Leute, ich sage euch, es ist schlimm. Seit Wochen versuchen wir, mal zu einer zivilisierten Zeit zu schlafen. Aber das klappt nie. Ständig dieses Nordlicht. Wirklich, zu unangenehm! Immer muss man raus und fotografieren, wenn man eigentlich gerade in die Federn wollte … ja, das Leben in der Arktis kann hart sein 🙂
Nordlicht-Aureole, fast senkrecht überm Betrachterstandpunkt.
Vorhin war es fast schon warm, gerade mal -6°C im Adventdalen. Das fühlt sich im Vergleich schon richtig mild an. Allerdings etwas zugig, das macht es wieder frisch, sobald man aus dem Windschatten tritt.
Nordlicht-Ring über dem Endalen.
Nicht auszuschließen, dass das nicht die letzten Nordlichtbilder in diesem Blog sind. So ist sie nun mal, die Polarnacht. Andererseits: Lady Aurora ist launisch, und wenn sie guter Laune ist, muss man die Gunst der Stunde nutzen. Vielleicht zieht sie sich dann zurück und bleibt für Wochen unsichtbar, oder sie tanzt nur für die Wolken.
Die Tage fliegen nur so dahin, oder besser, diese lange Nacht fliegt nur so dahin. Es dauert noch eine ganze Weile, bis man in Spitzbergen wieder von „Tag“ reden kann. Wobei das Licht deutlich zurückkommt. Die Dämmerung ist um die Mittagszeit im Süden deutlich erkennbar, die Sonne ist nicht mehr weit weg.
Erste Dämmerung mittags in Longyearbyen, gegen Ende Januar.
Trotzdem ist die Polarnacht natürlich eine gute Zeit, um sich drinnen sinnvoll zu beschäftigen. Da herrscht ja auch kein Mangel an sinnvollen Möglichkeiten. Neben der täglichen Arbeit läuft das bereits erwähnte Svalbardseminar weiter, und für das „Kulturdenkmal-Orakel“ Per Kyrre Reymert gilt genau dasselbe wie für Maarten Loonen (siehe letzter Blog-Eintrag): Da gibt es eine geballte Ladung Wissen, rhetorisch hevorragend herübergebracht. Eine unterhaltsame Stunde, wo man nur versuchen kann, so viel wie möglich im Kopf zu behalten. Thema war die französische Recherche-Expedition (1838, 1839). Ja, das war die mit Leonie D’Aunet, der ersten Frau, die Spitzbergen besucht hat. Soweit bekannt, jedenfalls.
Per Kyrre Reymert spricht im Svalbardseminar bei UNIS über die Recherche-Expedition (1838 und 1839 in Spitzbergen).
Gut zu wissen auch, was die Leute vom Syssselmann (Regierungsvertretung: Polizei und andere hoheitliche Aufgaben) alles so treiben. Drohnen steigen lassen zum Beispiel. Natürlich tun sie damit nur sinnvolle Dinge. Ein Schelm, wer anderes denkt! Polizeiliche Aufklärungsarbeit, Rettungsdienst, Dokumentation von Erosion und Schäden an Kulturdenkmälern … die Liste ist lang.
Das „Drohnen-Schwadron des Sysselmannen“ stellt im Svalbardseminar bei UNIS seine Arbeit vor.
Es ist und bleibt wunderschön draußen, der nun wieder abnehmende Mond verbreitet ein unglaubliches Licht. Nun ersetzt das „blaue Licht“ tagsüber für ein paar Stunden die Dunkelheit.
Das blaue Licht kommt zur Mittagszeit nach Spitzbergen zurück.
Ein kleiner Ausflug ins Adventdalen, weit genug weg von der „großen Stadt“, um deren Licht nicht mehr wahrzunehmen. Die Stille und das blaue Licht sind erschlagend schön. Der Blick ins Adventdalen macht Lust auf mehr. Dort geht der Weg ins Sassendalen, zum Tempelfjord, zur Ostküste, und und und … bald werden die Tage länger und die Touren dann auch!
