von Plankton ernähren. Gerade die hocharktischen, bislang sehr zahlreichen Krabbentaucher futtern vorzugsweise den energiereichen Calanus glacialis. Müssen sie mehr und mehr auf die weniger energiereichen Verwandten ausweichen, wird die Ernährung immer problematischer.
Krabbentaucher an der Westküste Spitzbergens.
Die jüngere Vergangenzeit zeigt, dass die Brutbestände von Seevögeln fast überall im Nordatlantik schrumpfen. Den Krabbentauchern scheint es dabei noch recht gut zu gehen, allerdings ist es sehr schwer, diese sehr kleinen, unsichtbar unter Felsen brütenden Vögel zu zählen. Bei Lummen, Papageitauchern und Möwen ist der Fall klar, hier sind manche Kolonien in Nordnorwegen seit den 1980er Jahren praktisch kollabiert. Verschwunden.
Das Fjordeis: Ringelrobben und Seehunde
Ein anderer Aspekt ist, dass der Kongsfjord seit etwa 15 Jahren kaum noch zufriert. Ringelrobben, einst die zahlreichsten Robben der Fjorde Spitzbergens, brauchen das Fjordeis im Frühjahr, um ihren Nachwuchs zur Welt zu bringen und um sich auszuruhen. Mittlerweile sieht man an der Westküste Spitzbergens die auch aus der südlichen Nordsee bekannten Seehunde deutlich häufiger als die äußerlich sehr ähnlichen Ringelrobben. Seehunde kommen in Spitzbergen schon seit Jahrtausenden natürlich vor und diese Beobachtung mag zufällig sein, aber sie passt in die wissenschaftlich bestätigte Entwicklung der Entwicklung der Fjorde von einem hocharktisch geprägten Ökosystem zu einem atlantischen.
Hocharktische Ringelrobbe (links), subarktischer Seehund.
Beide leben an der Westküste Spitzbergens.
Fische, Muscheln und Temperaturrekorde
Darüber hinaus spricht Berge von einer Veränderung der Artenzusammensetzung bei Fischen und Muscheln. Arten wie Hering und Lodde, die man nicht in hocharktischen Fjorden erwarten würde, breiten sich aus, wie auch Miesmuscheln.
Immer häufiger in Spitzbergen: Miesmuscheln.
Globale Klimaerwärmungen machen sich an den Polen stärker bemerkbar als in niedrigen Breiten, man geht um einen Faktor von drei bis vier aus, um den sich die Arktis stärker erwärmt als andere Regionen. Wenn man hofft, dass die Klimaänderung irgendwie noch auf eine Erwärmung von 1,5-2 Grad begrenzt werden kann, dann ist diese Zahl das globale Mittel. Für die Arktis kann man das mit drei oder vier multiplizieren.
Seit Jahren werden in Spitzbergen regelmäßig Rekordtemperaturen gemessen, zuletzt am 11. August mit 20,3 Grad, dem höchsten je an einem Augusttag bei Longyearbyen gemesssenen Wert.
Auch die bislang hocharktischen Fjorde im Nordosten Svalbards werden von dieser Entwicklung nicht unberührt bleiben. Das bestätigt sowohl der regelmäßige Blick auf die Eiskarte als auch das eigene Erleben in den Fjorden des Nordaustlands und in der Hinlopenstraße, wo die früher weitverbreiteten Wassertemperaturen um 0 Grad heute eher selten und kleinräumig vorzufinden sind, vor allem in der südlichen Hinlopenstraße und auf der Südseite des Nordaustlandes, wo der kalte, aus dem arktischen Becken kommende Ost-Spitzbergen-Strom noch seinen Einfluss geltend macht. In der nördlichen Hinlopenstraße und in den Fjorden im Westen und Norden des Nordaustlands und bis hinauf zu den Sjuøyane findet man immer häufiger Wassertemperaturen von 6-8 Grad und damit einen Hinweis auf den stärker werdenden Einfluss milden Atlantikwassers (Golfstrom).
Früher nur selten eisfrei, heute im Sommer regelmäßig:
Fjorde an der Nordküste des Nordaustlandes.
Der Arktische Ozean: von weiß zu blau
Das Meereis des Arktischen Ozeans ist zugleich Opfer und Antreiber dieser Entwicklung. Das ist einer dieser Rückkopplungseffekte im globalen Klimasystem, wo die Wirkung verstärkend auf die Ursache wirkt. In diesem Fall ist es so, dass eine durch Erwärmung eisfrei gewordene Wasserfläche Sonnenstrahlen verstärkt nicht mehr reflektiert, sondern aufnimmt und in Wärme umsetzt, wodurch wiederum noch mehr Eis schmilzt und noch größere Wasserflächen Sonnenstrahlen … und so geht es weiter.
Einer kürzlich in Nature Communications veröffentlichen Studie zufolge könnte der Arktische Ozean schon um das Jahr 2030 herum tageweise eisfrei werden. In dieser Studie hat man die Entwicklung erstmals nicht monatsweise, sondern tageweise betrachtet. Ein in wenigen Jahren tageweise eisfreier Arktischer Ozean könnte demzufolge zu sehen sein, wenn auf warme Winter mit wenig Eisbildung warme Frühsommer mit hohem Eisverlust folgen.
Der Arktische Ozeans der Zukunft: zunehmend blau statt weiß.
Auf der anderen Seite beschreibt die Studie auch Szenarien, denen zufolge ein eisfreier Arktischer Ozean bis zum Jahr 2100 nicht zu beobachten sein wird. Beide Möglichkeiten sind eher Extremszenarien, die reelle Entwicklung mag irgendwo dazwischen liegen. Oder eben auch nicht, auch die Extremszenarien sind den wissenschaftlichen Modellen zufolge eben möglich.
Wie Jørgen Berge dem Barentsobserver gegenüber sagte: „Es ist wahrscheinlich, dass der zentrale Arktische Ozean sich von einem weißen (eisbedeckten) Ozean hin zu einem blauen (offenes Wasser) Ozean entwickeln wird. Was das bedeutet, wissen wir nicht.“
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