Dem Sturm sind wir erst mal entkommen. Weiter südlich waren Häfen geschlossen, Schiffe lagen fest, Fährverbindungen wurden geschlossen. Da hatten wir es weiter nördlich doch ganz gut.
Galerie – Harstad und Trondenes – 03. November 2015
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Immerhin ist es heute trocken genug, um unbeschadet ein wenig durch Harstad spazieren zu können. Die geschichtlich-touristischen Höhepunkte liegen allerdings nicht in Harstad, sondern ein paar Kilometerchen weiter westlich in Trondenes. Neben einem historischen Museum und der ältesten Steinkirche weit und breit ist es vor allem eine der nördlichsten Festungen des berüchtigten Atlantikwalls, die tatsächlich unter dem Namen Adolfkanone firmiert, die die Neugier auf sich zieht. Tatsächlich hat Adolfs dickes Ding (Entschuldigung, ich weiß, das ist vulgär und unpassend, aber ich konnte dieser Formulierung nicht widerstehen) ein Kaliber von 40,6 Zentimetern und konnte Geschosse von über einer Tonne Gewicht über 40 Kilometer weit schießen und sogar auch recht genau treffen, wie das norwegische Militär später herausfand. Zu Kriegszeiten sind diese Kanonen nie ernsthaft eingesetzt worden, das ist der einzig erfreuliche Aspekt an der Geschichte. Am schlimmsten ist das Schicksal der russischen Kriegsgefangenen, die diese Festung 1943 bauen mussten, wobei hunderte starben.
Schönes Licht auf den umgebenden Inseln, zumindest zeitweise, während wir darauf warten, dass der Wind langsam abnimmt. Sobald wir wieder unterwegs sind, kommt bald ein nautischer Höhepunkt: Die Querung des 70. Breitengrades ist nicht die Querung von 70°N, sondern von 69°60’N. Wirklich! Steht so auf dem GPS auf der Brücke, zumindest für einen Moment. Was auch immer sich das GPS dabei gedacht hat.
Eine weitere nautisch-astronomische Herausforderung ist das geistige Durchdringen der Himmelsmechanik, die zu Polarnacht und Polartag führt. Mit Hilfe einer näherungsweise runden Südfrucht und einer Taschenlampe aber überhaupt kein Problem. Wer nun noch nicht weiß, warum Polarnacht beziehungsweise Polartag auf der Süd- und Nordhalbkugel jeweils nicht gleich lang sind, kann das im Artikel Polarnacht, Polartag auf dieser Webseite nachlesen.
Anstatt nach Südwesten zu fahren, Richtung Lofoten, sind wir zunächst dem Wetter Richtung Nordosten ausgewichen. Windstärke 9, das braucht kein Mensch, also ab in die Fjorde, hinter die Berge, weg von der Küste. Tief im Kåfjord liegt Manndalen, in dem Gebiet, in dem früher die Seesamen („Sjøsamer“) lebten. Wir wir im Handwerk- und Kulturzentrum lernten, ist von der samischen Kultur aufgrund der Norwegianisierung, die mit viel Druck und Zwang durchgesetzt wurde, nicht mehr viel übrig. Heute sprechen nur noch die wenigsten samisch, aber das Interesse steigt immerhin auch bei jungen Leuten, wieder Kurse zu besuchen, die nun hier in diesem Zentrum angeboten werden. Auch das Handwerk erfreut sich wieder wachsender Beliebtheit, die Produkte kann man erwerben, von Käsehobeln (norwegische Erfindung, wie man sagt) mit Birkenholzgriffen (klassisches Material samischen Kunsthandwerks) über gewebte Decken bis hin zu CDs mit moderner samischer Musik.