Blick ins Adentdalen zur Stunde des blauen Lichts.
Bald weicht das blaue Licht der Dunkelheit, noch sind die „Tage“ kurz. Aber was diese Nacht nicht alles zu bieten hat! In den letzten Tagen war die Nordlichtaktivität ja recht überschaubar. Nicht, dass es gar nichts gegeben hätte, aber irgendwann muss man ja auch einfach mal schlafen. Man muss eben auch Glück haben und zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein!
Nordlicht über dem Adventdalen (I).
Rechts unten sieht man die Lichter der Grube 7 und einiger Hütten.
Das waren wir heute, keine Frage. Quasi auf dem Weg zum Einkaufen. Nie ohne Kamera aus dem Haus gehen 🙂
Nach der Sonnenfinsternis vom 20. März 2015 gab es heute früh wieder ein astronomisches Ereignis, für das sich auch in Spitzbergen das frühe Aufstehen lohnte: ab 6 Uhr früh konnte man am Montagmorgen eine totale Mondfinsternis beobachten.
Beginn der Mondfinsternis: der „Blutmond“ über Longyearbyen.
Nach einer ersten kurzen Beobachtung der einsetzenden Mondfinsternis über Longyearbyen ging es weiter hinaus ins Adventdalen, weiter weg von künstlichen Lichtquellen und hin zu einer natürlichen Einrahmung des schönen Ereignisses.
Mondfinsternis im Adventdalen: der „Blutmond“ über Spitzbergen (I).
Freundlicherweise hielt die „MoFi“ deutlich länger an als die „SoFi“ von 2015, deren totale Phase mit nur gut 2 Minuten die Astro-Fotografen trotz kräftiger Minusgrade doch kräftig ins Schwitzen bringen konnte.
Mondfinsternis im Adventdalen: der „Blutmond“ über Spitzbergen (II).
Bei der fast einstündigen Dauer der totalen Phase der heutigen Mondfinsternis konnte man es doch deutlich entspannter angehen und zwischendurch auch einfach die einmalige Stimmung genießen und mal zum heißen Kakao greifen. Der Sternenhimmel leuchtete durch das kräftig reduzierte Licht des verfinsterten Vollmondes natürlich besonders eindrücklich!
Sternenhimmel über dem Adventdalen während der Mondfinsternis.
Abschließend noch mein ceterum censeo: ich erlaube mir darauf hinzweisen, dass ich ein neues Fotobuch gemacht habe, mit fotografischen Blicken auf die Arktis aus einer ganz neuen, ungewohnten Perspektive. Norwegens arktischer Norden (2) – Aerial Arctic zeigt Jan Mayen und Spitzbergen aus der Luft.
Viel ist zu tun, was nicht weiter der Rede wert ist, die Tage hier aber ganz gut füllt. Alltag. Projekte. Arbeit.
Und überhaupt, das Leben. Freunde. Draußen sein.
Draußen sein ist natürlich ein Hauptgrund dafür, hier zu sein. Es geht auf Vollmond zu und der Himmel ist meistens klar. Die Stimmung ist magisch. Die Norweger haben ein schönes Wort dafür: trolsk. „Trollisch“ ist noch mal etwas anderes als „magisch“. Bei „trolsk“ denken wir weniger an Harry Potter, sondern an einen feenhaften Zauber, vielleicht mit einem etwas unheimlichen Unterton. So wie die Arktis: zauberhaft schön, aber manchmal auch mit einem Hauch von Gefahr, die im Hintergrund lauert. Trolsk.
Die meisten Touren gehen zu dieser Zeit nicht weit weg von Longyearbyen. Muss auch nicht. Die ganze Schönheit der Polarnacht findet man auch hier in der näheren Umgebung, wobei es sich natürlich lohnt, mal einen Abstecher irgendwo hin zu machen, wo das künstliche Licht sich nicht mehr bemerkbar macht.
Das Adventdalen in der Polarnacht.
