Es war noch eine lange Nacht gestern, auf dem Weg durch das Eis im Woodfjord unter dem herrlichen Abendlicht. Und ein langer Weg in den Krossfjord. So konnten wir es vormittags auf See langsam angehen lassen, und ich glaube, das war allen recht, nach den intensiven Tagen zuvor.
Mittags ging es in den schönen Krossfjord hinein und etwas später in Signehamna an Land. Flechten und Moose, Steinringe und schiefriger Frostschutt, Reste alter Kriegswetterstationen der Wehrmacht. Es gab eine Tour zu Bergrücken mit Aussicht zur Westküste und entlang des Hajeren-Sees. Der war in einem bemerkenswerten Zustand des Auftauens: Die winterliche Eisdecke bestand aus nadelförmigen Eiskristallen, war aber größtenteils schon in einzelne Stäbchen zerfallen oder in Brocken, die aus Stäbchen bestanden. Diese ließen sich wegen ihrer passgenauen Form nicht voneinander wegziehen, sondern nur gegeneinander verschieben, wie ein Geduldsspiel. Noch erstaunlich war das Geräusch, das der leichte Wind aus den tausenden eisigen Stäbchen hervorlockte, die im Wasser trieben. Ein natürliches Windspiel! Einzigartig.
Es war noch eine dieser magischen Nächte in der Arktis, die man nie vergisst. Glitzerndes Treibeis unter der Mitternachtssonne, warme Farben und schroffe Formen überall um die Fjorde herum.
Morgens im Liefdefjord wurden wir von perfekten Spiegelbildern begrüßt und haben uns auf eine richtig schöne Wanderung aufgemacht, mit grandiosen Ausblicken über den gesamten Liefdefjord von der Reinsdyrflya bis zum Monacobreen unter strahlender Sonne.
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Den Monacobreen haben wir uns später noch aus der Nähe angesehen, bevor es durch das Treibeis wieder aus dem Woodfjord herausging. Bei Christiane Ritters Hütte bei Gråhuken („Eine Frau erlebt die Polarnacht“) haben wir noch eine kleine Ehrenrunde gedreht und dabei auch noch ein dickes Stück Müll aus dem Fjord gefischt, eine losgerissene Boje, die nach einem wissenschaftlichen Messgerät aussieht. Gute Sache.
Wer hätte vor einer guten Woche gedacht, dass wir bis auf 80 Grad Nord fahren? Da waren wir noch irgendwo tief im Südwesten, mit der Aussicht auf eine Fahrt um Spitzbergens Südkap herum. Und auf einmal findet man sich an der Nordküste wieder. So schnell geht das 🙂
Und tatsächlich sind wir nun auf 80 Grad Nord. Moffen liegt voraus, leider darf man bis Mitte September nicht an Land. Schade, die Bedingungen wären ideal, ganz ruhiges, stilles Wasser, offenes Treibeis. Natürlich haben wir den 80. gebührend zelebriert und dann noch intensiv den Zauber des Treibeises genossen. Wir sind nur ganz knapp einer Überwinterung auf einer Eisscholle entgangen 😉
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Da die Nordküste gerade so schön ruhig ist, haben wir uns die Gelegenheit einer Landung am Velkomstpynten nicht entgehen lassen. An der Nordseite der Reinsdyrflya. Dort, wo Christiane und Hermann Ritter seinerzeit ihren Nachbar besuchen wollten, Stockholm-Sven. Die Ruine seiner Hütte steht dort noch. Nach einer schönen Tour über die frühsommerliche Tundra ist der Velkomstvarden in 95 Metern Höhe erreicht. Nicht der Newtontoppen, aber eine tolle Aussicht über die weite Umgebung. Das Ufer der Reinsdyrflya ist nach unserer Landung von Plastikmüll befreit, der mehrere Säcke füllt, darunter ein ziemlich großes Fischernetz. Gute Sache! Das herrliche Arktis-BBQ, das Sascha, Jana & Co an Deck angerichtet haben, ist wohlverdient und wird in vollen Zügen genossen, während die Antigua sich ihren Weg durch das Treibeis in den Woodfjord hinein bahnt.
Heute war unser Tag. Wir sind mittlerweile ja schon eine ganze Weile unterwegs, und es ist schon erstaunlich, dass wir noch keinen Eisbären gesehen haben. Ich will gerne noch einmal betonen, dass wir hier keine Eisbärensafari machen, aber natürlich würde jeder sich über eine schöne Eisbärensichtung freuen, keine Frage. Das Wetter: eisbärig. Nicht schlecht, nicht unangenehm, aber arktisch.
