Wer Ny-Ålesund in jüngeren Jahren besucht hat, hat dort ein technisch-kulturelles Paradoxon der heutigen Zeit erlebt: Ein in vielerlei Hinsicht sehr moderner Ort ohne Mobilfunknetz. Bislang hat man dort bewusst auf die Einrichtung eines Mobilfunknetzes verzichtet; die üblicherweise mitgeteilte Begründung war, dass das Netz empfindliche Forschungsgeräte stört.
Ny-Ålesund: so ein schöner Mast, aber bislang keine Mobilfunkantennen.
Das ist jetzt anders, nun kann man dort das Handy nutzen.
Die kritischen Frequenzen liegen allerdings nicht im Bereich des Mobilfunks, sondern eher dort, wo drahtlose Systeme wie Wifi und Bluetooth arbeiten. Daher bleiben diese in Ny-Ålesund weiterhin verboten, während man nun in Ny-Ålesund mobil telefonieren und auf diesem Weg auch ins Internet kommt.
Kulturell ist das für den kleinen Ort natürlich ein großer Schritt, und daher will man bestimmte Bereiche wie etwa Gemeinschaftsräume auch künftig mobiltelefonfrei halten.
Aber sowohl die dort arbeitenden und lebenden Menschen als auch Besucher können nun in Ny-Ålesund ihr Handy nutzen und sind damit technisch auf dem Stand, der im Jahr 2023 weltweit fast überall üblich ist. Zudem lässt sich so manche Forschungsreinrichtung einfacher betreiben, wenn man mit dieser drahtlos aus der Ferne kommunizieren kann.
Wie eingangs schon erwähnt, bleiben Wifi/WLAN und Bluetooth in Ny-Ålesund weiterhin verboten.
Bei einem Thema, bei dem es buchstäblich um Leib und Leben gehen kann, sei einleitend zunächst gesagt: Pfefferspray wird von den norwegischen Behörden als Verteidigungsmittel gegen Eisbären nicht empfohlen und es ist nach derzeit geltendem Recht in Norwegen einschließlich Spitzbergen für Privatpersonen gar nicht zugelassen.
Und noch eine vorwegnehmende Anmerkung: Niemand redet davon, Pfefferspray gegen einen aggressiven Eisbären im freien Gelände einzusetzen. Das wäre mit großer Wahrscheinlichkeit selbstmörderisch.
Dennoch gibt es die Diskussion um Pfefferspray auch in Spitzbergen schon lange, wenn auch bislang nur theoretisch und nicht auf behördlicher Ebene, soweit bekannt. Aber Fälle wie der im August, wo ein Eisbär im Krossfjord versuchte, in eine Hütte einzudringen und dabei von Personen erschossen wurden, die sich darin aufhielten, befeuern die Diskussion.
„Hallo, jemand zuhause?“ In so einer Situation könnte Pfefferspray auch ein Bärenleben retten. Hier verlief letztlich zum Glück alles harmlos.
Tatsächlich geht es ausschließlich um Szenarien dieser Art, wo Menschen sich in der relativen Sicherheit einer Hütte (oder eines Fahrzeugs etc.) aufhalten. Der Eisbär im August war nicht der erste, der beim Versuch, in eine Hütte zu gelangen, aus der betreffenden Hütte heraus erschossen wurde. Wobei keine ernsthaften Zweifel daran bestehen, dass die Menschen in der Hütte gute Gründe hatten für ihre Annahme, so handeln zu müssen, um sich selbst zu schützen. Ernsthafte Vorwürfe von leichtfertigen Abschüssen stehen nicht im Raum, auch das soll explizit festgehalten werden, da bei solchen Fällen die öffentliche Diskussion immer gleich groß und heiß ist.
Worum geht es aktuell? Nun hat sich auch der UNIS-Sicherheitsbeauftragte Fred Skancke Hansen gegenüber Svalbardposten der Diskussion um Pfefferspray gegenüber offen und wohlwollend geäußert. Hansen, der seit Jahren bei UNIS für Sicherheit zuständig ist und entsprechende Kurse für Studierende und Feldpersonal durchführt, redet von einem „zusätzlichen Werkzeug“, das tödliche Abschüsse in bestimmten Situationen verhindern kann. Es ist explizit nicht davon die Rede, sich ohne taugliche Waffe und nur mit Pfefferspray im Eisbärengebiet ins Gelände zu begeben.