Ein kleiner Rundwanderweg führt entlang von Stationen des samischen Widerstands gegen alle möglichen Unterdrücker aus der Fremde. Unglaublich, was die Menschen hier alles erdulden mussten. Nicht nur, dass sie ihre eigene Sprache nicht öffentlich sprechen durften. Mittellosen Sami wurde der letzte Besitz genommen, um durch Zwangsversteigerungen Abgabenschulden zu bezahlen. Kein Wunder, dass die Bevölkerung einmal den norwegischen Lensmann mit Zaunpfählen verdrosch und davonjagte. Am Ende des Krieges soll die deutsche Wehrmacht den Ort Manndalen als letzte Ort in Nordnorwegen zerstört haben – wie gesagt, nichts blieb ihnen hier erspart. Eine Hütte ist noch zu sehen, deren Besitzer nach dem Wiederaufbau Abgaben für Baumaterial an die norwegischen Behörden zahlen sollte; das war so üblich. Er weigerte sich mit einem Brief, dessen Inhalt sich zusammenfassend, aber zutreffend mit „fahrt zur Hölle“ wiedergeben lässt. Man ließ ihn daraufhin in Ruhe.
Was denjenigen von uns, die trotz Regen und Dunkelheit so lange dabei waren, nicht erspart blieb, war ein schlammiger, steiler Hang, der dort rutschig abwärts führte, wo eine Baustelle sich in den Berg frisst. Ein Hinweisschild am Anfang des Weges wäre nett gewesen, aber nach über sechs Kilometern ist der Wille, den Rundweg zu vollenden und nicht zurückzugehen, recht ausgeprägt.
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Später war ums Schiff herum außer Regen nichts mehr zu sehen. Keine Chance auf die erwähnten Nordlichter, was umso gemeiner ist, als dass die Sonnenaktivität derzeit stark sein soll. Ohne Wolken hätten wir wohl Nordlichter kreuz und quer über den Himmel. Fies!
Das norwegische Öldirektorat (Oljedirektoratet) hat im September und Oktober sieben Probebohrungen nordöstlich von Spitzbergen durchführen lassen. Die Finanzierung der Bohrungen wurde vom norwegischen Parlament (Storting) bewilligt.
Solche Aktivitäten sind vor allem deshalb höchst umstritten, weil Norwegen eindeutig festgelegt hat, dass jenseits der Meereisgrenze, also der Grenze der maximalen Ausdehnung des Meereises im Frühjahr, nicht nach Öl oder Gas gebohrt werden darf. Gebohrt wurde diesmal entlang der Ostküste Svalbards bis hoch zur Insel Kvitøya, und die Bohrungen gingen bis zu 200 Meter tief unter den Meeresboden. Das Gebiet liegt zwar außerhalb der Schutzzone, die die Inselgruppe umgibt, aber weit nördlich der Meereisgrenze. Entsprechend erklärte das Öldirektorat auch, die Bohrungen hätten mit der Öl- und Gaswirtschaft nichts zu tun, sie dienten lediglich der Untersuchung geologischer Strukturen.
Die kritischen Oppositionsparteien im Storting, die sozialliberale Venstre und die grüne MDG, verurteilten die Aktion scharf. Wenn die Öl- und Gasförderung so weit nördlich ohnehin nicht erwünscht und zumindest bislang auch gar nicht erlaubt ist, handle es sich um reine Geldverschwendung, so ein Sprecher der Venstre.
In den letzten Jahren hat Norwegen die Exploration der Öl- und Gasfelder im Nordatlantik – vor den Lofoten und den Vesterålen – und in der Barentssee stark vorangetrieben. Selbst hier ist eine Förderung jedoch längst nicht überall bewilligt und nach wie vor umstritten. Sie wird u.a. von Teilen der Lokalbevölkerung, von Umweltverbänden und der Fischereiwirtschaft abgelehnt. Werden allerdings weiter große Öl- und Gasvorkommen entdeckt und erkundet, wie kürzlich in der Barentssee, nordwestlich von Hammerfest, so schafft dies natürlich Fakten, unabhängig von der aktuellen Rechtslage. Zukünftige politische Entscheidungen werden durch wachsende Begehrlichkeiten beeinflusst. Bereits 2012 hatte der damalige Außenminister Espen Barth Eide von der sozialdemokratischen Arbeiderpartiet klar gemacht, dass wirtschaftliche Erwägungen Vorrang haben, wenn es um die norwegischen Öl- und Gasvorkommen geht. Die Umweltpolitik kann gegebenenfalls angepasst werden (siehe auch Spitzbergen.de-Nachricht: Öl und Gas in der Arktis: Norwegens Außenminister spricht Klartext vom November 2012).