Zugegeben, so langsam hatte es sich herumgesprochen, dass hier im Smeerenburgfjord ein toter Wal an Land gespült worden ist. Insofern war es nicht völlig zufällig, dass wir hier besonders intensiv Ausschau gehalten haben. Tatsächlich, dort war er an Land. Und wir waren sowas von zur richtigen Zeit am richtigen Ort! Eine Bärin mit diesjährigem Jungtier kam nach einer Weile zum Wal und hat dort gefrühstück. Wir waren auf der Antigua nahe genug dran, um alles schön zu beobachten, und weit genug weg, um nicht zu stören. Perfekt! Ein weiterer, einzelner Eisbär war noch in der Nähe, den hatten wir direkt zu Beginn kurz gesehen, bevor er im wahrsten Sinne wieder in der Versenkung verschwunden war.
Später, gar nicht so weit, dann noch eine weitere Eisbärensichtung. Kapitän Joachim hat die Antigua wieder an perfekter Stelle geankert und uns so eine absolut optimale Beobachtungsposition verschafft. Dieser Eisbär war nun nicht gerade lauffreudig, hat sich aber gestreckt und geräkelt wie eine Katze. Herrlich!
Weiter geht es in den Kongsfjord – gestern Abend sind wir bei der Einfahrt noch am Kvadehuken angelandet. 1000 Mal dran vorbeigefahren, nie an Land gewesen. Da war ich nicht zum letzten Mal! Ein spannendes Fleckchen Erde, nicht zuletzt aufgrund des Geophysikalischen Observatoriums, das dort zu Beginn der 1920er Jahre stand, und der damit verbundenen Tragödie von Møkleby und Simonsen. Es ist auch eine interessante Landschaft.
Im Kongsfjord stand dann zunächst Ny-Ålesund an (leider kamen wir etwas zu spät in den Hafen für einen Kneipenbesuch). Ortsrundgang in Spitzbergens nördlichster Siedlung, Shoppen im berühmten Kongsfjordbutikken, der obligatorische, kleine Pilgergang zum Luftschiffmast von Amundsen und Nobile.
Später waren wir dann noch auf Blomstrand. Ganz klassisch ging es von Ny London aus los, eine Bergtour, eine Küstenwanderung mit Höhlenbesuch und eine kleine botanische Exkursion.
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Als ob der Tag nicht schon erlebnisreich genug gewesen wäre, haben wir dann noch einen langen Abend vor der Abbruchkante des Blomstrandbreen verbracht, die ständig schon gekracht und geknallt hat. Ach ja, dann war da natürlich noch der Blauwal spät abends.
Ein guter Tag im Forlandsund! Zunächst während des Besuches beim Prins Karls Forland Schwimmverein, der gemütlich am Strand lag. Später beim Segeln und im Beiboot, um die Antigua unter Vollzeug zu bewundern. Fahrer Alwin und Passagiere haben sichtlich ihren Spaß.
Fast 260 Meilen haben wir in etwa 36 Stunden bis heute früh zurückgelegt, einen guten Teil davon unter Segeln. Von der Barentsøya in den Bellsund. Im Recherchefjord gab es eine Bergtour mit Blick in eine echte arktische Wolke von innen sowie eine Wanderung über Tundra und Strand zur Gletscherlagune. Im Van Keulenfjord war es recht grau und windig, aber viele Rentiere gab es auf der Tundra und Thorshühnchen am Strand.
Zu unserer eigenen Überraschung sind wir letzte Nacht noch um die Barentsøya herumgefahren und konnten den Freemansund von Osten anfahren. Wir haben einen kalten, aber wunderbar eindrücklichen Morgen in einer Schlucht mit Dreizehenmöwen und einem tiefenentspanntem Eisfuchs verbracht. Am Nachmittag hat der Wind uns dann aus dem Freemansund herausgepustet, aber auf der Westseite der Barentsøya haben wir dann noch einen schönen, ausreichend geschützten Landeplatz gefunden. Ein starker landschaftlicher Kontrast aus hochpolarer Tundra, die über Jahrtausende auf basaltischem Untergrund gewachsen ist, und mondlandschaftsartiger Moräne, die in genau 100 Jahren – der Gletschervorstoß, der die Moräne geschaffen hat, war 1918 – kaum Vegetation hervorgebracht hat.