Letztlich geht es dabei nicht nur darum, Menschenleben effektiv zu verteidigen, sondern auch den Bären zu schützen, indem man ihn ohne Verletzung vertreibt, und zwar so, dass er sich dabei merkt, dass die Nähe zu Hütten und Menschen keine gute Sache ist.
Behördlicherseits wird darauf verwiesen, dass Pfefferspray in Spitzbergen nicht legal ist und dass es einer Gesetzesänderung bedürfte, um es zuzulassen. Hierzu müsste die Regierung in Oslo tätig werden. Bis das eventuell passiert, bleibt die Diskussion zumindest für Spitzbergen ohnehin rein theoretisch.
Die russischen Siedlungen waren schon das Thema des letzten Beitrags auf dieser Seite, und damit geht es nun auch schon wieder weiter.
Laut Svalbardposten haben die Russen Pläne, mehrere alte Gebäude in Grumant und Colesbukta zu sanieren und gebrauchsfertig zu machen. Im Gegensatz zu sonstigen Bauprojekten derzeit wurde dieses Mal immerhin der Sysselmester, der Vorhaben dieser Art genehmigen (oder nicht genehmigen) muss, frühzeitiger involviert. Die dort bislang vorliegenden Informationen sind allerdings noch unvollständig, weitere Unterlagen wurden angefragt. Das ist in einem derartigen Verfahren immerhin üblich.
Der Hintergrund soll sein, dass die Russen wünschen, auf Reisen dienstlicher Art nach Colesbukta und Grumant ihre eigenen Leute angemessen unterbringen zu können.
Grumant (norwegisch: Grumantbyen) und Colesbukta bildeten zusammen eine russische Kohlebergbausiedlung, die aber 1961 aufgegeben wurde und in einem entsprechend fortgeschrittenen Stadium des Verfalls ist. Es ist schwer vorstellbar, dass die dort existierende Bausubstanz ohne Abriss und Neubau wieder in einen brauchbaren Zustand versetzt wird.
Gebäude in Grumantbyen. Bis es hier wieder gemütlich wird, braucht man mehr als einen Eimer Farbe.
Zudem ist schon mindestens seit dem Frühjahr bekannt, dass die Russen auch ihre wissenschaftliche Präsenz in Spitzbergen verstärken wollen. Bislang gibt es ein wissenschaftliches Zentrum in Barentsburg (südlich des Hotels). Nun wurde laut Barentsobserver bekannt, dass darüber hinaus ein wissenschaftlicher Komplex in Pyramiden aufgebaut werden soll. Daran sollen „freundliche Staaten“ beteiligt werden; China, Brasilien, Indien, die Türkei und Thailand sollen bereits Interesse bekundet haben – sagt Russland.
China und Indien sind bereits in Ny-Ålesund vertreten. Laut norwegischer Experten ist es nicht sicher, dass diese Länder an weiteren, kostspieligen Präsenzen in Spitzbergen interessiert sind oder dass Länder wie Brasilien, die Türkei oder Thailand sich tatsächlich längerfristig in Spitzbergen engagieren wollen. Interessant ist derzeit zumindest, dass die russische Planung wieder stärker auf Pyramiden zu setzen scheint. Insgesamt ist es einleuchtend, dass Russland neben der ohnehin perspektivisch auslaufenden Kohle und dem stark schwächelnden Tourismus weitere Betätigungsfelder sucht.
Pyramiden: nach russischer Vorstellung bald ein Zentrum internationaler Wissenschaft.
Das Verhältnis zwischen Russland und einem großen Teil der übrigen Welt ist derzeit bekanntermaßen problematisch. Das schließt auch Norwegen ein, und zwar auf allen Ebenen von Oslo bis Longyearbyen.
Wobei man weiterhin miteinander redet und sich im Einzelfall auch nach wie vor einigen kann, etwa auf neue Quoten für die Fischerei in der Barentssee. Diese wird seit 1976 von Norwegen und Russland zusammen durch eine gemeinsame Fischereikommission verwaltet, die sich Ende Oktober auf neue Quoten geeinigt hat. Das ist vor dem aktuellen politischen Hintergrund derzeit nicht nur in sich bemerkenswert, sondern auch das Ergebnis kann sich sehen lassen: Die Stimmen der Wissenschaftler wurden gehört und die Quoten wurden um 20 % gesenkt – zum dritten Mal in Folge. 2024 wird es eine gemeinsame Quote von 453.427 Tonnen Kabeljau geben (norwegischer Anteil: 212.124 Tonnen). Auch die Heilbutt-Quote sinkt, die Quote der Lodde (Kapelan) wurde hingegen kräftig erhöht.