Nordost-Svalbard ist ein guter Ort für Eis, Eisbären und Wildnis, nicht für die Öl- und Gasindustrie.
Die finale Fahrt geht mit der Antigua ins Land der Nordlichter. In der Theorie jedenfalls. Gleich mehr zur Praxis. Jedenfalls starten wir in Tromsø, und es soll zu den schönen Lofoten gehen.
Eine Woche lang schöne Inselwelt, kleine Fischerdörfer und natürlich hoffentlich Nordlicht, das hoffen wir.
Die Wettervorhersage, gezeigt im ersten Bild, bestimmt das echte Leben, so ist das im Norden. Man muss kein Fachmann für Seewetterberichte sein, um zu sehen, dass das Scheiße aussieht. Ja, richtig, ich habe „Scheiße“ geschrieben. Manchmal muss man die Dinge beim Namen nennen.
Dies ist die Fortsetzung des Artikels von gestern (Eisbär durch Markierung verletzt) mit neuen Informationen. Eine kanadische/US-amerikanische Gruppe ist unterwegs, um den Eisbären, der „Andy“ genannt wird, zu suchen. Polar Bears International teilt mit (eigene Übersetzung):
„Der Bär wurde seit dem 13. Oktober nicht mehr gesehen. Ein gemischtes US-kanadisches Team macht Erwägungen, wie weiter vorgegangen werden soll. Die Situation wird dadurch erschwert, dass das Meer zuzufrieren beginnt, so dass die Eisbären sich von Kaktovik aus verstreuen, und dass das Halsband nicht mehr sendet (andernfalls wäre es früher schon entfernt worden). Es handelt sich um ein logistisch schwieriges Problem, und sie tun ihr Bestes, um es zu lösen …“
Dazu noch ein paar Kommentare von Morten Jørgensen aus Dänemark, der die Lage derzeit genau verfolgt (in eigener Übersetzung):
„Das ist traurig. Und es bringt mehr Fragen als Antworten.
Der Kommentar, dass das Halsband schon früher entfernt worden wäre, wenn der Sender noch funktionieren würde, ist merkwürdig. Bedeutet dies, dass das Schicksal von „Andy“ schon länger bekannt war? Heißt es, dass die Expedition (Anm.: die erwähnte US-amerikanisch-kanadische Gruppe) schon früher hätte geschickt werden können? Heißt dies wiederum, dass die Gruppe weniger geschickt wurde, um „Andy“ zu retten, als um die wachsende Zahl beunruhigter Leute zu beruhigen?
Davon abgesehen, wissen wir wenig (sehr wenig) mehr.
1. Wir wissen, dass das Halsband kein Signal mehr sendet und dass das bereits eine Weile so ist – was bedeutet, dass der Eisbär es für absolut nichts trägt.
2. Und wir wissen, dass „Andy“ irgendwo draußen in der einsetzenden Polarnacht unterwegs ist, und vermutlich langsam durch die Wunden und Folgen durch dieses „Instrument“ stirbt, wenn die Situation sich nicht ändert.
In jedem Fall bleiben viele Fragen offen. Sobald die Verantwortlichen von ihrer Expedition zurück sind, erwarten wir Antworten.“
Soweit der Kommentar von Morten Jørgensen. Sobald es etwas Neues gibt, wird an dieser Stelle davon berichtet.
Der durch Satellitensenderhalsband verletzte Eisbär Andy ist jetzt auf dem Meereis unterwegs. Seine Chancen, gefunden und gerettet zu werden, sinken.
Jahr für Jahr werden Eisbären in verschiedenen Teilen der Arktis durch Wissenschaftler betäubt und markiert. Proben werden genommen, teilweise werden Eisbären mit einem Halsband mit Satellitensender versehen, um ihre Wanderungen verfolgen zu können. Dies geschieht üblicherweise aber nur mit weiblichen Eisbären, da männliche Tiere einen zu kräftigen Nacken haben: Ein Halsband würde entweder schnell abfallen oder, bei strammer Befestigung, zu Schmerzen und Verletzungen führen, auch mit Behinderungen beim Schlucken und Atmen wäre zu rechnen. Gängige Annahme ist in der Öffentlichkeit bislang, dass männliche Eisbären generell nicht mit Halsbändern ausgestattet werden.