Nun sind wir unter Segeln unterwegs Richtung Südkap und Westküste.
Ein scheinbar großer Teil vom Negribreen, Spitzbergens größtem Gletscher, kam uns im Storfjord ja bereits in Form eines endlosen Streifens Eisberge entgegen. Viele Meilen Eisberge, kleine und große, den ganzen Abend lang.
Den Sonntagvormittag haben wir beim Negribreen verbracht, mit den Zodiacs und an Bord. Eine unendlich lang erscheinende Abbruchkante, die derzeit teilweise äußerst aktiv ist. Die Gletscherfront ist streckenweise so spaltig, als wäre darunter etwas explodiert, der Gletscher ist nahezu in eine Sammlung gewaltiger Eisklumpen zerfallen. Die Abbruchkante ist bis zu 70 Meter hoch! Laut Messung mittels Radar und Sextant in Joachims kundiger Hand.
Galerie – Negribreen-Heleysund – 02. Juli 2017
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Spannend geht es weiter am Heleysund. Die Eisbedingungen dort sind erstaunlich offen, so dass die Passage durch den strömungsreichen Sund unproblematisch ausfällt. Da es so schön ist, fahren wir beide Kanäle des Ormholet auch noch und landen unterm Strich somit auf der Ostseite, in der Olgastraße, und erfreuen uns dort abends noch am offenen Treibeis.
Wir nutzen das ruhige Wetter und setzen unsere Serie der unwahrscheinlichen Landungen mit einem Ausflug an der Ostküste Spitzbergens fort. Dort erwarten uns spannende Küstenlandschaften mit bizarren Uferfelsen aus kräftig verwittertem Sandstein. Als der vor gut 100 Millionen Jahren noch weicher Sand war, sind dort Dinosaurier langgetrabt, die ihre hühnerfußartigen Spuren hinterlassen haben. Heute läuft hier eine Eisfuchsfamilie herum und spielt herzerwärmend in der lauen Luft dieses milden Polarsommertages.
Unter Segeln geht es später weiter den Storfjord hoch nach Norden. Wir sind sehr gespannt, was die nächsten Tage so bringen.
Vom Südkap Spitzbergens erwartet man ja so einiges, aber selten etwas Gutes. Umso schöner, wenn man es unerwartet sanft umrundet und die See am nächsten Morgen so ruhig ist, dass sich die seltene Gelegenheit zu einer Landung beim Südkap bietet! Etwas östlich der südlichsten Spitze Spitzbergens kommt die Antigua soweit „dicht“ ans Ufer, dass wir an Land gehen können. Immer noch weit über einen Kilometer Fahrt. Aber eine tolle Landschaft, hocharktisch karg, mit einem schroff-schönen Berg im Hintergrund, spannend strukturierte Uferfelsen, alten Walknochen … das volle Programm. Eine selten gesehene Landschaft. Hier kommt kaum mal jemand hin!
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Zum Nachmittag hin reißt es vollends auf. Die Isbukta präsentiert sich mit ihrer grandiosen Landschaft unter strahlender Sonne. Unvergesslich schön!
Normalerweise mag sie keine Selfies, aber als Katja Baum am 19. Mai ihr Ziel, den nördlichsten Punkt Spitzbergens (Verlegenhuken), ereicht, lächelt sie doch in ihre eigene Kamera. Die 29jährige hat an diesem Tag rund 1000 Kilometer in 49 Tagen alleine auf Skiern in der Einsamkeit Spitzbergens zurückgelegt. Für Abenteurer ist eine Spitzbergen Durchquerung eine echte Traumtour und eine riesige Herausforderung.
Symbolfoto von einer ähnlichen Tour von Rolf Stange
Sechs Monate Planung gingen diesem Traum voraus. Am 1. April startete Katja Baum ihre Spitzbergen Durchquerung in Longyearbyen. Im Gepäck: 45 Kilo Ausrüstung und noch einmal so viel Essen für sich und ihre Hunde. Die erste Etappe von Longyearbyen zum südlichsten Punkt Spitzbergens Sørneset und weiter bis Svea wurde sie von ihrer Freundin Nanna Gajic begleitet. Von da an ging es alleine weiter, nur in Begleitung der drei Huskies Hjalmar Johnsen, R2-D2 und Myrull.