Natürlich gibt es in und um Longyearbyen eine ganze Menge künstliches Licht. Wenn sich ein Nordlicht zeigt, muss man schon an günstige Plätze, damit das Licht nicht stört. Aber natürlich hat das künstliche Licht mancherorts auch seinen eigenen Reiz. Wie bei der Winkelstation im Endalen, die früher als Umlenkstation der Kohleseilbahn diente. Heute wird sie während der Polarnacht beleuchtet und ist dann ein schöner Blickfang in der dunklen Landschaft.
Die sogenannte Winkelstation im Endalen war früher Teil der Kohleseilbahn. Heute wird sie in der dunklen Zeit schön angeleuchtet.
Zu den praktischen Aspekten während der dunklen Zeit gehört, dass reflektierende Schutzwesten oder Reflektoren an der Kleidung unbedingt emppfehlenswert sind. Sonst ist das Risiko, als dunkler, unbeleuchteter Fußgänger irgendwann mal Opfer eines Verkehrsunfalls zu werden, doch recht hoch.
Das wissen nur die Rentiere leider nicht. Die stehen schon mal unmittelbar neben der Straße. Sie schauen auch nicht nach links und rechts, bevor sie diese überqueren.
Wenn man morgens aus dem Haus geht und vor dem Eingang steht ein Rentier im Dunkeln, kann man sich auch schon mal wundern. Sobald feststeht, dass das große, pelzgekleidete Tier ein pflanzenfressender Paarhufer ist, stellt sich dann wieder Erleichterung ein.
Rentier in Longyearbyen.
Longyearbyen hat in Sachen Kultur, Bildung und Wissenschaft ja eine Menge zu bieten. Im Januar findet beispielsweise das Svalbardseminar statt, bei dem Experten verschiedener Wissensgebiete zu informativen Vorträgen einladen. Da diese überwiegend auf norwegisch gehalten werden, sind sie eher keine Attraktion für Touristen, was sie aber nicht weniger spannend macht.
Diese Woche gab es im Svalbardseminar einen „Science Slam“, was in der Überschrift mit „Wissehschaftsschlamm“ natürlich recht frei übersetzt wurde. Mehrere Wissenschaftler hatten die Aufgabe, ihr Wissen in Kurzvorträgen zu präsentieren, die ebenso unterhaltsam wie informativ sein mussten. Erlaubt war quasi alles, was nicht verboten war, solange niemand zu Schaden kam. Das hat ganz gut funktioniert.
SIOS Svalbard präsentiert sich im Svalbardseminar bei UNIS.
Hier präsentieren Mitarbeiter von SIOS Svalbard („Svalbard integrated arctic earth observing system“) ihre Organisation, deren Zweck mit nur wenigen Worten schwer zu beschreiben ist. SIOS ist so etwas wie eine meta-wissenschaftliche Organisation und sorgt dafür, dass Daten effizient erhoben und ausgetauscht werden, auch über Projekt- und Ländergrenzen hinweg.
Dann gibt es natürlich noch Maarten Loonen, den niederländischen Spezialist für arktische Zugvögel und Stoffkreisläufe der Tundra, den wir im Sommer öfters in Ny-Ålesund antreffen. Maarten schafft es auf seine unnachahmliche Art, in wenigen Minuten viel Wissen über Gänse zu vermitteln, die dem Frühling hinterherziehen und die Stoffkreisläufe der Tundra entscheidend prägen. Eine ganz andere Verdauung, ein ganz anderes Nahrungsverwertungssystem als Rentiere. Was Gänse nach 1-2 Stunden von sich geben, davon profitieren Rentiere dann noch ganz erheblich. Aber ich kann das alles gar nicht wiedergeben. Wenn Ihr mal die Chance habt, Maarten zuzuhören, dann nutzt sie!
Maarten Loonen berichtet im Svalbardseminar bei UNIS über arktische Zugvögel, vor allem Gänse, und deren Bedeutung für die Tundra.