Nun stellt sich allerdings heraus, dass von dieser Praxis abgewichen wird, möglicherweise schon seit längerer Zeit. In der Nähe von Kaktovik in Alaska, an der Küste des arktischen Beaufort-Meeres, ist ein männlicher Eisbär gesehen und fotografiert worden, der ein Halsband mit Satellitensender trägt. Dieses schneidet, wie auf dem Foto unten zu sehen, ein und hat den Eisbären bereits sichtbar verletzt.
Es besteht die Vermutung, dass der Bär in Kanada von Wissenschaftlern betäubt und markiert wurde. Möglicherweise werden dort schon länger auch männliche Eisbären „versuchshalber“ markiert. Die Halsbänder sollen nach einem halben Jahr von selbst abfallen. Möglicherweise funktioniert dies jedoch nicht zuverlässig. Wahrscheinlich ist auch, dass Eisbären in kurzer Zeit kräftig an Gewicht zulegen, wenn sie auf einmal über reichlich Nahrung verfügen. An den arktischen Küsten von Alaska und Kanada finden Bären manchmal große Mengen Nahrung, wenn ein toter Wal strandet oder große Reste eines Walkadaver nach Jagd durch indigene Einwohner liegenbleiben. Dies ist nach Aussage von Behörden „unvorhersehbar“. Tatsächlich kommt es unregelmäßig vor und ist somit nicht im konkreten Einzelfall vorhersehbar, aber allgemein ist das ein bekannter und nicht seltener Vorgang, mit dem daher immer zu rechnen ist.
In den USA, zu denen Alaska gehört, ist der United States Fish & Wildlife Services (USFWS) für den Schutz mariner Säugetiere zuständig, wozu auch der Eisbär gehört. Der USFWS macht sich bislang das Leben mit der Aussage einfach, man beobachte den Bären, habe aber nicht die Kapazitäten, um einzugreifen und dem Tier zu helfen. Vielleicht fühlt man sich auch nicht zuständig, da der Eisbär in Kanada markiert wurde.
Der aktuelle Fall scheint lokal schon seit Monaten bekannt zu sein und zieht im Internet nun Aufmerksamkeit auf sich. Interessierte Privatpersonen wenden sich nun an die zuständigen Behörden wie den USFWS, um den Druck zu erhöhen, dem Tier zu helfen. Mehr dazu, darunter Email-Adressen der Behörden, auf der Facebook-Seite Protect the Polar Bear. Die Initiative ergriffen hat Morten Jørgensen, der in seinem Buch Polar Bears on the edge auch den wissenschaftlichen Umgang mit Eisbären kritisch beleuchtet.
Organisationen wie der WWF und Polar Bears International unterstützen die wissenschaftliche Arbeit mit Eisbären einschließlich Betäubung und Ausstattung mit Halsbändern und Satellitensendern. Kritik an dieser Arbeit ist nicht neu, aber die Diskussion hat bislang noch keine große Öffentlichkeit erreicht.
Durch Satellitensenderhalsband verletzter männlicher Eisbär in Alaska. Normalerweise werden nur Weibchen mit Sendern ausgestattet.
Im Mai wurde auf dieser Seite von einer Eisbärenfamilie berichtet, die im Tempelfjord und Billefjord mehrfach gesehen wurde (hier klicken für den Artikel aus dem Mai). Es handelte sich um eine Mutter, die mit Drillingen unterwegs war. Drillinge sind bei Eisbären sehr selten, normal sind Zwillinge.
Die betreffende Eisbärin hatte allerdings im April 2011 bereits schon einmal Drillinge, möglicherweise ist eine besondere genetische Veranlagung vorhanden. Damals wurde sie zu wissenschaftlichen Zwecken betäubt und markiert. Damals überlebte letztlich nur eines von drei Jungen.