Katja Baum kommt ursprünglich aus Deutschland und arbeitet seit 2012 als Tourguide für einen Reiseveranstalter auf Spitzbergen, der Wander-, Ski und Kajaktouren mit Expeditonscharakter anbietet. Daher hat sie auch die nötige Erfahrung, um eine Durchquerung von Spitzbergen vorzubereiten und durchzuführen.
„So weit bin ich vorher noch nie gelaufen, aber ich war schon öfters in den Alpen alleine unterwegs und wusste, dass das mein Ding ist. Ich bin einfach gerne draußen und mag es, Verantwortung zu übernehmen. Du musst dich um alles selber kümmern, kannst nach niemanden rufen, wenn etwas schief geht. Du folgst deinem eigenen Rhythmus: Bist du müde, machst du eine Pause. Willst du lange schlafen, bleibst du einfach liegen.“
Symbolfoto von Rolf Stange
Viel Gelegenheit zum Ausruhen wird Katja Baum aber nicht gehabt haben. An machen Tagen legte sie bis zu 52 Kilometer zurück! Gletscherquerungen, das Überfahren von Seeeis und schlechtes Wetter machen eine Spitzbergen Durchquerung zu einer nicht ungefährlichen Expedition. Viel Vorsicht ist nötig und alle möglichen Unvorhersehbarkeiten müssen in Gedanken durchgespielt werden. Besonders das Wetter hat ihr manchmal zu schaffen gemacht.
„Wenn man stundenlang bei starkem Wind und strömendem Regen auf Skiern steht, dann fragt man sich schon manchmal: „Warum mache ich das hier eigentlich?“ Andererseits sind es in solchen Situationen grade die kleinen Dinge, über die man sich plötzlich unglaublich freuen kann: Wenn sich der Nebel verzieht oder die Sonne kurz rauskommt.“
Nach der Ankunft in Longyearbyen ging es erst einmal mit Freunden in die Kneipe, um auf die erfolgreiche Tour anzustoßen. „Ein bisschen stolz bin ich schon, dass alles so gut gelaufen ist und ich so gut vorbereitet war. Es war wirlich eine fantastische Tour!“
Auch die drei Hunde scheinen die Tour genossen zu haben: Hündin Myrull ist jedenfalls trächtig und wird bald Welpen bekommen.
Nach durchfahrener Nacht erreichen wir Hyttevika nördlich vom Hornsund. Ein wunderschönes Stückchen Spitzbergen! Nahezu idyllisch. Beziehungsweise: idyllisch. Man muss das gar nicht einschränken. Wanny Woldstads schöne Hütte (wer wissen will, wer Wanny Woldstad war, sei auf das später in diesem Jahr erscheinende Arktis-Weihnachtsbuch verwiesen 😉 ), saftige Tundra, Rentiere, Krabbentaucher in riesigen Zahlen, eine felsige Uferlandschaft mit kleinen, versteckten Stränden.
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Später geht es unter Segeln in den Hornsund. Landschaftlich ebenfalls ein sehr eines Stückchen Spitzbergens, das sich überwiegend unter Sonne und blauem Himmel zeigt.
Wir bleiben für den ersten Tag im Isfjord, genauer gesagt zunächst in der Yoldiabukta. Der Wahlenbergbreen hat in jüngster Vergangenheit einen kräftigen Vorstoß gemacht, einen sogenannten Surge. Und tatsächlich ist die Yoldiabukta gerade mal nicht komplett eisgefüllt, so dass wir nicht weit vom Gletscher entfernt ankern können. Unsere zunächst angepeilte Ankerstelle, ein Stück weiter im Fjord und mit einer schönen Ankertiefe, ist vom vorstoßenden Gletscher bereits überfahren worden! Parkplatz besetzt, sozusagen.
Galerie – Wahlenbergfjord & Erdmannflya – 28. Juni 2017
Endlich – es geht los! 18 Tage mit der Antigua um Spitzbergen. Wobei, „um Spitzbergen“ wird es wohl eher im übertragenen Sinn, so mit Blick auf die Eiskarte. Aber was macht’s schon, schön wird es so und anders werden! Und mal schauen, wie es demnächst aussieht. Wir haben eine Menge Zeit.
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Nun sind wir also unterwegs! Heute Nachmittag los aus Longyearbyen. Und gleich mehrere Finnwale und – ein Blauwal! Gleich am ersten Abend waren wir zur richtigen Zeit am richtigen Ort.