Erwartbarerweise hat Russland mit einseitiger Aufkündigung des Abkommens gedroht, wenn Norwegen Schritte zum Nachteil Russlands unternehmen sollte. Seit dem umfassenden russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 dürfen russische Schiffe nur noch drei ausgewählte Häfen in Norwegen anlaufen (Tromsø, Båtsfjord und Kirkenes). Das Risiko, dass Russland sich tatsächlich aus dem Abkommen zurückzieht, wird aber als eher gering eingeschätzt: Die besseren Fanggründe liegen auf der norwegischen Seite der Seegrenze, und der Zugang der russischen Fischereiflotte zu den norwegischen Gewässern beruht auf dem Abkommen.
Russisches Fischereischiff (Kühlschiff) im Bellsund.
Aber an anderer Stelle knirscht es. In Barentsburg und Pyramiden wird propagandistisch aufgerüstet, deutlich sichtbar etwa bei den Paraden zum Tag des Sieges und zum Tag der Marine, die im Gegensatz zu früher patriotisch aufgeladen waren. Zudem registrieren norwegische Behörden vermehrt Bautätigkeit, die eigentlich genehmigungspflichtig wäre, aber hier sieht man auf russischer Seite anscheinend die Gelegenheit zu demonstrieren, was man von der norwegischen Souveränität hält. Es geht vordergründig zumindest teilweise eher um Kleinigkeiten wie Leuchtreklame am „Russkiy Dom“, dem Haus der russischen Tourismusabteilung in Longyearbyen. Es geht auch um das Aufstellen eines großen orthodoxen Kreuzes in der Nähe des Hafens in Pyramiden, bei dem norwegische Experten warnten, dass Russland hier eine althergebrachte Zugehörigkeit zum russischen Vaterland demonstrieren will – ein von anderswo bekanntes Vorgehen, das durchaus die Alarmglocken klingeln lassen kann. Symbolpolitisch weniger aufgeladen, aber ebenfalls klar durch den Sysselmester genehmigungspflichtung, sind Containerunterkünfte für Arbeiter in Pyramiden. In allen diesen Fällen haben sich die Russen dafür entschieden, zunächst Tatsachen zu schaffen, ohne vorab die erforderlichen Genehmigungen einzuholen. Beim Sysselmester bemüht man sich, die Fälle jeweils für sich nüchtern auf Sachebene zu bearbeiten.
Barentsburg: derzeit aus norwegischer Sicht eher eine düstere Angelegenheit.
Der Tourismus distanziert sich weiterhin überwiegend von den Russen: Die lokale Branchenvereinigung Svalbard Reiselivsråd sprach sich im Oktober erneut dafür aus, die russischen Siedlungen nicht zu besuchen. Der Beschluss ist für die Mitglieder allerdings nicht bindend. Der Reiselivsråd-Vorsitzende Ronny Brunvoll warnte die Branchenaktiven auch vor privaten Touren nach Barentsburg oder Pyramiden. So könne vor allem bei Benutzung des lokalen russischen WLANs das Risiko das Risiko bestehen, dass Daten ausgespäht werden. Zudem könnten Fotos von Besuchern propagandistisch genutzt werden.
Wie derzeit gefühlt quasi überall, erscheinen die Verhältnisse festgefahren und es scheint eher unwahrscheinlich, dass sich das substanziell verbessert, bevor die Welt – hier natürlich insbesondere zwischen Russland und der Ukraine – nicht wieder friedlicher geworden ist.
Während in Nordnorwegen die Nordlichter am Himmel tanzen und die Schwertwale in den Fjorden schwimmen (und hoffentlich demnächst auch durch den Reiseblog), tanzt und schwimmt auch wieder so einiges auf den Bildschirmen.
Arktis-TV in Villa Fredheim, viele Jahre lang das Zuhause des legendären Jägerpaares Hilmar und Helfrid Nøis. Das berühmte Häuschen kann man hier virtuell besuchen.
Die Listen werden bei Bedarf aktualisiert. Sachdienliche Hinweise werden von jeder Spitzbergen.de-Dienststelle entgegengenommen.
Margas Arktis-Fernsehtipps auf Arte im November …
… lauten wie folgt:
Donnerstag, 02.11., 16.20 Uhr: „Patagonien – Am Ende der Welt“ (GB 2021)
Samstag, 04.11., 19.40 Uhr, Arte 360°Reportage: „Färöer – zu Hause im Nordatlantik“ (D 2023 EA)