Auch im Frühjahr 2015 wurde die Bärin wieder betäubt und markiert. Die drei Jungbären waren da noch so klein, dass sie nicht betäubt werden mussten. Die vom Sender am Halsband geschickten Daten zeigen eine erstaunliche Wanderung: Nachdem die Familie das Frühjahr im Billefjord und Tempelfjord verbracht hatte, wo zu dieser Zeit viele Ringelrobben auf dem Eis liegen, wanderte sie durch den Wijdefjord nach Norden und verbrachte den Sommer nördlich vom Nordaustland. Schließlich querten die Bären das Nordaustland, die Hinlopenstraße und den Nordosten Spitzbergens. Mittlerweile ist die Eisbärin wieder im Tempelfjord. Allerdings hat nur eines von den drei Jungtieren diese lange Wanderung überlebt. Wann, wie, warum und wo die beiden anderen Jungbären gestorben sind, ist unbekannt. Es ist allerdings normal, dass auch von Zwillingen nur ein Jungtier überlebt; drei hungrige Jungbären am Leben zu halten, ist eine noch anspruchsvollere Aufgabe.
Sonntag der 4. und Montag der 5. Oktober waren Wahltage in Longyearbyen. Es wurden für die nächsten vier Jahre die 15 Mitglieder des neuen Stadtrats („Lokalstyre“), des obersten Organs der Lokalverwaltung in Longyearbyen, gewählt. Die 1651 Wahlberechtigten hatten die Wahl zwischen vier Parteien und deren Kandidaten. Die Auszählung der Stimmzettel ergab folgendes vorläufiges Ergebnis:
Partei
Ergebnis in %
Sitze
Arbeiderpartiet
(Ap, sozialdemokratisch)
34,6
5
Høyre
(H, konservativ, wirtschaftsliberal)
29,7
5
Venstre
(V, sozialliberal)
21,0
3
Miljøpartiet De Grønne
(MDG, grüne Umweltpartei, sozialliberal)
13,5
2
Es wurden 1006 gültige Stimmzettel abgegeben, das entspricht einer Wahlbeteiligung von 60,93 % (2011: 56,56 %). Bei der Berechnung der Sitze sind sowohl die Stimmen für die einzelnen Kandidaten als auch die Stimmen für die Parteien insgesamt relevant. Wahlberechtigt ist jeder, der mindestens drei Jahre in Longyearbyen als Bewohner registriert ist, die Nationalität spielt dabei keine Rolle.
Für die Arbeiderpartiet ist dieses Ergebnis ein Rückschlag. Sie hatte mit 7 Sitzen bisher die meisten Vertreter im Rat und stellte mit Christin Kristoffersen die Chefin der Lokalverwaltung. Auch in der letzten Umfrage vom September hatte die Arbeiderpartiet mit 56,5 Prozent der Stimmen und 9 Sitzen im Rat klar die Nase vorn. Die Høyre kam hier nur auf 21 Prozent (3 Sitze), die Venstre auf 12,9 Prozent (2 Sitze) und die grüne MDG auf 9,7 Prozent (1 Sitz). Es hatten allerdings auch 45 Prozent der Befragten geantwortet, dass sie noch unentschieden seien, nicht wählen würden oder sich nicht äußern wollten. Kristoffersen hatte bereits frühzeitig angekündigt, dass sie diesmal nicht wieder kandidieren würde. Spitzenkandidat der Arbeiderpartiet ist dieses Mal Arild Olsen.
Die Høyre hatte bisher 3 Sitze im Rat und war damit nach der Arbeiderpartiet zweitstärkste Partei. Nun machen sich die Konservativen Hoffnungen, in einer Koalition mit der Venstre die Politik der nächsten vier Jahre in Longyearbyen bestimmen und mit ihrem Spitzenkandidaten Torgeir Prytz den Chef der Lokalverwaltung stellen zu können. Es wurde bereits angekündigt, dass die beiden Parteien Koalitionsgespräche führen wollen, gemeinsam hätten sie eine Mehrheit von einem Sitz im Rat. Außerhalb Norwegens dürfte eine solche Verbindung zunächst seltsam erscheinen (Høyre bedeutet übersetzt „Rechte“ und Venstre „Linke“). In der norwegischen politischen Landschaft allerdings stehen sich diese beiden Parteien in ihrer politischen Ausrichtung durchaus nahe (s.o.). Es wäre in etwa so, als würde in Deutschland die CDU/CSU mit dem sozialliberalen Flügel der FDP oder dem Realo-Flügel der Grünen koalieren.