Abschließend noch mein ceterum censeo: ich erlaube mir darauf hinzweisen, dass ich ein neues Fotobuch gemacht habe, mit fotografischen Blicken auf die Arktis aus einer ganz neuen, ungewohnten Perspektive. Norwegens arktischer Norden (2) – Aerial Arctic zeigt Jan Mayen und Spitzbergen aus der Luft.
Nach einer winterweihnachtlichen Zeit im südlichen Zuhause geht es wieder ins nördliche Zuhause: auf nach Longyearbyen! Ein paar Tage verbringen wir noch in Norwegen, besuchen liebe Menschen und kümmern uns um ein paar wichtige Angelegenheiten, bevor wir in Oslo ins Flugzeug steigen.
Wir fliegen morgens los und kommen mittags an. Der Flug geht vom Licht in die Dunkelheit. Beim Einstiegen ins Flugzeug genießen wir für ein paar Augenblicke die letzten Sonnenstrahlen für ein paar Wochen.
Klicken Sie auf die Bilder, um eine vergrößerte Darstellung des Bildes zu erhalten.
Dafür wartet der Zauber der Polarnacht auf uns.
Wir haben zunehmenden Mond – das ist kein Geheimnis, das ist natürlich überall auf Erden gleichermaßen so. Hier aber hat das mehr Bedeutung als anderswo. Nicht nur, da wir jenseits (äh, diesseits … also: polseitig 🙂 ) des Polarkreises den Mond im Sommer kaum zu sehen bekommen, da steht er nämlich meistens unter dem Horizont, wenn nicht gerade Neumond ist, und dann sieht man ihn natürlich auch nicht. Im Winter hingegen ist er schön zu sehen. Und als Lichtquelle hat er hier natürlich eine ganz andere Bedeutung als in Breiten, wo auf die Sonne noch Verlass ist, zumindest tagsüber.
Das Adventdalen in der Polarnacht (I): Mondschein über dem Operafjellet.
Die Landschaft im Mondschein ist magisch. Silberblaues Licht ergießt sich über die von einer dünnen Schnee- und Eisschicht bedeckte Tundra. Auf Fotos sieht der Mond so hell aus, dass man meinen kann, es sei die Sonne.
Schwierig zu fotografieren. Die Bilder sind entweder übertrieben hell – natürlich kann man mit der Kamera auf einem Stativ belichten, bis die Bilder aussehen, als seien sie am hellen Tag aufgenommen worden. Dieser Eindruck ist schön, aber falsch. Die Realität ist auch schön, und vor allem echt und wirklich. Nur fotografisch eben schwer wiederzugeben. Die Schönheit, die sich dem an Dunkelheit gewöhnten Auge schließlich offenbart, wirkt auf realistischen Fotos wahrscheinlich einfach dunkel. Und das ist dann ja wiederum auch, nun, vielleicht die Realität, aber nicht die Wirklichkeit. Da gibt es ja einen kleinen, aber feinen Unterschied.
Das Adventdalen in der Polarnacht (II): etwas dunkler, etwas realistischer
(? je nach Gewöhnung des Auges an die Dunkelheit).
Ich habe versucht, hier einen realitätsnahen Kompromiss zu finden, der realistisch ist und die reelle Schönheit der Polarnacht gut wiedergibt.
Abschließend für diesen ersten Eintrag des Arktis-Blogs 2019 noch ein Eindruck vom polarnächtlichen Longyearbyen. Aufgenommen um die Mittagszeit. Der Anblick wird vielen Besucherinnen und Besuchern dieser Seite vertraut sein, aber wahrscheinlich doch in einem sehr, sehr anderen Licht.
Longyearbyen in der Polarnacht. Die Sonnenuhr hat derzeit technische Probleme 😉
Zuguterletzt erlaube ich mir, darauf hinzweisen, dass ich ein neues Fotobuch gemacht habe, das die Arktis aus einer ganz neuen, ungewohnten Perspektive zeigt. Norwegens arktischer Norden (2) – Aerial Arctic zeigt Jan Mayen und Spitzbergen aus der Luft.