Venstre und die grüne MDG waren bislang nicht im Rat vertreten. Besonders für die MDG ist der Einzug in den Stadtrat ein großer Erfolg. Mit 13,5 Prozent der Stimmen und 2 Sitzen im Rat wäre die Gruppe in Longyearbyen die bislang erfolgreichste lokale Gruppe der Umweltpartei in ganz Norwegen. Die Spitzenkandidatin der MDG Helga Bårdsdatter Kristiansen versprach bereits eine aktive Oppositionspolitik.
Die Lokalverwaltung in Longyearbyen ist nicht zu verwechseln mit dem Sysselmannen, der in der Funktion eines Gouverneurs für ganz Svalbard zuständig ist und nicht von den Einwohnern gewählt, sondern von der norwegischen Regierung eingesetzt wird.
Longyearbyen bekommt einen neuen Stadtrat (Lokalstyre). Die kleine Stadt ist derzeit im Umbruch.
Die niedrigen Kohlepreise auf dem Weltmarkt setzen der norwegischen Bergbaugesellschaft Store Norske Spitsbergen Kulkompani (SNSK) noch stärker zu als erwartet. Bereits im Frühjahr musste der norwegische Staat, der fast alle Anteile der SNSK besitzt, dem Betrieb mit einem Kredit aus der Klemme helfen (siehe Kohle für die Kohle: Spitzbergen.de-Nachrichten vom Mai). Angesichts der schlechten Preise reicht das aber nicht, um den weiteren Betrieb wirtschaftlich tragfähig zu machen.
Angesichts der dramatischen wirtschaftlichen Situation hat die Führung innerhalb der SNSK sich zu drastischen Maßnahmen entschlossen, darunter:
Der Förderbetrieb in den Gruben bei Sveagruva (Svea Nord und die neue Lunckefjell-Grube) wird zunächst eingestellt. Eine Minimalbesetzung von etwa 50 Angestellten soll diese Anlagen soweit erhalten, dass der Betrieb wieder aufgenommen werden kann.
Wenn der Kohlepreis auf dem Weltmarkt bis 2019 nicht den rentablen Betrieb der Gruben bei Sveagruva erlaubt, werden die Anlagen dort endgültig geschlossen.
Der Betrieb in der kleineren Grube 7 in der Nähe von Longyearbyen wird intensiviert: Dort sollen 45 statt bisher 24 Bergleute die Produktion von 70.000 auf 155.000 Tonnen Kohle steigern.
Weitere Vorkommen im Umfeld der Grube 7 sollen erschlossen werden, um den Betrieb dort für mindestens 10 Jahre zu sichern.
Die Verwaltung wird verkleinert.
Für den Erhaltungsbetrieb in Sveagruva werden pro Jahr 95 Millionen Kronen benötigt, was der Eigner der SNSK (also der Staat) aufbringen müsste. Dazu werden von nun an mit der Regierung Verhandlungen geführt.
Unterm Strich sollen durch diese Maßnahmen etwa 150 Arbeitsplätze in Sveagruva und Longyearbyen wegfallen, die meisten in Sveagruva. Mit den bereits vorgenommenen Entlassungen beläuft sich der Jobverlust somit auf 250 innerhalb von 1,5 Jahren.
In Longyearbyen gehen vielfach Zukunftsängste um. Nach wie vor sind auch viele kleinere Betriebe indirekt mehr oder weniger stark vom Bergbau abhängig, und man fürchtet, dass dem Ort die wirtschaftliche Basis entzogen wird, wenn die Industrie in weiten Teilen abgewickelt wird. Die politische Diskussion um die Zukunft von Longyearbyen ist im Gang. Unter anderem wird gefordert, den geplanten Ausbau des Hafens schneller voranzutreiben.
Hafentage sind ja im Allgemeinen wenig glorreich. Viel ist zu tun, um die zu Ende gegangene Reise abzuschließend und um das Schiff wieder startklar zu machen, auch wenn ich nicht mehr an Bord sein werde, wenn die Antigua morgen wieder ablegt.
Abends geht es gedanklich noch einmal nach Jan Mayen und auf den Beerenberg. Das Svalbardmuseum hatte mich eingeladen, einen Vortrag über die Insel und meine Reisen dorthin zu machen. Eine Stunde und zehn Minuten lang geht es durch die Geschichte von Jan Mayen, über Lavafelder und Moosteppiche, von den Küsten bis hinauf zum Gipfelkrater des Beerenberg. Schön, das alles noch einmal an sich vorbeiziehen zu lassen, das war definitiv ein Höhepunkt unter meinen Polarfahrten. Das sind ja mittlerweile doch so ein paar. Und natürlich interessiert man sich in Longyearbyen auch für den abgelegenen Nachbarn 1000 Kilometer weiter südwestlich, der Vortrag ist gut besucht. Schön, dass auch ein Teil der Mannschaft der Antigua mir dort die Ehre gibt, wie auch bekannte Gesichter aus Longyearbyen.
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Ironie des Schicksals: Das Erste, was wir sehen, als wir das Museum verlassen, ist ein schönes Nordlicht. Und das, nachdem wir eine Woche lang vergeblich mit der Gruppe auf der Antigua darauf gewartet hatten! Umso mehr freuen sich einige Antigua-Gäste, die noch nicht abgereist sind. Der Abend wird noch lang, die Nordlichter kommen und gehen noch mehrfach. Zwischen den Etappen eines kulinarischen Ausflugs nach Italien wird die Aurora bestaunt und fotografiert.
Mit Nordlicht war dann doch nix, aber dennoch war es sehr nett, gestern Abend in Pyramiden an der Pier, schön ruhig.
Wir haben uns viel Zeit genommen in Pyramiden, zu sehen und zu tun gibt es dort ja reichlich, und die Fotografen in der Gruppe können gar nicht genügend Zeit haben.
Der Nordenskiöldbreen bildete dann den Abschluss der Fahrt. Richtig wehmütig könnte man werden. Auch, weil der Gletscher sich so unglaublich stark verändert hat, seit ich ihn 1997 zum ersten Mal gesehen habe. Kräftig geschrumpft ist er.
Und nun sind wir unterwegs nach Longyearbyen, in einen weiteren, bunten Sonnenuntergang hinein. Die letzten Meilen dieser Fahrt, die letzten Meilen einer langen Arktis-Saison. Ich müsste mal ausrechnen, wieviele Meilen es insgesamt waren. Vier Fahrten auf der Antigua, dazu die Arctica II, und natürlich Jan Mayen und Ostgrönland. Und mit dem Anlegen in Longyearbyen in ein paar Stunden sind die Schiffsreisen dieses Arktis-Sommers dann vorbei, was mich betrifft (und fast alle anderen sind sowieso schon lange weg). Halt, Ende Oktober geht es natürlich noch mal für eine Woche auf die Antigua, Lofoten. Aber das ist nicht die Hocharktis. Keine Eisbären, keine Walrosse, keine Tundra, keine Gewehre, keine Zodiacs (oder nur gelegentlich, je nachdem).
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Kein Grund zur Traurigkeit. Die Spitzbergen-Zeit ist ja für dieses Jahr nicht vorbei, mir ist schon noch Zeit an Land vergönnt. Ruhige Zeit in Longyearbyen. Schönes Licht, nette Menschen, Stille, ein wenig kreativ Produktivität, hoffentlich.
Zurück im Isfjord, und der Vorhang geht auf. Ein Sonnenaufgang, der sich uhrzeittechnisch schon verdächtig Richtung Mittag schiebt, taucht die Berge in ein zart-wunderbares Rosarot. Morgensonne auf Puderschneehauch. Die Tundra ist gefroren, die sonst so nassen Moosbetten steinhart, die letzten Rinnsale gluckern unter ihrem eisigen Panzer, der nur noch stellenweise Löcher aufweist. Bald wird auch damit Schluss sein, dann wird sich dort bis weit ins nächste Frühjahr hinein gar nichts mehr bewegen.
Bewegen tun sich die Rentiere und eine erstaunlich große Gruppe Schneehühner oben am Hang, schon im weißen Winterkleid. Wie heißt das bei denen eigentlich, ist das ein Schwarm? Ein Trupp? Ein Rudel? Eine Herde? …? Wie auch immer.
Wale zeigen sich im Isfjord nicht mehr, die sind wohl schon über alle Berge, Richtung Azoren oder wo auch immer sie ihren Winterurlaub verbringen. Dafür haben wir noch Zeit zu einer kleinen Landung, hier greifen wir zu einem bewährten Klassiker und machen uns am späten Nachmittag in der Skansbukta auf den Weg. Der unschlagbare Höhepunkt besteht aus der einmaligen abendlichen Beleuchtung des Gipshuken am Ufer gegenüber.
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Der Abend verläuft gemütlich an der Pier von Pyramiden. Ob es noch Nordlicht gibt? Der Himmel ist überwiegend klar, der Nordenskiöldbreen leuchtet blass im Mondlicht. Das Potenzial ist gar nicht schlecht.
Gestern Abend und die Nacht hindurch sah es ja ziemlich grützig aus. Heftiger Wind, dichtes Schneetreiben. Richtig Arktis eben, und zwar nun wirklich im Wintermodus. An Deck gab es sogar eine Schneeballschlacht.
Pünktlich zum Morgen hin ließ der Wind aber doch nach, Landgang auf Blomstrand war also kein Problem. Die Antigua konnte sogar nach Ny London verholen, zu Ernest Mansfields alter Marmorgrube, und uns dort wieder abholen. Sehr angenehm. Und das Licht unterwegs, als die Sonne über den Tre Kroner aufging, leichtes Schneetreiben in der Luft … gigantisch.
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Der Hafen in Ny Ålesund ist zwar klein, die Antigua aber auch, und daher passt sie auf die Innenseite der Pier, was mitunter sehr praktisch ist. Ein ruhiger, winterlicher Nachmittag in der nördlichsten Siedlung Spitzbergens, ein ruhiger Abend im Hafen, und dann los, ab Richtung Forlandsund, Richtung Isfjord. Ein wenig Dünung steht noch im Ausgang des Kongsfjord, aber nicht allzu schlimm, und nachher im Forlandsund wird Ruhe sein.
Endlich mal wieder mit Zodiacs in die innere Hamiltonbukta, lange nicht mehr gewesen! Und die Dinge haben sich dort verändert, will sagen, die Gletscher sind kleiner geworden. Ich muss mal alte Vergleichsfotos heraussuchen. Da kommt mittlerweile eine ganze Menge Fels zum Vorschein, wo doch vor 10 Jahren noch Eis war.
Hamiltonbukta 29. September 2015 – 1/2
Trotzdem, die Gletscher sind ja nach wie vor noch wunderbar schön. Viel Eis treibt in der Bucht. Und auf den kleinen Inselchen kann man herrlich ein Weilchen herumhängen und das Leben im Allgemeinen und die Landschaft im Besonderen genießen. Sehr gut.
Nun war dummerweise schon das nächste Tiefdruckgebiet im Anmarsch, und wir haben uns entschieden, noch davor einen Sprung Richtung Westküste zu machen und uns im Krossfjord zu verstecken. Also ab durch die Nordvestøyane, schönes Fjord-Sightseeing, Smeerenburgfjord undsoweiter. Äußerst spannend war es dabei, das Barometer zu beobachten, das insgesamt in 3 Tagen um 54 hPa gefallen ist. Würde Vergleichbares an der Börse passieren, würden alle von Weltuntergang reden. Aber es ist ja nur das Barometer.
Hamiltonbukta 29. September 2015 – 2/2
Vor der Außenküste stand noch ganz ordentlich Dünung, Marke „swell from hell“, das war nicht ganz so toll, und mancher ward für ein paar Stunden nicht gesehen. Immerhin kam später endlich der Nordwind auf, so dass nach und nach Segel hochgingen, was die Bewegung stabilisiert und angenehmer macht. Aber schließlich erreichten wir am späten Abend den Krossfjord und somit einen guten Ankerplatz.